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07.05.2024

Schwester Lucy Kurien: "Liebe ist meine Religion"

Eine der „inspirierendsten“ Frauen der Welt: Schwester Lucy Kurien. Foto: Norbert Staudt/pde

Schwester Lucy Kurien zeigt zusammen mit einer von ihr betreuten Frau ein Tuch voller Symbole: Die Gegenwart Gottes zeigt sich in allen Weltreligionen. Foto: Norbert Staudt/pde

Schwester Lucy wird von Papst Franziskus empfangen. Foto: Maher

Eichstätt. (pde) – Da gibt es eine Liste, der hundert inspirierendsten Menschen der Welt. Zusammengetragen wurde sie von dem österreichischen Nachrichtenmagazin „ooom“, das sich nach eigener Darstellung an Menschen richtet, „die Inspiration suchen“. Die Liste beginnt wenig überraschend bei internationalen Top-Stars, wie Taylor Swift, Paul McCartney oder Michelle Obama. Aber auch Kirchenvertreter sind zu finden: Auf Platz 14 wird beispielsweise Papst Franziskus gelistet. Auf Platz 30 kommt – gleich nach Harry Kane vom FC Bayern München – eine Ordensschwester aus dem indischen Pune im Partnerbistum Poona des Bistums Eichstätt: Schwester Lucy Kurien. Mehrfach war sie zu Gast in Eichstätt. Zuletzt gab sie Studierenden der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt einen Einblick in ihre Arbeit. Schwester Lucy ist die Gründerin und Leiterin von „Maher“, einer Anlaufstelle für bedürftige, vernachlässigte und mittellose Frauen, Männer und Kinder. Die 1997 gegründete Einrichtung hat mittlerweile 68 Häuser und betreut über 10.000 Menschen (4.237 Frauen, 4.637 Kinder und 1.015 Männer).

Schwester Lucy Kurien wurde in Kolayad, Kerala, geboren. Im Alter von 14 Jahren zog sie nach Mumbai und trat 1980 in den Orden der Schwestern vom Kreuz ein. Die Ordensprofess legte sie 1984 ab. Drei Jahre später trat sie der Stiftung Human Organization for Pioneering in Education (HOPE) bei und setzte sich für benachteiligte Frauen ein. Das Jahr 1991 brachte ein traumatisches Erlebnis, das einen Wendepunkt in ihrem Leben darstellen sollte. Eine schwangere Frau kam zu ihr und bat um Hilfe. Sie befürchtete, dass ihr Ehemann sie umbringen würde, um eine andere Frau heiraten zu können. Sr. Lucy versprach zu helfen und riet der Frau, am nächsten Tag wiederzukommen. Da war es jedoch bereits zu spät. Sie erzählt selbst: „Noch in dieser Nacht zündete ihr Mann sie in betrunkener Wut an. Ich sah tatsächlich die brennende Frau und hörte ihre qualvollen Schreie. Wir löschten das Feuer und brachten sie in ein Krankenhaus, aber sie starb an 90-Grad-Verbrennungen und mit ihr starb auch der sieben Monate alte Fötus. Ich war am Boden zerstört.“ Sr. Lucy, die seit Jahren eine tiefe Berufung verspürte, den Ärmsten der Armen zu helfen, beschloss, misshandelten und traumatisierten Frauen zu helfen.

Im Jahr 1997 gründete Sr. Lucy die Organisation „Maher“, wörtlich aus der Sprache Marathi übersetzt: Heimat für Mütter. Sie wollte mittellosen Frauen Pflege und Unterkunft bieten. Obwohl Maher mit einem einziges Heim für bedürftige Frauen begann, wurde das Team bald mit einem Zustrom von benachteiligten Kindern und Männern konfrontiert, die ebenfalls dringend Unterkunft und Pflege benötigten.

Unter ihrer Führung ist Maher von einer einzelnen Einrichtung zu einem Netzwerk von 68 Häusern angewachsen, die Tausenden von Menschen nicht nur Unterkunft, sondern auch Bildung und ein liebevolles Umfeld bieten. Ihre Arbeit erstreckt sich über verschiedene Regionen und hat unzählige Leben positiv beeinflusst. Schätzungen gehen von etwa 40.000 Menschen aus, die insgesamt von Sr. Lucy und ihrem Team betreut wurden.

Schwester Lucy wurde aufgrund ihrer Arbeit mit Maher mit dem „Nari Shakti Puraskar“ geehrt, dem höchsten zivilen Preis in Indien, verliehen vom Präsidenten. Außerdem bekam sie neben vielen anderen Auszeichnungen den „Global Women’s Leadership Award“ und den „Woman of the year Award“. Der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) sprach im Mai 2017 ihrer Organisation den Konsultativstatus zu.

Schwester Lucy ist zweifellos eine starke Frau, das spürt jeder, der mit ihr spricht. Nur bei einer Frage kommt Sie ins Stocken: Was macht sie so inspirierend? Warum hat ein Nachrichtenmagazin sie unter die Top 100 der inspirierenden Menschen gewählt? Doch schließlich ist auch hier ihre Antwort einfach: „Love is my Religion“ – „Liebe ist meine Religion“. Dieser Satz ist ein Konzept für ihr Leben und Handeln. Sie ist eine katholische Ordensschwester und dabei ein tief religiöser Mensch. Aber bei ihrem Einsatz für die Menschen spielt deren Religionszugehörigkeit keine Rolle: „Wir schauen nie auf irgendeine Religion, Kaste oder Klasse. Jeder, der Schutz braucht, ist bei Maher willkommen. Und wir versuchen unser Bestes, um alle Menschen, die ein Zuhause brauchen, aufzunehmen.“ Schwester Lucy betont vielmehr, dass Gott in der Welt gegenwärtig ist, unabhängig von der Religion. Das Verbindende aller Religion ist für sie daher: Jede Religion lehre auf ihre Weise den Weg zu Gott. Und so versucht sie den Frauen, die zu ihr kommen, die Erfahrung zu vermitteln: „Ich bin respektiert, auch mit meiner Religiosität“. Respekt ist etwas, das Frauen in Indien oft fehlt. Als Mädchen gelten sie als Eigentum der Familie, wenn der spätere Ehemann entsprechende Mitgift an die Familie bezahlt hat, gehören sie dem Mann. Der Schritt zur Gewalt und zum Missbrauch ist dann nicht mehr weit, und leider viel zu oft bittere Realität.

Bei ihrem Vortrag in Eichstätt hat sie Nikita dabei, eine junge Frau, die im Jahr 2005 als Baby mit eineinhalb Jahren zu Maher kam. Sie kommt aus ärmsten Verhältnissen, ihre Mutter gehörte zur „Homeless“ genannten Menschengruppe. Nikita hat fast ihr ganzes bisheriges Leben bei Maher verbracht, jetzt hat sie einen medizinischen Studienabschluss. Sie sagt selbst: „Maher hat mir ein neues Leben geschenkt“. Viele weitere Geschichten aus dem Leben erzählt Schwester Lucy den Studierenden in Eichstätt, die sich selbst auf Berufe aus dem sozialen Bereich vorbereiten. Wichtig ist für sie immer: „Wir brauchen Verstand, aber auch das Herz: Die Liebe ist das Entscheidende. Kinder brauchen Erziehung und Liebe, das versuchen wir ihnen zu geben.“