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12.03.2024

Antijudaismus und die Passionsgeschichte nach Johannes

Foto: Sylvio Krüger/Pfarrbriefservice.de

„Ausschwitz ist ohne die judenfeindliche Tradition der Kirchen und der Christen nicht erklärbar“, so formulierte es Heiner Geißler in seiner Schrift „Was würde Jesus heute sagen? Die politische Botschaft des Neuen Testaments“ (Berlin 2003, S.148). Eine Aussage, die es zu hinterfragen gilt und die gleichzeitig eine Einladung ist, Spuren von Antijudaismus in der Darstellung des Leidens und Todes Jesu in der Passionsgeschichte nach Johannes nachzuspüren. Das Johannesevangelium ist ein fester Bestandteil der Karfreitagsliturgie. Es ist gleichzeitig ein Evangelium, das sich in jeder Hinsicht von den Texten des Markus-, Matthäus- und Lukasevangelium unterscheidet. Auch hat es einen ganz eigenen Stil und entfaltet eine in der Entstehungszeit verankerte Theologie.

Eine Besonderheit in einigen Passagen der johannäischen Passionsgeschichte ist der wechselhafte Umgang mit den Begriffen „die Juden“ und „die Pharisäer“. Dabei stehen letztere für die Gruppe von in der Tradition verwurzelten Gelehrten, für die eine Trennung zwischen Judentum und Christentum unausweichlich ist. So können sie sich nicht zu dem Glauben bekennen, dass Jesus der im Alten Testament verheißene Messias Sohn Gottes ist. Ein solcher Trennungsprozess kann zu Unruhen innerhalb des Volkes führen, die der römische Statthalter Pontius Pilatus auf jeden Fall verhindern möchte. Deshalb nutzen sie seine Funktion als Stadthalter von Judäa und werden so zu Anklägern des Juden Jesu vor der römischen Gerichtsbarkeit. Das Urteil selbst aber fällt Pontius Pilatus. So beten wir auch im Apostolischen Glaubensbekenntnis: „gekreuzigt unter Pontius Pilatus“.

Trotz aller wechselseitigen Nutzung der Begriffe „Juden“, „Volk der Juden“, bemüht sich der Verfasser des Johannes-Evangeliums deutlich werden zu lassen, dass es hier nicht um eine politische, sondern um eine rein interreligiöse Auseinandersetzung zweier sehr unterschiedlicher Religionsgemeinschaften geht.

Im Blick auf die Passionsüberlieferung im Johannesevangelium schreibt die päpstliche Bibelkommission: „Man hat mit Recht vermerkt, dass ein großer Teil des Vierten Evangeliums dem Prozess Jesu vorgreift, in dem Jesus die Möglichkeit erhält, sich selbst zu verteidigen und seine Ankläger anzugreifen. Diese Ankläger werden oft ‚die Juden‘ genannt, ohne weiteren Zusatz, was leicht dazu führt, mit diesem Namen ein negatives Urteil zu verbinden. Doch handelt es sich hier nicht um einen grundsätzlichen Antijudaismus.“ (Päpstliche Bibelkommission: Das jüdische Volk und seine heilige Schrift in der christlichen Bibel, 74.)

Die Tatsache, dass sich Johannes in seiner Darstellung auf eine interreligiöse Auseinandersetzung bezieht und dies im Rahmen seiner Erfahrungen mit dem Trennungsprozess zwischen dem Judentum und den entstehenden christlichen Gemeinden geschieht, hatte über die Jahrhunderte hinweg jedoch auf Grund einer (sich auf die patristische Literatur stützenden) allegorischen Auslegung der Passionsgeschichte schwerwiegende Folgen. Die Juden wurden nun, fußend auf der christlichen Auslegungsgeschichte, als „Gottesmörder“ bezeichnet. Dies führte zu einer christlichen Judenfeindschaft, die in den Pogromen im ganzen sogenannten christlichen Abendland ihren Höhepunkt fand.

So gilt: „Die pauschale abwertende Rede von „den Juden“ hatte eine katastrophale Wirkungsgeschichte. Sie lieferte Formulierungen für den Jahrhunderte anhaltenden kirchlichen Antijudaismus, der auch den Boden für den rassistischen Antisemitismus der Nazis mit bereitet. Mit diesem christlichen Antijudaismus werden die Kirchen mitschuldig an den Verbrechen gegen die Juden im Holocaust.“ (Friedhelm Pieper: Das Johannesevangelium und „die“ Juden.)

Den Gedanken von den Juden als „Gottesmörder“ greift auch die Johannespassion von Johann Sebastian Bach auf. Dagmar Hoffmann-Axthelm kommt in ihrer Untersuchung "Die Judenchöre in Bachs Johannes-Passion" zu dem Ergebnis: "... wir sollten die judenfeindliche Botschaft, die Bach in seine Passionen einkomponiert hat, mithören. So könnten wir diese Werke gleichsam als Meditationsmusik hören. Wir könnten sie hören im Andenken an die ungezählten Juden, die in zwei Jahrtausenden christlich-jüdischer Geschichte im Namen Christi und anderer gekreuzigt worden sind."

Weiterführende Beiträge zum Thema:

Klaus Wengst: Das Neue Testament neu lesen lernen.

Agathe Lukassek: Johannes: Das theologischste Evangelium

Hanna Lehming: „Die Jüden aber schrieen“ – Antijudaismus in J.S. Bachs Matthäus- und Johannespassion?

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Text: Barbara Bagorski