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Im Wortlaut

Predigt des Hochwürdigsten Herrn Bischof Gregor Maria Hanke OSB zum Hochfest der Geburt des Herrn am 25. Dezember 2019 im Eichstätter Dom

Doppelt genäht hält besser!

Liebe Schwestern und Brüder, so formuliere ich, wenn ich auf Nummer sicher gehen will und bei einem Vorhaben eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme einbaue. Das Sprichwort stammt aus der Erfahrungswelt, in der es um die Verarbeitung von solchen Textilien geht, die festen Halt und Schutz geben sollen, etwa Stoffe für Zelte.

Doppelt genäht hält besser. Dem Prinzip folgt im übertragenen Sinn die Technik in sensiblen Bereichen, etwa Steuerungstechniken, die im Störfall funktionstüchtig bleiben müssen.

Doppelt genäht hält besser! Heute an Weihnachten sehen wir, dass Gott selbst sich dieses Prinzip zu eigen gemacht hat in seiner Menschwerdung. Gott und Welt hat der Sündenfall des Menschen getrennt. Gott begnügte sich nicht damit, die missliche Lage der Welt und des durch die Sünde verletzten Menschen von der fernen Warte des Himmels her zu beobachten und zu analysieren, um dann wie ein Arzt das Heilmittel zu verordnen. Nein, der allmächtige Gott vereinte sich mit der Menschheit, nahm Menschengestalt an und machte sich selbst zum Heilmittel, zum Heiland. Als Gott und Mensch verbindet er Himmel und Erde, Gott und Mensch aufs Neue. Durch die Naht zwischen Gott und Mensch, Himmel und Erde in der Person des Mensch gewordenen Gottessohnes erhält unsere Weltwirklichkeit eine neue Qualität.

Durch Gottes Ankunft in Betlehem ist der Welt ein neuer Code eingeschrieben worden, eine neue Formatierung gegeben oder besser ein neuer Geist eingehaucht worden. Wohl gibt es den Unterschied zwischen säkular (also weltlich) und göttlich, jedoch keine Spaltung zwischen beiden.

Seit der Ankunft Gottes in Betlehem kann sich die Welt nicht mehr selbst genügen, sie kann nicht als die Wirklichkeit schlechthin ausgegeben werden.[1] Die Offenbarung Gottes im Kind in der Krippe bezeugt, Gott und Mensch, Himmel und Erde reichen fortan ineinander.

Unser Glaube an Jesus Christus, den Mensch gewordenen Gottessohn, kann somit keine reine Privatangelegenheit oder bloße Innerlichkeit sein. Meine und Deine Beziehung mit dem Mensch gewordenen Gott hat Öffentlichkeitsanspruch, wenn wir die Inkarnation Gottes ernst nehmen. Dem Mensch gewordenen Gottessohn nachzufolgen und das Leben mit ihm zu teilen schließt aus, die Welt auszuklammern und sich von ihr fernhalten zu wollen.

In Christus ist uns Menschen nicht nur Gott, sondern auch die Welt zur Gabe geworden. Christen sind durch Gottes Menschwerdung mit der Welt Begabte. In diesem Begabtsein, durch diese Gabe werden wir zur gleichen Würde erhoben, wir sind Schwestern und Brüder. Alle sind zunächst gleichermaßen Empfangende, nicht Handelnde oder gar Beherrscher, nicht Subjekte, die über Welt und Schöpfung thronen, wodurch die Ungleichgewichte zwischen uns erst entstehen.

Gottes Eingehen in die Welt stattet den Menschen mit Gotteskompetenz aus. Er ist befähigt, Gott zu suchen und zu finden. Die Menschwerdung Gottes ist bleibende Aufforderung an die Jüngergemeinde, die Welt nicht primär aus menschlichen Ansprüchen heraus, nicht aus ökonomischen Bedürfnissen und der daraus erwachsenden Logik zu gestalten, auch nicht aus dem Streben nach individuellem Glück. Die Weihnachtsbotschaft führt uns an den Ursprung des biblisch-christlichen Weltverständnisses und Weltverhaltens: Die Welt, die Schöpfung ist Gabe. Diese Gabe eint uns.

Mangelt es an Anerkennung für die Welt als Gabe und für die hohe Bedeutung des Gebens, bleibt die Haltung der Hingabe aus, von der wir doch gegenseitig leben.

Die Ökonomie und das Wirtschaften lassen sich dann schwerlich gerecht gestalten. Besonders auf das Miteinander in unseren Beziehungen trifft es zu: nehme ich das Du nicht als Gabe an, kann Hingabe sich nicht entfalten. Statt Empfangen und Dankbarkeit dominieren Planen und Berechnen, Ausbeute und Gewinn. Die Weihnachtsbotschaft richtet ein solches gegenüber Welt, Schöpfung und dem Du falsch aufgestellte Bewusstsein neu aus.

Das wahre Weltverständnis eröffnet sich in ihm, der als Mensch gewordener Gott in seiner Schöpfung auf uns zugeht. Auf vielfältige Weise kann die Jüngergemeinde erfahren und bezeugen, wie er uns als Gabe entgegenkommt, besonders im Armen, im Schwachen, im Kranken.

Liebe Schwestern und Brüder, die Weihnachtsbotschaft legt offen, dass die Welt kein Selbstzweck ist, dass sich der Christ nicht mit der Welt als Welt um ihrer selbst Willen begnügen kann. Gott will nunmehr in der Welt gesucht und gefunden werden. In Gottes Ankunft in Betlehem wurde ihr ein neuer Code eingeschrieben, eine neue Formatierung gegeben. Gottes Geist schwebt aufs Neue über ihr. In Betlehem offenbarte Gott, dass er in unserer irdischen Wirklichkeit angekommen ist, noch ehe wir ihn zu suchen beginnen.

Die Botschaft vom Reich Gottes, die der erwachsene Jesus von Nazareth verkündet, untermauert die neue Sicht auf die Welt. Das Reich Gottes ist in seiner Person mitten in der Welt bereits angebrochen und zielt aber gerade auf die Verwandlung der Welt, nicht auf ihre Festschreibung.

Die Rede von den Zeichen der Zeit, die es bekanntlich im Licht des Evangeliums zu deuten gilt, erhält ihren Sinn erst vom Blick auf die nunmehr von Gott umfangene Weltwirklichkeit: Gott ist in Betlehem angekommen, um die Welt zu verwandeln, und er kommt immer neu bei uns an. Zeichen der Zeit sind Anzeichen des von Jesus angekündigten Reiches Gottes, dessen Spuren in der irdischen Wirklichkeit zu suchen sind.

Liebe Schwestern und Brüder, doppelt genäht hält besser! Die frohe Botschaft von der Verbindung zwischen Gott und Mensch, zwischen Himmel und Erde hat die Welt bewegt. Unserer irdischen Wirklichkeit, die oftmals so grau und erbärmlich erscheint, wohnt ein innerer Reichtum inne. Als Mitfeiernde des Weihnachtsfestes lassen wir uns senden, diesem Reichtum Gottes nachzuspüren, der oft tief verborgen ist: in unserer Familie, in den Aufgaben des Alltags, in unserem eigenen Inneren.

Aber nicht nur zum Suchen dieses Reichtums lädt uns die Weihnachtsbotschaft ein, sondern zum Handeln nach Gottes Weise: Doppelt genäht hält besser! Menschliches und Göttliches, Irdisches und Himmlisches, Schwaches, Leidvolles und Gottes Kraft gilt es im Leben zu verbinden, auf dass sich die Menschwerdung in mir, in Dir fortsetze. In dieser Haltung werden wir zu Dienern des Gottesreiches, um dessen Kommen wir in jedem Vaterunser bitten.

Gott ist bereits da, er will in unseren Fragen und Sorgen, in unseren Freuden und Hoffnungen, in unseren Kreuzen Aufnahme finden. Der Johannesprolog der heutigen Liturgie verheißt allen die Macht, Kinder Gottes zu werden, die ihn aufnehmen. Es ist die Verheißung unserer wahren Menschwerdung. Aus der Verbindung mit ihm erwächst uns eine Mächtigkeit zu, eine neue Lebensqualität, die des Kindseins vor Gott.

Als seine Kinder werden wir Geschwister untereinander, werden wir füreinander zur Gabe und Aufgabe. Liebe wächst, wo das Du, der andere als Gabe empfangen wird. Ohne das Du, das als Gabe auf mich zukommt, gibt es nicht wirkliche Liebe, nur Selbstliebe. Was ein Schriftsteller unserer Gegenwart formuliert, ist bedenkenswert: „Verliebt kann man nur in den anderen sein. Die Selbstliebe hingegen muss, damit sie nicht der Gefahr des Narzissmus, des Selbstlobs, der Selbstgefälligkeit unterliegt, eine […] stets fragende sein.“[2]

Doppelt genäht hält besser! Gott und Welt gehören nunmehr zusammen! Gott ist mitten in unserer Welt gegenwärtig und lässt sich auch in meinem Leben suchen und finden. Und noch etwas legt uns Weihnachten, legt uns Betlehem nahe: Handeln nach Gottes Art! Wir sind eingeladen, ihn aufzunehmen in die Menschlichkeiten, Schwächen und Dunkelheiten unseres Lebens, damit wir Kinder Gottes und miteinander Brüder und Schwestern sein können, die sich als Gabe und Aufgabe wahrnehmen und in die gegenseitige Hingabe hineinwachsen. Das gehört zum wahren Weltdienst.

Amen.

 


[1] Vgl. Hans Urs von Balthasar, Die Gottesfrage des heutigen Menschen, Einsiedeln 2008.

[2] Navid Kermani, Über die Grenzen - Jacques Mourad und die Liebe in Syrien. Rede zur Annahme des Friedenspresises des Deutschen Buchhandels 2015.