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Im Wortlaut

Osterbrief des Bischofs von Eichstätt Gregor Maria Hanke OSB am 30. März 2020 

Liebe Mitbrüder im Priesteramt und Diakonat, liebe Schwestern und Brüder in den verschiedenen pastoralen Diensten, in der Schule und in der Caritas, liebe Pfarrsekretärinnen, liebe Ehrenamtliche in den Gremien und in der pfarrlichen Mitarbeit!

Unsicherheit und Ängste erfüllen viele von uns angesichts der Ausbreitung des Coronavirus. Wie mag es Ihnen ergehen, liebe Schwestern und Brüder? In diesen Tagen wähle ich täglich für mich eine bestimmte Gruppe aus dem Bistum aus, um mich im Gebet mit diesen Menschen zu vereinen. Ich erbitte auch Ihr Gebet. Strukturen und Sozialgestalt der Kirche treten gerade in den Hintergrund, es ist nun eine Zeit, unser Kirchesein umso mehr als Herzensverbindung zu leben.

Ohne Zweifel ist es geboten, Vorsicht und Achtsamkeit im Umgang miteinander walten zu lassen, um der Ausbreitung des Coronavirus vorzubeugen und sich und andere Menschen, besonders ältere Menschen, nicht zu gefährden. Dennoch sollte die Sorge für unser familiäres und pfarrliches Umfeld nicht unseren Blick für die Schwachen, Einsamen und von Berufs wegen Gefährdeten in der Gesellschaft verstellen. Wir müssen in diesen Tagen zu unserem Schutz zuhause bleiben. Wie mag es jenen ergehen, die gar kein Zuhause haben, den Obdachlosen, den Flüchtlingen? Wie fühlen sich die Alleinerziehenden? Wie kommen die Ehepaare und Familien in der Enge zurecht, die schon vor den Ausgangsbeschränkungen in Krisenstimmung und Spannung miteinander lebten? Wie mag es jenen Mitmenschen zuhause gehen, die in Zeiten vor Corona Mangel litten und von Lebensmitteln aus der Tafel abhängig waren, wenn die Tafel nun geschlossen ist? Ergeht nicht jetzt an uns der Ruf nach einem betenden und sehenden Herzen, aus dem Rücksicht und kreative Formen der Hilfsbereitschaft und Solidarität erwachsen? In unserem kirchlichen Alltag war diakonisches Handeln oft an professionalisierte Institutionen delegiert. Nun gilt es, diese Grundform christlicher Lebensweise in meinem täglichen Leben zu verwirklichen.

Seelsorglich stellt diese Zeit gravierender Einschränkung freiheitlicher Grundrechte eine bislang nicht gekannte Herausforderung dar. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, zu einer Freiheit zu finden, die mehr meint. Es geht um die Freiheit, verbindlich zu sein für Menschen, für die wir verantwortlich sind.

Wie die anliegenden Anweisungen des Generalvikars zur Sakramentenspendung in dieser Krisenzeit zeigen,  ist es uns im Augenblick nur sehr schwer möglich, den Menschen real nahe zu sein, obwohl die Kirche gerade in Krisenzeiten ihrem Sendungsauftrag entsprechen sollte, bei den Menschen zu sein. Die letzten Worte des Auferstandenen bei Matthäus (Mt 28) und Markus (Mk 16) an seine Jünger lauteten: Geht, geht hinaus! Die Jünger sollten die in Jesu Botschaft eingeschriebene Leidempfindsamkeit Gottes für die Not des Menschen bezeugen und die österliche Verheißung des neuen Lebens Gottes in der Welt vernehmbar machen. Im Moment können wir die Sakramente, in denen die österliche Heilswirklichkeit Gottes erfahrbar wird, nicht oder nur eingeschränkt spenden bzw. feiern. Gleichzeitig aber findet eine neue Konzentration auf die so gewohnten und bisher selbstverständlichen Sakramente statt. Die reale Entbehrung macht deren Sinn umso deutlicher. Und sie bringt uns nahe, dass Gottes- und Nächstenliebe tatsächlich eine Einheit bilden. So wie wir jetzt füreinander einstehen in unserer aktiven Mithilfe füreinander, so und noch mehr steht der Herr für uns ein im Sakrament der Eucharistie. Könnten wir nicht jetzt zu einem eucharistischen Verständnis finden, das die Schwester, den Bruder mitbringt zum Altar – auch wenn das zurzeit nur digital möglich ist?

Ich frage mich, wie Sie, liebe Mitbrüder im priesterlichen Amt und liebe Schwestern und Brüder, mit diesen Einschränkungen der Seelsorge umgehen? Persönlich empfinde ich den Zustand als sehr schmerzlich. Am vergangenen Sonntag führte mich mein Weg um die übliche Zeit der Pfarrgottesdienste durch einige größere Ortschaften. Während man sonst Menschen auf dem Weg zur Kirche hätte sehen können und Autos, die um die Kirche parken, traf ich auf gähnende Leere, sah viele Häuser mit heruntergelassenen Rollos. Mich beschäftigt die Frage, wie nach dieser Zeit der Dürre oder Wüstenerfahrung unsere Pastoral und das sakramentale-liturgische Leben fortgeführt werden können. Gleichen wir danach einem zerzausten und entlaubten Baum? Wahrscheinlich müssen wir sogar nach Aufhebung der staatlich verordneten Vorsichtsmaßnahmen zunächst weiterhin mit Einschränkungen leben, da die Verbreitung des Coronavirus nicht einfach gestoppt sein wird. Unser pfarrliches Leben, die Erstkommunionfeiern und Firmungen gilt es entsprechend den Möglichkeiten und Umständen zu planen und zu gestalten. Auch unsere Willibaldswoche wird wohl in reduzierter Form stattfinden müssen. Was wir jetzt durchleben, hat Nachwirkungen. Liegt nicht auch eine Chance darin?

Aus biblischer Sicht enthalten Krisen immer auch eine Botschaft, die zu erfassen von uns eine Offenheit dem Geist Gottes gegenüber verlangt. Und diese Offenheit bedeutet keine Beliebigkeit, sondern eine Entscheidung, JETZT und HIER zu glauben und zu vertrauen. Lassen wir diese Chance nicht einfach an uns vorbeiziehen in der Hoffnung auf bessere Zeiten! Jetzt ist die Zeit der Gnade, in der Gott uns näher ist, als wir ahnen.

Erliegen wir nicht der Versuchung, eine Botschaft für andere zu finden. Begreifen wir vielmehr die gegenwärtige Herausforderung als eine geistliche Einkehrzeit, die dazu dient, das zu erfassen, was der Herr mir persönlich in dieser Lage sagen möchte, mir als Priester, mir, die und der ich in die Pastoral gesandt bin, mir als Jüngerin und Jünger Jesu. Und tauschen wir uns über diese Erfahrungen miteinander aus.

Die uns auferlegte Passivität, die Ohnmachtserfahrung verweisen mich auf die Theologie des Karsamstags, auf das Ruhen des Herrn im Grab, auf das Schweigen Gottes, obwohl er doch den Menschen sein unwiderrufliches Wort gesandt hatte, auf die Ängste und die Fragen der Jüngerschar nach der Zukunft, auf ihre Trauer und Ohnmachtserfahrung. Der Karsamstag muss für die Jüngergemeinde der komplette Absturz gewesen sein, vielleicht noch mehr als der Karfreitag. Denn am Karsamstag war ihnen nichts mehr geblieben von dem, was zuvor Bedeutung hatte. Und doch gilt gerade für den Karsamstag, jenen großen Sabbat (vgl. Joh 19,31), was Jesus nach der am vorgeschriebenen Ruhetag vorgenommenen Heilung eines Gelähmten am Teich Betesda seinen Kritikern über das Wesen des Sabbats entgegengehalten hatte: Mein Vater ist noch immer am Werk, und auch ich bin am Werk (vgl. Joh 5,17)

Der Karsamstag als Sabbat Gottes. Dieses Verständnis lädt uns ein in ein unerhörtes Gottvertrauen. Gott ist jetzt am Werk. Das Bild, das die Natur in diesen Tagen abgibt, mag uns zusätzlich zu solchem Vertrauen ermuntern: äußerlich noch karg, regt sich im Inneren der Erde und in den Baumstämmen und Sträuchern bereits neues Leben, erste Blüten trotzen der Kälte.

Liebe Mitbrüder, liebe Schwestern und Brüder, die wir alle Glieder am Leib Christi sind, der vom Tod erstanden ist: für unser Miteinander als Kirche, als Hauskirche in der Familie und Wohngemeinschaft wie für unser persönliches geistliches Leben möge sich mit Gottes Hilfe die schwierige Phase nicht nur als Einschränkung und Verlust erweisen, schon gar nicht als eine Zeit der Friedhofsruhe, sondern im Sinne des Wortes Jesu erfahrbar werden, dass sein Vater und er am Werk sind. Jetzt gilt es, diese Schwelle des Karsamstags zu bestehen. Auf dieser Schwelle bewusst zu verweilen, um Gottes Wort in einer ganz neuen Weise wahrzunehmen.

Auch wenn wir die Kar- und Osterliturgie nicht in gewohnter Weise feiern, wünsche ich Ihnen österliches Vertrauen, wünsche ich Ihnen, die kleinen und oft unscheinbaren Zeichen des göttlichen Lebens mitten in unserem Alltag aufspüren zu können. Vielleicht brennt in unseren größeren Kirchen am Ostersonntag tagsüber die Osterkerze, an der Kirchenbesucher ihre mitgebrachte Kerze entzünden können und bezeugen: Gott wirkt in meinem Leben. Liebe Schwestern und Brüder, wo uns derzeit Grenzen der sichtbaren Gemeinschaft als Kirche aufgegeben sind, wo äußere Strukturen relativiert sind, muss die glaubende und liebende Herzensverbindung untereinander praktiziert werden. Dann bleibt Kirche lebendig, weil wir Gott Raum zum Wirken anbieten. Die Herzensverbindung erwächst aus dem Gebet füreinander, aus der stellvertretenden Eucharistiefeier der Priester, aus einem hörenden Herzen, das sich auf Gottes Wort und den mir im Nächsten und seiner Not begegnenden Herrn ausrichtet.

Von Herzen wünsche ich uns allen eine gnadenreiche Heilige Woche und ein gesegnetes Fest der Auferstehung des Herrn.

Mit Ihnen allen im Gebet verbunden

Gregor Maria Hanke OSB
Bischof von Eichstätt