Preysings Nachfolger Michael Rackl (1935-48) war völkisch und national gesinnt. Freilich verteidigte er die Bekenntnisschulen, seine Hochschule, auch den Klerus in der Welle der Sittlichkeitsprozesse 1936/37 mit deutlichen Worten. Doch spätestens mit dem Krieg scheint er sich der Partei unterzuordnen. Schon im Oktober 1936 wirbt er für das nationalsozialistische Winterhilfswerk: Ihm reichlich zu spenden sei vaterländische und christliche Pflicht. Er geht so weit, diese Spenden als Opfer an Gott selbst zu glorifizieren (Hirtenwort, in: St. Willibalds-Bote zum 18.10.1936, S.508). Und wie kann man Rackls Spendenaufruf für das nationalsozialistische Hilfswerk verstehen: „Wenn wir immer wieder lesen: ‚das ganze Volk ist aufgestanden, um Hunger und Elend zu bannen‘, dann freuen wir uns, dass etwas in Erfüllung gegangen ist, was das Christentum, die Religion der Liebe, immer als Ideal erstrebt hat“? Bei allem Druck der Machthaber, das geht zu weit! Rackl hat das am 11. November 1938 als seinen Aufruf unterschrieben (veröffentlicht im St. Willibaldsboten vom 27.11.1938, S. 503). Die Synagogen rauchten noch von der Pogromnacht des 8. auf 9. November. Der Mob war entfesselt, die Vorzeichen für den Holocaust gesetzt. Das Ideal, die Hoffnung der Glaubenden wurde beschmutzt. Ein Einsatz für Verfolgte ist nicht bekannt. Die wesentliche Gleichheit aller Menschen vor Gott ohne Unterschied der Rassen ist bedeutungslos geworden.
Die kleine jüdische Gemeinschaft Eichstätts war seit der Jahrhundertwende durch Abwanderung nach Amerika oder in die Großstädte zusammengeschrumpft. Die letzte Familie wurde in der der Schandnacht November 1938 ausgewiesen.
Damit war zum zweiten Mal die jüdische Geschichte in Eichstätt zu Ende. Manche suchten sich noch als Judenfreunde darzustellen, wie der Landrat und nach dem Krieg Oberregierungsdirektor Josef Bäuml, dessen Erzählung immer noch geglaubt wird. Er habe die Inhaftierung der Schimmels verhindert. Da der Bahnbeamte ihnen kein Ticket verkaufen wollte, habe er aus eigener Tasche ein Taxi nach Augsburg bezahlt. Die Entnazifizierungskammer verurteilte den Schalterbeamten. Der suchte zur Entlastung Kontakt zu Albert Schimmel in Montevideo. Der Beschuldigte teilte dem Geflohenen mit, es werde ihm vorgeworfen, er habe Schimmel die Abgabe der Fahrkarten verweigert mit den Worten: ‚Du Saujud läufst!“ Schimmels vornehme Antwort führte zur Entlastung. „Ich kann Ihnen ohne Bedenken bestätigen, dass ein derartiger Vorfall mir nicht zugestoßen ist […]. Im Übrigen erinnere ich mich nicht, Sie gekannt zu haben, so dass ich Ihnen umso eher diese Zeilen freiwillig zugehen lassen kann.“ Andere kamen in Eichstätt schnell zu einem „Persilschein“; Bischof Rackl zeigte sich den Altnazis so generös, dass seine Bestätigungen bald nicht mehr zählten.
Nach dem Krieg wurden in Eichstätt Lager für Überlebende der Gräuel und für Flüchtlinge vor den neuen antisemitischen Übergriffen in Osteuropa errichtet. 1949 wurden die Lager in Eichstätt aufgelöst – und bald geradezu vergessen. Fast möchte man von einer zweiten Phase des Holocaust sprechen. Wurden zuerst Menschen physisch vernichtet, so begann mit Verdrängen und Vergessen eine Auslöschung ihres Gedächtnisses. Und immer noch werden die größten Verbrechen als „Vogelschiss in der deutschen Geschichte“ abgetan oder genügt bei schwerem Fehlverhalten ein „ist mir nicht erinnerlich“. Es mussten Jahrzehnte vergehen, bis das Vergessen einer mühsamen Erinnerung wich. Sie war hier nicht durch eine Rückbesinnung auf die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens ins Werk gesetzt, sondern durch das Engagement Einzelner, durch den Willen nach Versöhnung, durch demütige Achtung der Verfolgten.
Text: Prof. Dr. Erich Naab, Vorsitzender des Eichstätter Diözesangeschichtsvereins