Zum Inhalt springen
23.11.2023

Erstes ökumenisches Pfarrbüro Bayerns entsteht in Nürnberg-Langwasser

Foto: Ilona-Maria Kühn

Zugang zur „Zentralen Anlaufstelle“ der evangelischen und katholischen Kirchen in Langwasser. Foto: Ilona-Maria Kühn

Foto: Rainer Filler

Die Katholikin Ilona-Maria Kühn arbeitet bei der evangelischen Kirche und leitet das Projekt „Ökumenisch in Langwasser“. Foto: Rainer Filler

Eichstätt/Nürnberg. (pde) – Die evangelischen und katholischen Kirchen in Langwasser im Südosten von Nürnberg werden ab Mai 2024 ihre Dienste in einer gemeinsamen „Zentralen Anlaufstelle“ in der Nähe des Einkaufzentrums Franken-Center anbieten. Dazu richten die Kirchengemeinden beider Konfessionen bayernweit das erste ökumenische Pfarrbüro ein, das sich um die Anliegen von rund 16.000 Gläubigen kümmern soll.

„Die Kirche hat die Aufgabe, auch den Menschen nahe zu sein, die von sich aus nicht den Weg in die Gemeinden finden. Daher wird die ‚Zentrale Anlaufstelle‘ gut erreichbar an einem Ort eingerichtet, an dem in Langwasser viele Menschen unterwegs sind“, erklärt Projektleiterin Ilona-Maria Kühn. Gemeint ist das benachbarte Franken-Center, mit rund 100 Geschäften und über 1.000 Beschäftigten eines der größten Shopping-Center Nordbayerns. Der Pfarrgemeinderat und die Kirchenverwaltung der katholischen Pfarrei Hl. Edith Stein sowie die Kirchenvorstände der vier evangelischen Gemeinden in Langwasser haben den Weg für die Einrichtung eines gemeinsamen ökumenischen Pfarrbüros bereits frei gemacht. „Diese neue Einrichtung ist auch eine Antwort auf die zunehmend angespannte finanzielle Lage beider Kirchen. Damit kommt den Pfarreien in Langwasser eine wichtige Vorreiterrolle in der ökumenischen Zusammenarbeit zu“, sagt Kühn.

Die evangelische Paul-Gerhardt-Gemeinde wird in ihrem Pfarrhaus in der Glogauer Straße 21 gegenüber dem Franken-Center zwei Räume zur Verfügung stellen. In diesem „Front-Office“ wird der unmittelbare Kontakt mit den Menschen beider Konfessionen am Telefon oder persönlich vor Ort im Mittelpunkt stehen. Es ist für alle da, die sich oder ihr Kind zu Taufe, Erstkommunion und Firmung anmelden oder die kirchlich heiraten möchten ebenso wie für Trauernde, die verlässliche Auskunft in einem Sterbefall suchen oder Angehörigen, die ein Anliegen für einen Gottesdienst eintragen möchten. Menschen, die in Not sind und Hilfe erwarten sowie Ehrenamtliche können sich ebenso an das gemeinsame Büro wenden. Auch eine Auswahl fair gehandelter Waren oder Karten für Taufe, Hochzeit oder Trauer wird angeboten. Das „Front-Office“ wird abwechselnd von einer katholischen und einer evangelischen Sekretärin besetzt sein. Diese wird alle Anliegen entgegen nehmen. „Was sie nicht direkt selbst beantworten kann, weil es die andere Konfession betrifft, leitet sie in das flankierende ‚Back-Office‘ weiter, wo es bearbeitet wird“, erklärt Kühn.

Im „Back-Office“, das sich in den Verwaltungsräumen des Ökumenischen Kirchenzentrums des katholischen Kirchorts St. Maximilian Kolbe befindet, arbeiten alle evangelischen und katholischen Pfarramtssekretärinnen in Langwasser unter einem Dach zusammen. „Die Pfarramtssekretärin, die an einem Wochentag in der ‚Zentralen Anlaufstelle“ für die Menschen und ihre Anliegen da ist, kann an ihren anderen Arbeitstagen ungestört am Schreibtisch und im Archiv arbeiten“, erklärt Ilona-Maria Kühn. Sowohl im „Front-Office“ wie im „Back-Office“ sollen mit der Zeit Synergien durch die Zusammenarbeit an einem Ort entstehen. So könnte zum Beispiel ein gemeinsamer Raumbelegungsplan für alle acht Kirchorte entwickelt werden. Jede der beiden Kirchen trägt die Kosten, die in ihren Räumlichkeiten anfallen. Eine gegenseitige Verrechnung von Leistungen ist nicht vorgesehen. Denkbar seien Einsparungen zum Beispiel durch gemeinsamen Einkauf von Büromaterial, Kerzen und Reinigungsdiensten.

„Kirche ist für dich da“

Synergieeffekte spielen eine wichtige Rolle, entscheidend für das Projekt ist laut Kühn jedoch der Service-Gedanke: „Angesichts sinkender Mitgliederzahlen und damit rückgängiger Ressourcen wollen die acht Kirchorte ihre Kräfte bündeln und so gemeinsam mehr Service bieten, als es jede Kirche für sich allein schaffen würde.“ Das klassische Pfarrbüro-Angebot soll ergänzt werden durch Beratungsleistungen kirchlicher Fachstellen. In der neuen ‚Zentralen Anlaufstelle‘ (Front-Office), für die noch ein Name gesucht wird, sollen Menschen – nach dem Motto ‚Kirche ist für dich da‘ – in vielen Situationen des Lebens Hilfe finden. Die evangelische Stadtmission habe bereits ihre Kooperation zugesagt, mit weiteren Beratungsstellen ist man laut Kühn im Gespräch. Das ökumenische Pfarrbüro in der „Zentralen Anlaufstelle“ wird mit 20 Wochenstunden Öffnungszeit beginnen und bietet damit deutlich längere Öffnungszeiten an als bisher beide Konfessionen in ihren verschiedenen Büros in Langwasser. In den vier Bezirken Langwassers (Nordwest, Nordost, Südost und Südwest) soll zumindest von katholischer Seite her weiterhin die Möglichkeit bestehen, zu bestimmten Zeiten das jeweilige Pfarrbüro zu erreichen.

Die neue Arbeitssituation an zwei verschiedenen Standorten mit einer Trennung der Aufgaben für Publikumsverkehr und Pfarramtsarbeit kennen bisher weder die katholischen noch die evangelischen Sekretärinnen. Zur Vorbereitung der Umstellung finden derzeit Gespräche und Überlegungen mit allen Beteiligten statt. Laut Kühn überlegen evangelische und katholische Kirchenleitungen derzeit, was zu bedenken ist, wenn eine evangelische Pfarramtssekretärin Auskünfte zu katholischen Anliegen geben soll oder eine katholische Pfarramtssekretärin die Daten für ein evangelisches Trauergespräch aufnehmen muss.

„Wie in einer WG“

Für die Einrichtung des ökumenischen Pfarrbüros wird die Pfarrei Hl. Edith Stein mit der evangelischen Seite eine Kooperationsvereinbarung abschließen. „Grundsätzlich arbeiten beide Konfessionen in der ‚Zentralen Anlaufstelle‘ gleichwertig und bei allen Anliegen zusammen“, betont Kühn. Über ergänzende Geschäftsordnungen sollen die praktischen Fragen für die Umsetzung im Alltag geregelt werden.

„Es ist wie in einer WG“, vergleicht Kühn. „Jeder Projektpartner möchte am liebsten, dass alles nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen läuft. Am Ende, im gelebten Alltag, findet sich dann eine für beide Seiten akzeptable Lösung.“ Als Projektleiterin ist Kühn zuversichtlich, dass die Verantwortlichen beider Konfessionen in Langwasser auf einem guten Weg sind. Bis zur Eröffnung der „Zentralen Anlaufstelle“ am 9. Mai 2024 um 11.30 Uhr nach dem traditionellen ökumenischen Himmelfahrtsgottesdienst gibt es noch viel zu tun. Die Räume sollen hell und freundlich gestaltet werden und unbedingt vom Franken-Center gegenüber sichtbar sein.

Gelebte Ökumene

Von den rund 33.000 Einwohnern Langwassers bekennen sich 8.766 Menschen (26,46 Prozent) zur katholischen, 7.519 (22,69 Prozent) zur evangelischen Kirche (Stand: 2022). Die „Zentrale Anlaufstelle“ mit ökumenischem Pfarrbüro ist nach Auffassung der Beteiligten ein weiteres Zeichen der bewährten Zusammenarbeit zwischen beiden Konfessionen. „Dass die Kirchen in Langwasser, und damit auch ihre Gemeinden, schon seit Jahren gut miteinander leben, ist sicherlich auch der taktisch klugen Planung des Stadtentwicklers Franz Reichel zu verdanken“, erzählt Ilona-Maria Kühn. Reichel hat den Stadtteil, der als Prototyp einer sogenannten „Trabantenstadt“ gilt, auf einem Gelände geplant, das während des Nationalsozialismus als Massenzeltlager für Teilnehmer der Reichsparteitage diente. „Schon in den 1950er Jahren lag es ihm am Herzen, in jedem Viertel Platz zu finden sowohl für eine katholische als auch eine evangelische Kirche, am liebsten in direkter Nachbarschaft“, berichtet Kühn. So entstanden vier evangelischen Gemeinden (Dietrich-Bonhoeffer-Kirche, Martin-Niemöller-Kirche, Paul-Gerhardt-Kirche und Passionskirche) und –gebietsmäßig fast deckungsgleich – vier katholische Pfarreien (Menschwerdung Christi, St. Maximilian Kolbe, Heiligste Dreifaltigkeit, Zum Guten Hirten), die zu Beginn dieses Jahres zur Pfarrei Hl. Edith Stein fusionierten.

In Langwasser ist man gerne ökumenisch unterwegs. „Man kann sagen, je näher die Kirchengebäude zusammenstehen, desto besser hat sich die Ökumene im Laufe der Jahre entwickelt“, so Kühn. Gemeindefeste werden oft gemeinsam gefeiert. Der Gottesdienst zu Christi Himmelfahrt findet jedes Jahr mit allen acht Gemeinden an einem zentralen Ort, am Heinrich-Böll-Platz, statt. Es gibt einen ökumenischen Gottesdienst beim Volksfest „Langwasser-Kirchweih“. Einige der acht Kirchengemeinden bieten regelmäßig ökumenische Andachten und Gottesdienste an und organisieren Veranstaltungen für Familien der beiden Konfessionen. Jeden Sonntag lädt die Ökumenische Kinderkirche alle Kinder bis 12 Jahre aus Langwasser in die Martin-Niemöller-Kirche ein. Seit 1986 bildet die katholische Gemeinde St. Maximilian Kolbe zusammen mit der evangelischen Gemeinde Martin Niemöller das einzige Ökumenische Zentrum der Diözese Eichstätt. Beim „Langwasser-Adventsmarkt“ präsentieren sich die katholische und evangelische Kirche an einem ökumenischen Stand. Die Gemeinden Martin Niemöller und St. Maximilian Kolbe versammeln sich jährlich um das Osterfeuer und feiern anschließend einen Familiengottesdienst. Eine Kleiderkammer für Menschen aus der Ukraine entstand aus der Kooperation zwischen der Freien Christengemeinde Langwasser und der Martin-Niemöller-Kirche, St. Maximilian Kolbe, dem Verein Ukraine-Hilfe und vielen ehrenamtlichen Mitarbeitenden.

2021 wurde das Projekt „Ökumenisch in Langwasser“ gestartet, das Ilona-Maria Kühn, eine katholische Betriebswirtin mit langjähriger Berufserfahrung in der evangelischen Kirche, leitet. Drei Jahre lang soll dieses Projekt prüfen und davon möglichst viel auf den Weg bringen, wo die beiden großen Kirchen in Verwaltung und Organisation etwas zusammenlegen und gemeinsam unterwegs sein können. Ein erstes Ergebnis ist die „Zentrale Anlaufstelle“ mit dem ökumenischen Pfarrbüro.

Weitere Informationen unter Tel. 0177 6439311, E-Mail: projekt(at)oekumenisch-in-langwasser(dot)de sowie im Internet: oekumenisch-in-langwasser.de.