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16.05.2022

Maria

Foto: Andreas Schneidt

Mariendarstellung in der Kirche St. Jakobus Nürnberg. Foto: Andreas Schneidt

Der Monat Mai ist in der katholischen Tradition einer der Monate, die den Blick in besonderer Weise auf Maria, die Mutter Jesu, lenken. Er lädt immer wieder aufs Neue dazu ein, Maria zu begegnen und – vielleicht auch – ihre Lebensgeschichte neu zu entdecken. Auf diesem Weg lautet dann eine der Leitfragen, welche Bedeutung Mariens „Biographie“ für das persönliche Leben im Hier und Heute haben kann.

Grundsätzlich gilt, dass Maria in einer Zeit und Umwelt lebte, in der die Frau nur in ihrer Rolle als Mutter eine begrenzt angesehene Stellung zukam. So wird im Matthäus-Evangelium die Mutterschaft Mariens (z.B. Mt 1,18; 2,11-14; 2,20f; 12,46-50) herausgestellt, ohne dass der Verfasser an der Person Mariens Interesse zu haben scheint. Auch der Evangelist Markus schenkt Maria nur in ihrer Rolle als Mutter eine gewisse Aufmerksamkeit. In dieser Funktion beschreibt er sie als eine Frau, die ihrem Kind sowohl kritisch als auch verständnisvoll gegenübersteht (Mk 3.31-35). Für den Verfasser der Johannes-Evangeliums ist Maria lediglich als Mutter Jesu, die unter dem Kreuz steht und so den christlichen Glauben präsentiert, von Interesse (Joh 19,25-27).

Ein ganz anderes Bild findet sich dagegen im Lukasevangelium, dessen Verfasser die besondere Bedeutung Mariens als Mutter Jesu betont. So wird sie allein in der Kindheitsgeschichte zwölf Mal erwähnt und in diesem Block (Lk 1,5 – 2,52) als eine Frau vorgestellt, die tief in der jüdischen Glaubenstradition verwurzelt ist. Als Beispiel dafür kann der Lobgesang Mariens, das Magnifikat, gesehen werden (Lk 1,46-55), der eine gewisse Ähnlichkeit und Ansatzpunkte zu den Psalmen zeigt. Durch die Verknüpfung des Gebets mit den Psalmen, aber auch mit dem Lobgesang Hannas (1 Sam 2,1-10) greift Maria zwei Themen auf, die die gesamte Glaubensgeschichte durchziehen: die Abrahamstradition und die Betonung der Zuwendung Gottes zu den sogenannten kleinen Leuten.

Maria wird im Lukasevangelium zum Bild für einen Menschen, der sich in seinem Tun und Denken ganz auf den Willen Gottes ausrichtet und diesen durch seine Lebensgestaltung im Alltag gegenwärtig und erfahrbar macht. Dies gilt auch für Zeiten von Sorge, Zweifel und Schmerz. An Maria kann abgelesen werden, was es heißt, alle Herausforderungen des Lebens im Glauben an das Mit-Sein Gottes zu tragen. So wird sie, die auch zur nachösterlichen Gebetsgemeinschaft gehört (Apg 1,14), zum Vorbild für ein gelingendes christliches Leben.

Während Maria im Neuen Testament in unterschiedlichster Weise vertreten ist, wird sie in den talmudischen Schriften nicht erwähnt. Auch kennt die jüdische Tradition keine Form der Marienverehrung. Das bedeutet jedoch nicht, dass es kein Nachdenken über Maria gibt. So kann David Flusser (Maria. Die Gestalt der Mutter Jesu in jüdischer und christlicher Sicht, Freiburg 1985) Maria als eine große Tochter des jüdischen Volkes, ja sogar als das weibliche Antlitz des Judentums vorstellen. Schalom Ben-Chorin widmet sich in seiner Schrift „Mutter Miriam. Maria in jüdischer Sicht“ (München 1971) der Person und den Lebensumständen Mariens und kommt zu dem Ergebnis, dass Maria eine Frau war, die in bis heute nachvollziehbarer Weise im Glaubens- und Alltagsleben stand.

Text: Barbara Bagorski