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02.05.2022

Aus der Wurzel leben

Olivenbaum. Foto: Andreas Schneidt

Olivenbaum. Foto: Andreas Schneidt

Die Zeit zwischen Ostern und Pfingsten / Pessach und Schawout ist eine Wartezeit, die den Blick jedes einzelnen auf das Leben in seinen vielfältigsten Facetten richtet. Und es ist eine Zeit des Wartens, d.h. eine Zeit, um die Gedanken schweifen zu lassen, sich an das Vergangene zu erinnern, zu planen, sich zu orientieren um dann möglicherweise einen Neuanfang zu wagen. In diese Zeit zwischen den beiden Festen fällt für die jüdischen Schwestern und Brüder der Jom HaShoa – der Tag des Gedenkens, des Sich-Erinnerns an die Opfer der Shoa.

Die Pflege einer Kultur der Erinnerung ist und bleibt ein fester Bestandteil des christlich-jüdischen Dialogs. In diesem Sinn lädt in besonderer Weise das Dokument „Wir erinnern: Eine Reflexion über die Shoa“ (Arbeitshilfen Nr. 307. Hrsg.: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Bonn 2019, S. 68 – 84) dazu ein, diesen Dialog immer wieder lebendig werden zu lassen mit dem Ziel, Missverständnisse, die bis heute eventuell ein Miteinander belasten, aufzuarbeiten und zu überwinden. Grundlage für die Umsetzung des genannten Ziels ist die Bereitschaft, sich der langen und nicht immer einfachen Geschichte der christlich-jüdischen Beziehungen zu stellen.

Welchen Beitrag kann dazu eine solche Betrachtung der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum liefern? Hier gilt: „In diesem Dokument wird das harte, aber berechtigte Urteil ausgesprochen, dass die Bilanz der zweitausendjährigen Geschichte der Beziehung zwischen Christen und Juden ‚ziemlich negativ‘ ausfallen muss. Des weiteren wird die Haltung der Christen gegenüber dem Antisemitismus des Nationalsozialismus bedacht und die Pflicht der Christen zur Erinnerung an die menschliche Katastrophe der Shoa hervorgehoben.“ (Kurt Cardinal Koch: Der jüdisch-katholische Dialog seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil bis heute. Bratislava 2018)

Wie wichtig die Prüfung der eigenen Haltung ist, zeigt die leider nicht zu übersehende Tatsache, dass u.a. in Bayern die Zahl der antisemitischen Straftaten wieder im Steigen ist. So sind wir eingeladen, bei uns selbst, in unserer Umgebung genau hinzuschauen und in unseren Gemeinden das Dokument vertieft ins Gespräch einzubringen. Denn nur im Gespräch, im Miteinander, im Dialog kann erfahrbar werden, dass in und durch die Erinnerung ein fruchtbares Miteinander lebendig werden kann, was Paulus in folgende Worte gefasst hat: „Bedenke: Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich!“ (Röm 11,18).

Text: Barbara Bagorski