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Grundworte zur Exerzitienspiritualität

"Aus der Mitte leben"

Teil 3: Entscheiden – aber wie?!

aus: Kirchenzeitung für das Bistum Eichstätt, Nr. 13, 28. März 2004.

An der Volkshochschule in Leipzig gibt es seit einigen Jahren einen neuen Kurs. Er heißt „Entscheiden – aber wie?“. Und er ist ständig ausgebucht. Innerhalb kürzester Zeit melden sich die Teilnehmer an. Das zeigt: Vielen Menschen fällt es schwer, eine Entscheidung zu treffen. Sie sind froh, wenn sie dabei Orientierung und Hilfe erhalten. Das weiß auch schon der Volksmund. „Wer die Wahl hat, hat die Qual“, lautet ein Sprichwort. Und die Qual der Wahl gibt es ziemlich oft. „Soll der Sohn auf das Gymnasium gehen oder doch besser in die Realschule?“, fragen sich die Eltern. „Welchen Beruf soll ich ergreifen, welches Fach studieren?“, muss der Jugendliche noch in der Schule überlegen. „Ist der Arbeitskollege einfach nur ein netter Kerl oder vielleicht der Mann fürs Leben?“ „Ist es richtig, die kranke Schwiegermutter zu pflegen und dafür nur noch halbtags zu arbeiten?“ Solche und ähnliche Entscheidungen sind nicht immer leicht. Und wer sie alleine treffen muss, kann sich dabei schnell einsam und überfordert fühlen. Vielleicht ist deshalb der Kurs an der Volkshochschule so gefragt. Verblüffend dabei ist: Der Kurs in Leipzig orientiert sich an der Dynamik der Exerzitien. Und das findet Anklang.

Die Exerzitien können niemandem eine Entscheidung abnehmen. Sie versprechen keine glatte Lösung. Aber sie können helfen, zu einer guten Entscheidung zu finden. Ganz bewusst beziehen dabei die Teilnehmer Gott in ihre Entscheidung mit ein. Das beginnt ganz grundlegend. Am Beginn der Exerzitien sind die Teilnehmer eingeladen sich zu vergegenwärtigen: Gott hat sich für mich entschieden. Er sagt Ja zu mir und meinem Leben. Er ist der Schöpfer, dem ich mich verdanke. Wer dies verkostet und erfährt, der darf sich von Gott auch bei allen großen und kleinen Lebensentscheidungen begleitet wis-sen. Der Gott, der mich geschaffen hat, lässt mich auch auf meinem Lebensweg nicht allein. Er bietet mir seine Hilfe an. Er lädt mich ein, seinen Sohn Jesus kennen zu lernen. Von Ihm zu lernen. An Ihm mein Leben zu orientieren. Die Teilnehmer blicken auf Jesus. Sie betrachten sein Leben. Sie versuchen nach und nach mit Ihm vertraut zu werden. Dann können sie sich leichter der Frage stellen: Was entspricht der Gesinnung Jesu? Wie würde Er an meiner Stelle handeln? Bei welcher Entscheidung wird etwas von Seinem Bild in meinem Leben deutlich? Das Evangelium von Jesus Christus wird zum Prüfstein für das eigene Leben. Und je mehr ein Mensch mit Jesus vertraut ist, um so sensibler wird er für seinen Ruf und seine Anfrage werden. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Entscheidungen oft ein Teil von Exerzitien sind.

Wenn sich die Teilnehmer auf die Impulse und auf Gottes Wort einlassen, dann beginnen sie zu ahnen, dass sie zu einer Antwort eingeladen sind. Manchmal haben sie das gar nicht geplant. Und trotzdem spüren sie, dass etwas geschieht. Ein Bibelwort spricht sie besonders an. Ein Gedanke lässt sie nicht mehr los. Eine Begebenheit aus ihrem Leben erscheint plötzlich in einem anderem Licht. Bei solchen Erfahrungen ist es gut, kompetent begleitet zu werden. Im täglichen Gespräch mit dem Exerzitienbegleiter oder der Begleiterin werden diese inneren Regungen angeschaut. Es gilt zu erspüren, inwiefern hier Gott am Werk ist und in welche Richtung Er einen Menschen führen möchte. Das braucht Zeit und Erfahrung, um unterscheiden zu können.

Es kommt aber auch vor, dass sich jemand zu Exerzitien anmeldet, weil er vor einer Entscheidung steht. Er bringt bereits eine Frage mit. Und er erhofft sich, während der Exerzitien Klarheit und Sicherheit geschenkt zu bekommen. Wenn dies in den Exerzitien möglich ist, dann ist das ein echtes Geschenk. Es kann aber auch sein, dass es keine eindeutige Lösung gibt. Dann ist vor der Entscheidung noch ein wichtiger Zwischenschritt notwendig. Es gilt zu unterscheiden. Davon soll im nächsten Beitrag die Rede sein.

Pfr. Dr. Michael Kleinert

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