Brennende Kerzen haben alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer von„Exerzitien im Alltag“ zum Abschluss des ersten gemeinsamen Abends im Velburger Pfarrheim in die Mitte ihrer Runde gestellt. Auch Pastoralreferentin Christina Noe vom Exerzitienreferat (Bild) macht keine Ausnahme.
Foto: KiZ Gess
Hektik durchbrechen
Zwei Dutzend Stühle haben Michael Kleinert und Christina Noe im Kreis aufgestellt. Wie viele Personen zum Info-Treffen kurz vor Beginn der Fastenzeit kommen werden, ist noch offen. „Gestern, in Ingolstadt-Gerolfing waren es 23 Leute“, erzählt Pfarrer Kleinert, „das ist eine gute Zahl“. Schließlich soll jeder noch genügend Möglichkeit haben, persönlich zu Wort zu kommen. Gefreut hat den Leiter des Exerzitienreferats, dass Interessierte aus allen Ingolstädter Pfarrgemeinden in der Runde saßen, um sich die diesjährige
Fastenzeit hindurch „auf einen gemeinsamen geistigen Weg zu machen“. Worum es dabei geht? „Dass ich meine ganz alltäglichen Situationen, das Miteinander, prüfe, und frage: Wo kann ich da Gott entdecken“, erläutert Kleinert. Der Entschluss, Exerzitien im Alltag zu machen ist zugleich eine gute Gelegenheit, die alltägliche Hektik und Hetze zu durchbrechen, innezuhalten, die alltäglichen Gewohnheiten zu überdenken: Muss ich beim Frühstück mit der Familie eigentlich Zeitung lesen oder Fernsehen? Bliebe auf dem Rückweg vom Einkaufsbummel nicht vielleicht Zeit, zehn Minuten Andacht in der Kirche zu halten? Hinzu kommt die Bereitschaft, sich täglich eine feste „Auszeit“ von einer halben Stunde morgens und abends zehn Minuten zum Beten und Nachdenken zu nehmen, seine ganz persönliche Beziehung zu Gott zu pflegen und zu stärken. Und schließlich ist auch der wöchentliche Austausch mit der ganzen Gruppe fester Bestandteil der Exerzitien im Alltag.
Wieder-Entdeckung
Dieses Angebot für gestresste Menschen von heute, die mitten im Leben stehen, ist keineswegs neu, wie man vermuten könnte. Schon der heilige Ignatius von Loyola (1491 - 1556) wies in seinem Exerzitienbuch darauf hin, man möge Menschen, die nicht die Möglichkeit haben, sich zum Beten in ein eigens dafür vorgesehenes Haus zurückzuziehen, anleiten, eine halbe Stunde am Morgen zu beten und somit die Einheit von alltäglichen Leben und christlichem Glauben zu finden. Vor etwa 20 Jahren sei der Gedanke der „Exerzitien im Alltag“ von den Jesuiten und der „Gemeinschaft Christlichen Lebens“ (GCL) neu belebt worden, berichtet Pfarrer Kleinert. Und es gehe dabei um nicht mehr und nicht weniger, als „Gott da sein zu lassen in meinem Alltag“.
Sechs Wochen auf Tour
„Exerzitien im Alltag“ gehörten bereits in der vergangenen Advents- zeit zum Angebot des neu geschaffenen diözesanen Exerzitienreferats mit Sitz in Hirschberg. Feste Gruppen trafen sich in Stein bei Nürnberg, in Georgensgmünd, Mühlstetten und Hirschberg. In der Fastenzeit haben Michael Kleinert und Christina Noe mit Ingolstadt, Velburg und Etzelwang im Dekanat Kastl nun neue Ziele angesteuert. „Wir sind praktisch sechs Wochen lang Montags, Dienstags und Mittwochs in der Diözese unterwegs“, erzählen Noe und Kleinert, die an den wöchentlichen Gemeinschaftsabenden stets dabei sind. Aber sie nehmen die vielen Fahrtengern in Kauf, weil sie sehen, dass ihr Angebot von den Leuten mit Interesse angenommen wird. Auch in Velburg füllt sich der Pfarrsaal zusehends. Und das Lied, das Christina Noe zum Einstieg auf der Gitarre anstimmt, spricht wohl vielen der 14 Frauen und zwei Männer aus der Seele: „Komm herein und nimm Dir Zeit für Dich“. Bald darauf wird es für kurze Zeit mucksmäuschenstill im Raum. Pfarrer Kleinert hat die Teilnehmer-Runde angeleitet, wie sie völlig still und zugleich unverkrampft dasitzen, die Gedanken des Alltags hinter sich lassen und in sich hineinhorchen können.
Mein Leben und Gott
Im folgenden Teil des Abends bekommen die Anwesenden die Gelegenheit, zum Gedankenaustausch: Was erwarte ich mir von den Exerzitien? Wie ergeht es den anderen? Wie viel man erzählen möchte, „das bleibt jedem einzelnen überlassen“, schildert Pfarrer Kleinert. Eine Vielzahl großformatiger Fotos mit allen erdenklichen Motiven, die Noe und Kleinert zuvor rund um den Stuhlkreis ausgelegt haben, soll den Einstieg in die
Gesprächsrunde erleichtern. Jeder ist aufgefordert sich ein Motiv auszusuchen, in dem er sich „wieder findet“. Manche entscheiden sich ganz schnell, andere grübeln lange über ein passendes Bild. Viele haben sich Natur-Aufnahmen ausgesucht. Ein stiller See, an dessen Ufer ein Boot vertäut ist, „da möchte ich hinausfahren und Ruhe suchen“, überlegt eine Frau. Eher trüb erscheint das Gewässer auf dem Bild einer anderen Teilnehmerin, „so wie das Leben auch manchmal seine trüben Seiten hat“. Eine junge Religionslehrerin und
Mutter hat das Osterfest vor Augen, wenn sie auf ihr Bild blickt: Sonne, die strahlend aus
einer Wolkendecke hervorbricht. „Darauf möchte ich mich in der Fastenzeit vorbereiten“.
Eine Mittvierzigerin erzählt auf sehr persönliche Weise, warum sie sich das Bild einer anmutig dahinschwebenden Ballerina ausgesucht hat: „Tänzerin zu werden, das
war mein Kindheitstraum“. Es ist beruflich ganz anders gekommen, aber geblieben ist die Sehnsucht, den stressigen Alltag in Einklang mit dem Wunsch zu bringen,
„einmal ganz für mich etwas zu tun“. Dies verspreche sie sich auch von den Exerzitien im Alltag. Überraschenderweise präsentiert die nächste Frau in der Runde ein ganz ähnliches Bild : Eine Turnerin, aus deren Bewegung pure Leichtigkeit spricht, „ich dagegen bin ein Mensch, der immer alles etwas schwerer nimmt“. Auch Pfarrer Kleinert nimmt nun zu drei Fotos Stellung, die in der Mitte der Runde ausgelegt sind. Ganz unspektakuläre Szenen sind es auf den ersten Blick: ein Büroschreibtisch, ein gedeckter Frühstückstisch, Passanten in einer Einkaufsstraße. Und doch sagen diese Momentaufnahmen etwas Wesentliches über Exerziten im Alltag aus.
Austausch und Impulse
Während sich bei „klassischen“ Exerzitien Menschen in ein Haus zurückziehen und schweigen, „versuchen wir das über die fünf Wochen der Fastenzeit daheim, in der Arbeit, in Begegnungen“, erläutern Michael Kleinert und Christina Noe und ermuntern zur „Spurensuche“ in konkreten Situationen: Als ich den Streit mit meinem Arbeitskollegen hatte, als ich mich über ein überraschendes Kompliment freute ... wo war da Gott?
Neben dem Tagesrückblick ist die feste Gebetszeit von 30 Minuten täglich ein wichtiges Element von „Exerzitien im Alltag“. Und dabei werden die Teilnehmer des Kurses nicht alleingelassen. „Wir geben ihnen jede Woche Impulse mit in den Tag“, verweist Christina Noe auf eine Mappe, die an die ganze Gruppe ausgeteilt und bei jedem Treffen ergänzt wird durch Anregungen zum persönlichen Innehalten, wie etwa Bibelstellen, Gebete, Psalmen, Bilder oder Stille-Übungen. Vor dem nächsten Gruppenabend legen Michael Kleinert und Christina Noe, die im Bedarfsfall auch Einzelgespräche anbieten, der Runde noch eine wichtige Grundregel ans Herz: Die Bereitschaft, sich gegenseitig auszutauschen, setze einen geschützten Raum voraus, „aus dem nichts hinaus getragen wird“. Denn, „nur so kann Offenheit und Vertrauen wachsen“.
Gabi Gess
Zum Thema
Eine bunt gemischte Teilnehmer-Runde
Exerzitien im Alltag kommen an bei den Gläubigen. „Wir sind mit dieser großen Resonanz sehr zufrieden“, freut sich Pfarrer Dr. Michael Kleinert vom Exerzitienreferat der Diözese angesichts der Zahl von Frauen und Männern (Gerolfing 23, Velburg 18, Etzelwang 22), die sich in der Fastenzeit regelmäßig treffen. Erfreulich sei diese hohe Zahl auch deshalb, „weil in den meisten Orten, in denen wir sind, die Exerzitien im Alltag erstmals angeboten werden“. Altersmäßig sind die drei Exerzitien-Gruppen, die sich einmal wöchentlich treffen, bunt zusammengesetzt. Älteste Teilnehmer sind zwei Eheleute Jahrgang 1924, die jüngste Teilnehmerin ist 1975 geboren. Sehr stark, so die Erfahrung Kleinerts, sind die Jahrgänge 1950 bis1970 vertreten. Und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen aus allen Bildungs- und Berufsschichten, von der Rentnerin bis zum Ingenieur Diese bunte Zusammensetzung sei typisch für Exerzitien, erläutert Kleinert und findet es bereichernd, „dass die Lebenserfahrungen verschiedener Generationen zusammenfließen und sich austauschen“. Es tue den Teilnehmern gut zu spüren: „Junge und Ältere machen sich betend und suchend auf den Weg. So werde „Kirche und christlicher Glaube lebendig erfahren“. gg
Quelle: Erschienen in der KiZ Nr. 11 vom 14. März 2004