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Hoffnungsschimmer in der Nähwerkstatt

Die gebürtige Herriedenerin Teresa Göppel-Ramsurn eröffnet Frauen in Mumbai neue Perspektiven

Am 1. Oktober ist sie wieder nach Mumbai geflogen. Obwohl es für Teresa Göppel-Ramsurn der mittlerweile siebte Besuch in  der indischen Millionenstadt ist, „ist es immer noch aufregend und ich bin jedesmal leicht nervös“, meinte sie kurz vor ihrer Abreise im Gespräch mit der KiZ. Im Gepäck der 32-jährigen Schneidermeisterin und Designerin sind die Musterteile ihrer neuen Modekollektion. Aber Göppel-Ramsurn, die aus Herrieden stammt, lässt nicht etwa in stickigen, einsturzgefährdeten Textilfabriken nähen, in denen Frauen für einen Hungerlohn arbeiten. Nein, sie hat mit zwei Gleichgesinnten eine kleine Nähwerkstatt für „humanitäre Mode“ gegründet, in der ehemalige Zwangsprostituierte Ausbildung und fairen Lohn erhalten. Für ihren Einsatz ist sie heuer als eine von fünf Preisträgerinnen mit dem Ellen Ammann-Preis des Katholischen Deutschen Frauenbunds (KDFB) Bayern geehrt worden.

Glitzerwelt mit Fehlern

Der Frauenbund hat für die junge Frau ein ganz persönliches Gesicht, ist doch ihre Mutter Rosalinde Göppel Diözesanvorsitzende des Eichstätter KDFB. Darüber hinaus hat Göppel einst den Eine Welt-Laden Herrieden mit aufgebaut und damit bei der Tochter Interesse am fairen Handel geweckt. Nach dem Abitur wollte Teresa, die immer gern gezeichnet hatte, Modedesignerin werden, was üblicherweise zunächst eine Schneiderlehre voraussetzt. „Dabei habe ich gemerkt, dass mir das Nähen megamäßig Spaß macht“, erzählt sie. So brachte sie es bis zur Schneidermeisterin, ehe sie an der Deutschen Meisterschule für Mode in München Design studierte. Doch dem Traum, bald mit eigenen Entwürfen auf den Laufstegen Furore zu machen, folgte bald Ernüchterung. Bei mehreren Praktika – bei einer Designerin in London oder bei Modenschauen in Paris – entdeckte Teresa die Schattenseiten der Branche, in der nächtelang gearbeitet wurde, stets reichlich Alkohol floss und in der es letztlich „immer nur um den schönen Schein“ gegangen sei: „Mir wurde klar, dass ich das nicht mein Leben lang machen möchte.“

Um sich über ihren künftigen Weg klar zu werden, nimmt sich die frischgebackene Designerin nach ihrem Abschluss ein Jahr Auszeit und reist nach Australien. Göppel-Ramsurn, eine ehemalige Herriedener Ministrantin, hatte während ihrer Design-Ausbildung  begonnen, sich intensiver mit dem Glauben auseinanderzusetzen und sich dabei inmitten der Modeszene „ziemlich einsam gefühlt“. Nun, auf dem fünften Kontinent, schließt sie sich in einer Art Glaubensschule Gleichgesinnter an und  leistet zum Abschluss zwei Monate Freiwilligen-Einsatz in Indonesien. Sie erlebt dort das Übel Menschenhandel und Zwangsprostitution hautnah, „und ich hab’ Menschen kennengelernt, die halfen“. Die Kombination von Mode und sozialem Engagement, „die Idee hat mich damals gepackt“.

Sie erkundigt sich bei Hilfsorganisationen  nach sinnvollen Standorten und tut sich mit einem jungen Ehepaar aus Stuttgart zusammen. Sie gründen eine gemeinnützige GmbH und benennen sie nach dem englischen Wort „glimpse“ – was auf Deutsch soviel wie kurzer Augenblick oder Funke bedeutet. Denn ihre Arbeit soll einen kleinen Hoffnungsschimmer in das Leben benachteiligter Frauen bringen.

Jeder der drei hat feste Aufgaben im Leitungsteam. Juristin Nathalie Schaller ist für organisatorische Fragen zuständig, Mediendesigner Simon Schaller managt die Homepage, Teresa entwirft Kleider, Blusen, Hosen. Sie sind Geschäftsführer ohne Gehalt, arbeiten ehrenamtlich, stecken sämtliche Verkaufserlöse gleich wieder in die Firma und werben zusätzlich noch Spenden.  Denn es sind etwa 10.000 Euro pro Monat nötig, um das Projekt in Mumbai am Laufen zu halten. „Am Anfang waren wir so enthusiastisch, dass wir gar nicht über Geld nachgedacht haben“, gibt Göppel-Ramsurn zu.

Die Stoffe, allesamt Bio- und Fair-zertifiziert, kauft sie in Indien und lässt sie gleich an die Nähwerkstatt liefern. Die Musterteile werden mit Unterstützung einiger Fachkräfte im Münchner Atelier gefertigt.

Zweimal im Jahr fliegt Göppel-Ramsurn damit für bis zu zwei Wochen nach Mumbai und schaut den etwa 15 Näherinnen eine Zeitlang über die Schulter. Von den einheimischen Projektleitern, die sich um die Nähwerkstatt kümmern, weiß sie zwar von den Schicksalen der früheren Zwangsprostituierten,  die an Bordelle verkauft, misshandelt, unter Drogen gesetzt worden sind, aber im direkten Kontakt zu den Näherinnen, „da bleibt’s unausgesprochen“.

Hilfsorganisationen haben die Frauen aus den Fängen ihrer Zuhälter befreit und sie vorübergehend in Schutzhäusern untergebracht. Aber dann brauchen sie eine Perspektive, die ihnen eine Ausbildung in der Nähwerkstatt bieten soll. Kein einfaches Ziel, sind doch die Frauen und Mädchen nicht nur häufig traumatisiert, sondern auch ganz unterschiedlich begabt. „Ziel ist es, dass sie mindestens drei Jahre bei uns bleiben und wir sie fit machen in der Zeit“, erklärt Göppel-Ramsurn die sehr betreuungsintensive Arbeit. Neben der Berufsausbildung bekommen die Frauen auch Mathe- und Englischunterricht und werden von  einer Sozialarbeiterin betreut.

Nur mit Gottvertrauen

Zu Göppel-Ramsurns Atelier in München gehört auch ein Laden. Ein weiteres Dutzend Geschäfte in ganz Europa führen Mode von „glimpse“. Hauptsächlich läuft der Verkauf aber übers Internet. „Mittlerweile sind wir über die sozialen Medien schon ziemlich bekannt geworden.“ Unter „www.glimpse- clothing.com“ können sich Interessierte über die Ziele der gemeinnützigen GmbH informieren.

Zu deren größten Fans zählen mittlerweile Göppel-Ramsurns Eltern. Die seien anfangs schon ein wenig besorgt über ihre ungewöhnlichen Pläne gewesen, erzählt die frisch verheiratete 32-Jährige. „Aber letztlich habe ich sie überzeugt.“  Permanent bekommt ihre Firma inzwischen Bewerbungen von Modeschülern, die ein Praktikum in Indien machen möchten. Pro Halbjahr kommen zwei zum Zug und treten das Abenteuer im Moloch Mumbai an, von dem Göppel-Ramsurn bei ihrem ersten Besuch „ziemlich schockiert“ war. Gottvertrauen? Ja, das habe sie auf jeden Fall gebraucht, meint sie. „Sonst hätten wir gar nicht angefangen und, wer weiß wie oft, schon wieder aufgehört.“

Gabi Gess, Kirchenzeitung Nr. 40 vom 4. Oktober 2015