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Die Lieder der Müllbergkinder

Ein Musikdrama über philippinische Slumkinder als globales Lernprojekt / Premiere in Eichstätt

Glaube versetzt Müllberge“, so lautete der Aufmacher auf der missio-Zeitschrift vom September 2003. Eine unübersehbar große Müllhalde, im Vordergrund drei ernste, dünne Jungen, Schmutz an Armen und Knien, um die Beine Lumpen gebunden. Ein verzerrtes Lächeln für die Kamera. Das Leben der Kinder, die auf und vom Müll in Manila leben, denen der Steyler Pater Dr. Benigno Beltran Hoffnung gibt, wurde hier beschrieben.

In der Kammeroper „Die Lieder der Müllbergkinder“ hat der emeritierte Professor für Religionspädagogik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Engelbert Groß, die Liedtexte eben jenes Pater Beltran zur Grundlage eines Librettos gemacht. Die Musik schrieb Steven Heelein. Er ist Dozent für Chor- und Orchesterleitung an der Hochschule für katholische Kirchenmusik und Musikpädagogik in Regensburg.

Musik, Text, Spiel

Hinter den zurückgezogenen Vorhängen der Theaterbühne in der Aula der Realschule Rebdorf ist Rascheln zu hören. Stimmen. Im Auditorium sitzt der Regisseur. Steven Heelein schwingt die Arme nach oben und erklärt den Darstellern, dass sie einatmen sollen, wenn er die Arme hebt, ausatmen, wenn er sie wieder senkt. Der Musikdozent probt mit den Jugendlichen der Schauspielgruppe der Schule des Caritas-Kinderdorfs Marienstein und mit Schülerinnen der Ballettschule Berching. Die Musiker – das Kammerensemble für Neue Musik Regensburg – proben dort.

Brian vom Kinderdorf Marienstein spielt eines der Kinder, die auf dem dampfenden und stinkenden, riesigen Müllberg von Manila leben. Manche von ihnen sind gerade zwei Jahre alt. Er rennt auf die Bühne. Weiter hinter eine gedachte Linie soll er. Die Scheinwerfer leuchten ihn so aus, dass er nur hinter dieser Linie gut zu sehen

sein wird. Seine Lehrerin, Silvia Fischer, erklärt kurz. Während ihr Kollege Wilhelm Schütz, der bisher mit den Kindern in der Schule geprobt hat, die anderen Jugendlichen daran erinnert, dass auch ihr Flüstern im Publikum zu hören sein wird. Dass sie die ernsten, düsteren Worte der Verzweiflung deutlich, langsam und mit Pausen sprechen soll, macht Regisseur Heelein der Darstellerin, die die Julia spielt, deutlich. „Wer weiß denn schon, wer kennt denn schon den Kampf, den diese Menschen kämpfen?“ heißt es im Text, den die Erzählerin liest. „Meine Lungen sind böse verrußt vom ätzenden Qualm des brennenden Abfalls. Meine Augen sind gelb, meine Leber ist kaputt.“

In diesen Texten wollte Pater Benigno Beltran den Kindern und Jugendlichen, die auf dem Müll leben müssen, eine Stimme geben. Der Steyler Missionar kam 1987 nach Smokey Mountains, wie die riesigen Müllberge in Manila auf den Philippinen heißen. Für den Initiator des Musikdramas, Engelbert Groß, ist das gegenseitige Lernen von Menschen aus der sogenannten Ersten und Dritten Welt wichtig. Er betont die Bedeutung des Beitrags der Jugendlichen des Kinderdorfs Marienstein. Diese Kinder und Jugendlichen stünden oftmals auch am Rand der Gesellschaft wie eben jene, die sie darstellten.

Gegenwart offenlegen

Nadine Buka-Mambu ist 15 Jahre. Sie lebt inzwischen in einer Außenwohngruppe des Kinderdorfs Marienstein in Weißenburg, besucht dort die Schule für Kinderpflegerinnen. Sie hat ein festes Ziel: Krankenschwester werden. Eigentlich spielte zunächst ihr Bruder mit. Als er ausstieg, sprang sie ein: „Das Spielen macht mir großen Spaß. Aber wichtig ist, dass die Leute etwas von der Situation der Kinder dort erfahren. Sonst bringt das ja nichts. Es soll etwas verändert werden.“

Julia Koderer von der Ballettschule in Berching choreographierte zusammen mit den Lehrern Fischer und Schütz, die an der Schule des Kinderdorfs Marienstein unter richten. Sie erzählt, dass die gemachten Erfahrungen während der Jugendkulturtage in Eichstätt, das Zusammenspiel von Ballettschule und der Schule des Kinderdorfs Marienstein ermöglicht hätten. Der Regisseur ist auch der Komponist der Kammeroper. Auf die Frage, wie er an das Vertonen eines solchen Librettos herangegangen sei, erklärt Heelein: „Ich wollte bei diesem schweren Thema der Chancenlosigkeit, die dennoch umgewandelt wird, keine populäre Musik darüber mischen. Es soll nicht sozusagen parfümiert werden.“ Die Aufgabe der Musik sei es, die Gegenwart offen zu legen, nicht

zur Schau zu stellen, aber auch nicht zu beschönigen. Sind diese Texte, die von der Grausamkeit, der Misshandlung, dem Missbrauch der Kinder auf dem Müllberg erzählen, nicht eine Zumutung für die Kinder, die sie darstellen? Steven Heelein verneint: „Es ist eher eine Zumutung, dass man Kinder bewusst dumm hält. Man muss Kinder dazu bringen, dass sie verstehen, was vor sich geht.“

Eichstätts Bischof Dr. Gregor Maria Hanke OSB schrieb Prof. Groß zum Projekt, er freue sich, dass diesen kaum wahrgenommenen Kindern Gehör verschafft würde: „Es ist ein Dienst, der zugleich auch eine öffentlichkeitspädagogische Wirkung entfaltet.“    

Ulrike Schurr-Schöpfel, Kirchenzeitung Nr. 18 vom 5. Mai 2013