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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Wer aber ohne Sünde ist ...

Fünfter Fastensonntag, 17. März 2013

Wer ohne Sünde ist ...“ – ein Satz, der aufhorchen lässt. Wer soll denn das sein? Kein Mensch ist ohne Sünde! Diese Erkenntnis führt mitten in den Kern dieser sekundär in das Johannesevangelium eingefügten Erzählung. In ihr geht es um Recht und Gerechtigkeit, um Schuld und deren Eingeständnis, um Vergebung und Neuanfang.

Werfen wir einmal einen Blick auf die Hauptakteure. Da sind zunächst die Pharisäer. Zur Zeit der Verschriftlichung der Evangelien wird diese Gruppe, die sich darum bemüht, streng nach dem Willen Gottes zu leben, dazu genutzt beziehungsweise benutzt, um eine gewisse Härte und manchmal auch Selbstgerechtigkeit zum Ausdruck zu bringen. Diese Menschen scheinen nur die Vergehen zu sehen und fordern deren öffentliche Bestrafung, den Menschen, den sie vor sich haben, verlieren sie dabei aus dem Blick. Für den Moment geht es ihnen nur um Paragraphen, um eine buchstabengetreue Auslegung des Gesetzes. Aber dann trifft sie das Wort Jesu: „Wer ohne Sünde ist ...“ (Joh 8,7) – und sie lassen sich betreffen. Die Pharisäer erkennen: wir sind nicht ohne Schuld, wir können daher auch andere nicht vorführen, beschuldigen, mit unseren Vorurteilen belegen. Als sie das verstehen, gehen sie, kehren sie um, die Weisesten zuerst! Die Weisheit, die Selbsterkenntnis und die Ehrlichkeit tragen den Sieg über jede Form der Selbstgerechtigkeit davon.

Die Frau war die ganze Zeit in der Mitte ohne nur ein Wort gesprochen zu haben. Sie weiß, dass sie eine Verurteilte ist, eine, die für die Menschen um sie herum bereits „gestorben“ ist. Zum Leben erwacht sie, als Jesus sie anspricht. Voll ins Leben kann sie zurückkehren, als sie hört, dass ihr Vergebung geschenkt wird. Ob und wie ihr Neuanfang gelingt – darüber schweigt der Text.

Auch Jesus scheint eher am Rande dieser Szene zu stehen. Durch sein Tun – was er auf den Boden malt, wissen wir nicht – vermittelt er den Eindruck, sich aus den zwischenmenschlichen Streitereien heraus zu halten. So lässt er sich von keiner Seite in eine Rolle drängen. Er hört einfach zu. Seine Worte sind keine Moralpredigt, sondern Fragen; Fragen, die von den Anwesenden eine persönliche Antwort verlangen. Anstelle von Verurteilungen fordert Jesus alle zur Umkehr auf – der Frau gibt er dazu das erlösende Wort mit auf den Weg: „Auch ich verurteile dich nicht!“. So gibt er ihr die Chance zu einem echten Neubeginn.

Hier bricht die Erzählung ab, wie es weiter geht, erfahren wir nicht. Sicher ist nur: Das Leben der Akteure geht weiter, aber die Begegnung mit Jesus hat sie verändert. Sie haben jeder und jede auf die je eigene Weise erkannt: Es gibt im Leben keine Einteilung in Heilige und Sünder, alle brauchen die Chance, in der Begegnung mit Jesus, dem Christus, eine heilvolle Unterbrechung ihres Alltagstrotts zu erfahren, damit sie ihre lebenszerstörenden Gewohnheiten sehen, bekennen und ablegen können. Nehme ich wie die Pharisäer und die Frau dieses Angebot Gottes an?

Barbara Bagorski, Kirchenzeitung vom 17. März 2013

Lesungen zum fünften Fastensonntag am 17. März 2013