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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Sich selbst als Gabe geben

Dieses Evangelium ist uns allen wohlbekannt. Jedes Mal, wenn ich es höre,  werde ich in meinem Gewissen angesprochen. Was gebe ich eigentlich? Mit wem teile ich? Gebe nicht auch ich nur etwas von meinem Überfluss, und gerade so viel, dass es nicht weh tut?
Es gibt in unserer Gesellschaft seit längerem eine wachsende Mentalität des Teilens. Die  sogenannte Sharing-Economy nimmt ganz  neu das Gut des Teilens in den Blick. Alles kann heute geteilt werden, nicht nur das Geld. Es werden Autos, Fahrräder, Wohnungen,  Betten, Zugfahrten, Lebensmittel und vieles mehr geteilt. Eigentlich eine gute Sache!  Zumindest wächst hier das Bewusstsein, dass Einzelne in unserer Gesellschaft so viel haben, dass sie auch anderen gut etwas davon abgeben können.

Allerdings hat diese neue Bewegung, der  sich vor allem junge Leute anschließen auch  einen Haken. Geteilt wird nur im Empfang  eines Gegenwertes. So kann ich beim Car-Sharing mein Auto jemandem für eine Zeit überlassen, der mir dann einen Geldbetrag überlässt. Ich bekomme also etwas dafür, dass ich teile, meine Gabe wird belohnt. Wir alle wissen ja, dass der Staat sogar Spenden belohnt, sie sind von der Steuer absetzbar.
Eine solche Spendenbereitschaft und ein  solches Teilen, wie wir es gewohnt sind, sind im Evangelium nicht gemeint. Die arme Witwe spendet, ohne dafür etwas zurück zu bekommen. Sie gibt einfach alles. Wie dumm – würde mir mein Steuerberater sagen. Und tatsächlich ist ein solches Verhalten zu extrem, um gesellschaftlich honoriert werden zu  können.

Andererseits machen mich die Ängste, die zurzeit in unserem Land wachsen, bezüglich der Flüchtlingszuströme, auch nachdenklich. "Wir können nicht alle aufnehmen", "Auch wir brauchen genug zum Leben", "Wer soll das alles bezahlen?", "Wieso soll ich mein schwer verdientes Geld mit jemandem teilen, der nicht deutsch ist?" – diese und ähnliche Aussagen schwirren durch Zeitungsberichte und Nachrichtensendungen und verbreiten eine schwelende Untergangsstimmung. Sogar Politiker der großen Parteien schließen sich zum Teil solchen Meinungen an!

Warum aber sollen wir nicht teilen? Wer sagt denn, dass wir nicht mehr genug zum Leben haben? Und wer behauptet, dass wir nicht noch viele Reserven haben, von denen andere profitieren können? Das ist jetzt sicherlich sehr pauschal und naiv gedacht. Ebenso aber denkt auch Jesus im Evangelium.

Er stellt die arme Witwe seinen Jüngern als Vorbild hin. Und wir alle wissen, dass ärmere Menschen oft leichter zum Teilen bereit sind und man von den Reichen "das Sparen lernen" kann. Entgegen der Panikmache in unserer Gesellschaft, die nicht nur in Pegida-Demonstrationen auftritt, sondern vielleicht auch in unseren Herzen schlummert, könnten also auch wir über diese Witwe staunen. Sie opfert völlig unauffällig ihren Lebensunterhalt. Es ist ja ein purer Zufall, dass Jesus sie beobachtet und ihr Verhalten würdigt.
Es gibt so viele Helferinnen und Helfer in unserem Land und in unseren Kirchen, die mit anpacken und weder Zeit noch Kraft berechnen. An ihnen möchte ich mich orientieren und nicht an denen, die schlechte Stimmung machen. Diese Menschen sind für mich wie die Witwe im Evangelium. Sie stehen für eine Gesellschaft, wie ich sie mir ersehne, eine Gesellschaft, in der Menschen sich selbst als Gabe geben.

Dr. Bettina-Sophia Karwath, Kirchenzeitung vom 8. November 2015

Lesungen zum 32. Sonntag im Jahreskreis am 8. November 2015