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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Mit Jesus im Boot

Wer mit Jesus im Boot ist, braucht keine Angst zu haben! „Das stürmische Wasser wird zum Bild für die Unruhe und Katastrophen des Lebens, der schlafende Gottessohn zum Bild für die Ruhe Gottes“ – so bringt Klaus Berger die beiden Pole der Perikope vom „Sturm auf dem See“ auf den Punkt.

Um den tieferen Sinn der Textstelle verstehen zu können, muss man sich zunächst einmal bewusst machen, dass plötzlich eintretende Stürme auf dem See Genezareth aufgrund derklimatischen Bedingungen keine Seltenheit sind und dass die wilde, formlose Macht des Wassers vielen alten Völkern etwas wie das widergöttliche Chaos zu sein schien, dem der Mensch hilflos gegenüberstand. Die Dramatik der beschriebenen Szene wird aber noch einmal erhöht durch den Hinweis, dass Jesus hinten im Boot auf einem Kissen lag und schlief: wahrscheinlich hatte er das Steuer übernommen und war auf dem Kissen auf der Bank des Steuermanns eingeschlafen! Kein Wunder, dass die Jünger in all ihrer Aufregung und Angst vorwurfsvoll aufschreien: „Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?“ Es ist die Theodizeefrage, die Frage, wie sich das Leid in der Welt mit dem Glauben an einen gütigen, liebenden und allmächtigen Gott vereinen lässt, die hier anklingt.

Jesu Auftreten weist die Richtung, in der eine Antwort auf diese Frage zu suchen ist: Mit zwei kurzen Befehlen gebietet er dem Toben der Elemente Einhalt. Solches Schelten der Elemente, das Bändigen ihrer Wut gehört zur Offenbarung des Schöpfer- und Heilsgottes im ganzen Alten Testament (vgl. auch die erste Lesung und den Antwortpsalm der Messfeier). Jesus zeigt dadurch: Gott schläft nicht! Er ist da! Er ist da, wenn wir Menschen ihn anrufen! Und sobald wir ihn anrufen, kommt die Welt schon wieder etwas mehr in Ordnung! Im Evangelium tritt „völlige Stille“ ein. Doch das schweigsam staunende Lauschen der Jünger wird unterbrochen von der Frage Jesu: „Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?“ Es ist den Jüngern eine ernsthafte Mahnung für alle Zukunft, eine Anfrage an und eine Aufforderung zum Glauben trotz und in allen Stürmen (des Lebens), die noch über sie hereinbrechen werden!

Aber was bedeutet das alles nun für uns Menschen heute? Wo und wie können wir den Herrn auf diese Art und Weise anrufen? Klaus Berger gibt einen schönen Hinweis, wenn er schreibt: „Für mich ist die heute vielerorten geschmähte Anbetung des Herrn im Tabernakel ein großes Stück dieser wahrhaft evangeliumsgemäßen Frömmigkeit. Das rote, brennende Licht zeigt an: Hier ist Gott unter Menschen. Das, was Gott immer schon wollte, wenn er im Alten Bund sagte: Ich will ihr Gott sein und sie mein Volk, und ich will unter ihnen wohnen. Eine Zumutung ist dieser Glaube sicherlich, aber eine froh und gewiss machende. Für mich ist die verborgene Gegenwart des Gottessohnes im Tabernakel die wichtigste und leibhaftigste Auslegung des Berichts über den Herrn, der schweigend und doch bergend mitten unter den Jüngern einfach da ist. Der im Bauch des Schiffes sich birgt, ist in Wahrheit der, der uns alle geborgen hält.“

Ein schöner Gedanke: Das Evangelium von der Stillung des Seesturms als Einladung, in den Stürmen des Lebens den scheinbar schlafenden und doch mit all seiner Macht gegenwärtigen Herrn im Tabernakel aufzusuchen – im Vertrauen, dass er das „Ruder meines Lebens“ fest in Händen hält!

Michael Wohner, Kirchenzeitung vom 21. Juni 2015

Lesungen zum 12. Sonntag im Jahreskreis am 21. Juni 2015