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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Die Stunde der Entscheidung

Siebter Sonntag der Osterzeit, 1. Juni 2014

Alles hat seine Stunde“, so heißt es im dritten Kapitel des Buches Kohelet. Die Wahrheit dieses Satzes werden wohl viele von uns bestätigen. Manche Dinge brauchen einfach ihre Zeit zum Reifen. Nicht zu jeder Zeit kann man alles tun.

Es gibt Stunden der Freude und Stunden der Trauer. Es gibt Stunden des Stolzes und Stunden tiefster Demütigung. Für bestimmte Vorhaben oder Gespräche muss man die richtige Stunde abwarten, sonst gelingen sie nicht.

Heute sagt der Herr im Evangelium: „Vater, die Stunde ist da. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht.“

Jesus spricht so in seinem großen Abschieds- und Weihegebet an den Vater vor seinem Leiden und seiner Auferstehung. Er betet so am Ende seines irdischen Lebens, in dem es viele entscheidende Stunden gegeben hatte. Jesus wusste immer, was das Gebot dieser Stunden war. Er wusste, wann es Zeit für ihn war zu reden oder zu schweigen.

Wir erinnern uns an jenes Wort zu Maria bei der Hochzeit in Kana: „Frau, was willst du von mir? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“

Als die Stunde seines öffentlichen Wirkens dann gekommen war, trat er unerschrocken auf und verkündete die Botschaft vom anbrechenden Gottesreich, heilte Kranke und trieb Dämonen aus.

Immer wieder zog er sich zurück an einen einsamen Ort, um zu beten und den Willen des Vaters zu erforschen. Er erkannte, worauf alles hinauslaufen musste. Trotzdem erfasste ihn vor seinem Leiden Todesangst „und er betete, dass die Stunde, wenn möglich, an ihm vorübergehe.“ Inständig betete er zum Vater: „Vater, rette mich aus dieser Stunde! Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen.“

Jesus wusste, nur durch die Stunden des Leidens und der tiefen Gottverlassenheit würde er in die Herrlichkeit gelangen. „Musste nicht Christus alles leiden und so in seine Herrlichkeit eingehen“, sagte später der Auferstandene zu den Emmausjüngern. So wurde die Stunde seines Leidens auch zur Stunde seiner Erhöhung.

So enthüllen sich auch uns die beiden Seiten des Kreuzes: die dunkle und die lichte, die blutige und die glorreiche. In dieser Sicht verstehen wir das Wort des Apostels Paulus: „Freut euch, dass ihr Anteil an den Leiden Christi habt; denn so könnt ihr auch bei der Offenbarung seiner Herrlichkeit voll Freude jubeln.“

Gerade die leidvollen Stunden unseres Lebens können uns helfen, neue Menschen zu werden. Sie befreien uns von den Schlacken falscher Selbstherrlichkeit und menschlichen Hochmuts. Wir stehen vor der beständigen Herausforderung, mit Christus zu sterben, um in ihm neues Leben zu gewinnen. Der Panzer des alten Menschen muss erst aufgebrochen werden, damit der neue Mensch in uns Gestalt annehmen kann.

Wichtig ist, dass wir, nach dem Beispiel Jesu, in diesen entscheidenden Stunden das Gebet nicht unterlassen. Im Gebet bekommen wir Klarheit und Kraft, das Gebot der Stunde nicht zu überhören.

Das wusste bereits die junge Kirche, und so lesen wir von den Aposteln: „Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern.“

Folgen wir ihrem Beispiel! Dann werden wir in den entscheidenden Stunden unseres Lebens erkennen, was Gott von uns will. Auf diesem Weg gelangen wir zu jener Herrlichkeit, in die Jesus uns vorausgegangen ist.

P. Gregor Lenzen CP,Kirchenzeitung vom 1. Juni 2014

Lesungen zum siebten Sonntag der Osterzeit am 1. Juni 2014