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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Der zweite Sohn

Wir nennen es das Gleichnis vom verlorenen Sohn und doch ist es der zweite Sohn, der beim Lesen oder Zuhören der Erzählung Fragen hinterlässt. Er ist der treue  Arbeiter im Weinberg. Er hat sein Leben dafür gegeben, zuverlässig und bescheiden an der Seite seines Vaters zu bleiben. Er hat ihn durch seine Arbeit und Mithilfe unterstützt.

Damit verkörpert der zweite Sohn die christlichen Tugenden der Gerechtigkeit, Klugheit und Mäßigung. Er erinnert an den reichen Jüngling, der alle Gebote gehalten hat und nun fragt, was ihm eigentlich noch fehle. An diesem Punkt wird die Frohe Botschaft bedingungslos, fast hart. Was fehlt, ist die Bereitschaft, alles zu geben und sich selbst dabei nichts anzurechnen. Gott, der barmherzige Vater, schaut nicht auf Verdienste, sondern auf das Herz. Gott rechnet nicht, er zählt keine Sünden, aber er zählt auch keine guten Leistungen. Dass Gott uns vergibt, wenn wir uns verfehlen ist eine große Erleichterung für uns. Denn wir können alle nicht die Hand für uns ins Feuer legen, wir verlaufen uns immer wieder und sind der Umkehr bedürftig.

Doch, dass für Gott nicht die guten Taten zählen – das kann doch nicht sein. Wozu bemühen wir uns dann? Wozu unsere Anstrengungen im guten Sinn, wenn sie nicht am Ende auf  unserem Guthabenkonto stehen?

Wie so oft geht es um unsere innere Haltung, um den innersten Kern der Motivation unserer Handlungen. Ob wir gut oder schlecht handeln hängt nicht ab von unserer eigenen Leistungsfähigkeit, sondern ist im Grunde genommen Gnade und Geschenk. Diese Tatsache kennen vor allem die Heiligen. Sie sind diejenigen, die sich selbst oft als sehr gering eingeschätzt  haben, weil sie ganz tief aus der Überzeugung lebten, dass nur Gott gut ist. Gott heiligt uns und nicht wir heiligen uns selber. Es geht also vor allem darum, unseren Glauben nicht auf unsere Werke zu richten, sondern auf Gott selbst. Er ist es, der uns so geschaffen hat, dass wir gut handeln können. Bei ihm zu  bleiben, das ist unsere Aufgabe und der Sinn unseres Lebens.

So hat der zweite Sohn eigentlich alles richtig gemacht, denn er ist bei seinem Vater geblieben und hat ihm gut gedient. Eines allerdings hat ihm gefehlt. Er hat vergessen, dass es nicht auf seine Leistung ankommt. Vielleicht können wir selbst die Geschichte weiter schreiben, indem wir in uns gehen: Was zählt ist Gottes Liebe und Barmherzigkeit. In seiner Liebe zu bleiben – das macht unser Leben wertvoll.

Dr. Bettina-Sophia Karwath, Kirchenzeitung vom 6. März 2016

Lesungen zum vierten Fastensonntag am 6. März 2016