Zum Inhalt springen

Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Dein Talent ist deine Gabe

In unserem Land wird am heutigen Sonntag der Volkstrauertag begangen. Wir gedenken der Toten der vergangenen zwei Weltkriege. Wenn wir vor ihren Mahnmalen stehen, wenn wir über ihre Gräberfelder blicken, drängen sich uns unwillkürlich Fragen auf: Wozu haben sie gelebt? Wozu sind sie gestorben? Auf welches Ziel hin war ihr Leben ausgerichtet? Das Kirchenjahr neigt sich seinem Ende zu. Die Lesungen dieser letzten Sonntage wollen uns Antwort geben auf die oft quälenden Sinnfragen unseres menschlichen Lebens und Sterbens. Sie wollen uns mahnen, das eigentliche Ziel unseres Daseins zu erkennen, und sie rufen uns zur Wachsamkeit.

Das Evangelium von den Talenten zeigt uns ganz klar die Bedeutung jener Spanne Zeit, die wir unser Leben nennen. Wir dürfen diese Zeit nicht nutzlos vergeuden. Sie ist uns gegeben zur Bewährung. Gott, der Herr des Lebens, hat jeden von uns ins Leben gerufen und ihn mit ganz bestimmten Gaben und Fähigkeiten ausgestattet, seien sie auch noch so unscheinbar. Diese Gaben gilt es zu entwickeln und zu entfalten. Die Gnade Gottes kommt uns dabei zu Hilfe.

Der Jesuitentheologe Karl Rahner hat einmal geschrieben: „Etwas anderes als du kannst, brauchst du nicht zu tun, und wenn es tausend und abertausend Nöte gibt. Aber diese deine Gabe musst du in der Kraft Gottes in der Verantwortung vor ihm wirklich ausnützen.“ Wir dürfen unser Talent also nicht ängstlich vergraben. Gott will keinen Stillstand von uns, sondern ein Voranschreiten. Vor allem geht es um ein Voranschreiten in den christlichen Tugenden, im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe.

Das größte Talent, das wir empfangen haben, ist der Glaube. Wir alle sind durch die Taufe berufen zum Glauben an Jesus Christus. An uns ist der Ruf in seine Nachfolge ergangen und wir haben Anteil an seinem Tod und an seiner Auferstehung. Dieser Glaube an Christus, der durch Eltern, Lehrer oder andere Wegbegleiter weitergegeben und genährt wurde, ist uns nicht einfach für immer geschenkt, sozusagen als bleibender Besitz. Dieser Glaube muss vielmehr das ganze Leben hindurch immer neu erworben werden. Wir müssen uns um sein Wachstum bemühen. Das Samenkorn des Glaubens, das in unser Herz gesenkt wurde, soll sich zu einem kräftigen Baum auswachsen.

Machen wir es nicht so wie der furchtsame Knecht im heutigen Evangelium, sondern wirtschaften wir mit dem Talent unseres Glaubens, damit er sich vermehrt. Haben wir Vertrauen zu unserem Herrn und führen wir ein Leben in seiner Nähe. Im Gebet und beim Empfang der Sakramente spüren wir diese Nähe.

Auf diesem Weg werden wir unsere Talente richtig einsetzen und zur Entfaltung bringen. Hier gilt tatsächlich das im Evangelium aufgestellte Prinzip: „Wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat.“ Gemeint ist damit jener innere Reichtum vor Gott, der von Gott noch durch weitere Gnaden vermehrt wird.

So gerüstet, können wir dem Tag des Herrn mit Ruhe entgegensehen. Dann wird der Herr auch zu uns einmal sagen: „Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn!“

P. Gregor Lenzen CP, Kirchenzeitung vom 16. November 2014

Lesungen zum 33. Sonntag im Jahreskreis am 16. November 2014