Zum Inhalt springen

Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Heute erfüllt sich das Wort

Heute hat sich das Schriftwort erfüllt“ – dieser Satz verbindet das Evangelium vom dritten und vierten Sonntag im Jahreskreis.

Im Evangelium des vergangenen Sonntags hatte Jesus mit den Worten des Propheten Jesaja sein Programm verkündet: ein „Gnadenjahr des Herrn“. Finden seine Worte zunächst bei allen Beifall, so setzt doch auch gleich staunender Zweifel ein: „Ist er nicht (nur) einer von uns?“ Jesus ahnt, dass die Leute in der Synagoge Beweise sehen wollen. Und so beginnt er, mit den Worten Hans Urs von Balthasars, „seine Zuhörer offen zu provozieren. Dass er die Erfüllung aller Weissagung ist, hat er ihnen gesagt; gegen jede Lobhudelei über sein ‘begnadetes Reden’ setzt er sogleich die Aussage, seine prophetische Sprache würde ‘in seiner Heimat’ nicht anerkannt werden; (...) Diplomatisches Leisetreten gerät sehr bald an den Punkt, wo doch nur der Sprung in die Wahrheit weiterhilft.“ Die Verweigerung eines Zeichens lässt die anfängliche Begeisterung der Leute aber schnell in Wut umschlagen. Sie treiben ihn zur Stadt hinaus und wollen ihn umbringen.

Jesus geht es eben um alles andere als Lobhudelei oder Effekthascherei. Anselm Grün betont in seinem Evangelienkommentar, dass Lukas als Beispiel für die Heilung der Kranken nur die Blinden nennt: „Die, die ihre Augen vor der Wirklichkeit verschlossen haben, sollen wieder aufblicken. Sie sollen die Schönheit der Welt mit ihren Augen entdecken. Es ist eigenartig, dass Lukas hier nur das Sehen betont. Aber das Sehen ist für die Griechen der wichtigste Sinn. Gott ist für die Griechen der, der geschaut wird. Der Mensch erlebt seine Würde im Schauen. Doch oft genug ist sein Sehen verschwommen. Der Mensch sieht die Wirklichkeit durch die getrübte Brille seiner Projektionen oder seiner neurotischen Muster. Sein Blick ist verzerrt durch die Illusionen, die er sich von der Welt macht. Wenn er fähig ist, zu sehen, was ist, aufzublicken, um sich frei umzusehen, dann ist er wirklich Mensch.“

Jesus geht es in all seinem Wirken nicht um aufsehenerregende Wunder oder einzelne Taten. Ihm geht es als „Arzt der Seelen“ darum, den Blick des Herzens zu reinigen, die Blindheit der Herzen für die Wirklichkeit zu heilen.

„Stückwerk ist unser Erkennen“, heißt es in der Lesung aus dem Korintherbrief. Aber wer sich mehr und mehr Jesus anempfiehlt, der bekommt einen klaren Blick für die Wirklichkeit und Gottes Wirken in ihr, der kann klar sehen, dass er befreit wird von allen ihn versklavenden Illusionen und Dämonen. Wessen Herz sich öffnet für Jesu gute Nachricht von der Nähe des gütigen Gottes, der erfährt sich reich beschenkt, wird frei, wird aufgerichtet, der erfährt sich als bedingungslos geliebt. Gerade in einer Leistungsgesellschaft, die geprägt ist vom ständigen Streben nach Selbstvervollkommnung, ist das eine Botschaft, die aufatmen lässt.

Auch heute (noch) erfüllt sich das (durch die Kirche verkündete) Wort, wenn durch die lebendige Begegnung mit Christus die Blindheit des Herzens geheilt wird.

Michael Wohner, Kirchenzeitung vom 31. Januar 2016

Lesungen zum 4. Sonntag im Jahreskreis am 31. Januar 2016