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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Die Stille, die Heilung bringt

Während der Kirche heute die Menschen scharenweise davonlaufen, scheuen sie am See Genezareth keine Anstrengung, um ihrem Gründer zu begegnen. Seine Nähe ist etwas so Beglückendes, dass sie sogar vergessen, für das Essen zu sorgen. Was er sagt, fällt tief in sie hinein. Er trifft die Stelle in ihrem Herzen, die ihnen weh tut. Sie hören: Wer Gott in sich leben lässt, für den wird die Welt neu. Selbst wer gar nichts hat, kein Haus, keinen Rang und keinen Titel, wird der erste sein. Die Zuhörer bleiben da, ergriffen, erfüllt, mit Tränen in den Augen. Jesus spürt ihre Not. „Er hatte Mitleid mit ihnen“ (Mk 6, 34).

„Jesus hat mehr das Leid der Menschen interessiert als die Sünde“, sagt der bekannte Theologe Johann Baptist Metz. Dies ist auch der Weg zu den Menschen von heute. Sie sind stolz auf die Freiheiten und fordern noch größere. Kaum wird beachtet, welche Tragödien sich dahinter abspielen. Die Not unserer Zeit schreit uns aus den Schlagzeilen von Illustrierten, mehr noch aus den Beiträgen im Internet entgegen. Es ist das Leid, das gerade mit den Freiheiten einhergeht. Es sind Schicksale mit Enttäuschung, Bitterkeit, Wut, Ausweglosigkeit, schlaflosen Nächten, Einsamkeit, verzweifelten Hilferufen. Man ist allein dem Druck von außen und innen, der Leere, der Angst und der Sinnlosigkeit ausgeliefert.

Die Heilung kommt nicht vom lauten Geschrei, vom äußeren Getue und Gerede. Um dem Leid zu begegnen, braucht es die Bereitschaft, in den Grund der Seele hinabzusteigen, sowohl bei dem, der Hilfe sucht wie bei dem, der helfen will. Jesus sucht jeden Tag die Stille auf, um dort mit der unausschöpfbaren Quelle, dem Vater, in Kontakt zu treten. Wenn er zurückkommt, strahlt er etwas aus, das Menschen anzieht. Dasselbe will er auch seinen Jüngern vermitteln. Deshalb sagt er: „Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind“ (Mk 6, 31).

Die Übung der Stille, etwa in Dietfurt, ist eine wichtige Spur zur Quelle von Kraft. Das Sitzen in Unbeweglichkeit und im totalen Schweigen verändert. Man wird ruhiger, froher, sicherer, erfüllter. Man gewinnt andere Interessen, braucht vieles nicht mehr, die Konflikte beruhigen sich. Man wird offener für die Not anderer, einfühlsamer im Reden und noch mehr im Zuhören. Es entsteht ein Raum des Aufatmens und des Vertrauens, in dem man sein darf, wie man ist. Man braucht nichts mehr  zu verstecken. Auf diese Weise wird die drückende Last leichter. Lebensmut kehrt zurück. Es schwindet die Gleichgültigkeit, die von den anderen abschottet. Man berührt sich in der Tiefe. Eine Kraft beginnt zufließen. Es ist etwas von der Kraft, die von Jesus ausging und die Menschen angezogen hat.

P. Guido Kreppold OFM, Kirchenzeitung vom 19. Juli 2015

Lesungen zum 16. Sonntag im Jahreskreis am 19. Juli 2015