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Öl in ihren Krügen

In der Gruft von St. Walburg in Eichstätt gibt es im Deckengewölbe Fresken in Medaillenform. Alle Bilder behandeln Themen aus dem Alten und Neuen Testament, die in Beziehung zum Ölfluss stehen. Das hier ausgewählte Fresko stellt die Perikope aus dem Matthäusevangelium (Mt 25,1-13) dar, die mich von Kindheit an tief bewegte und mein Leben entscheidend lenkte und prägte: das Gleichnis von den zehn Jungfrauen.

Alle Jungfrauen hatten zunächst dieselbe Absicht, dasselbe Ziel vor Augen. Allen war auch die menschliche Müdigkeit eigen, alle schliefen ein. Doch mit dem endgültigen und unerwarteten Ruf, den alle in gleicher Weise vernahmen, teilte sich die Gruppe in fünf kluge und fünf törichte Jungfrauen. Das Fresko zeigt den frohen, ja bewegten Eintritt der klugen Jungfrauen in den Hochzeitssaal. Sie werden persönlich durch den Bräutigam eingelassen, der ihnen die Tür öffnet, weil ihre Lampen brennen. Sie haben genügend Öl in ihren Krügen, „Oleum in vasis suis“ (Mt 25,4), wie es das Spruchband auf dem Fresko angibt.

Als ich vor 50 Jahren ins Kloster St. Walburg eintrat, durfte ich eine Heilige kennen und lieben lernen, die genügend Öl auf Vorrat zusammengetragen hatte: Walburga. Sie hatte in ihrem Leben ihren Krug reichlich gefüllt mit dem Öl der Liebe, bekundet in den Werken ihrer Mütterlichkeit, in ihrer Hingabe an Gott und an die Menschen, in ihrer Treue im Alltag. Ihr Krug war gefüllt mit Öl, ja überfließend, so dass sie es bis heute weiterschenken darf in Form ihrer liebenden Fürbitte für alle, die in Not sind.

Am Abend des 12. Oktober singen die Schwestern von St. Walburg in der Krypta das Te Deum zum Dank für den in diesen Tagen einsetzenden Ölfluss. Wir danken noch weit mehr für das Vorbild unserer Heiligen, die „Öl in ihrem Krug“ hatte, als der Herr sie rief und die so dem einladenden Bräutigam an der weit geöffneten Tür begegnen durfte.

Text: M. Franziska Kloos OSB, Äbtissin der Abtei St. Walburg, Eichstätt

Erscheinungsdatum: 10. Oktober 2012