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Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB anlässlich des Kirchweihfestes am 16. Oktober 2011 im Eichstätter Dom

Liebe Schwestern und Brüder!

In vielen unserer Ortschaften wurde das Kirchweihfest noch vor Jahrzehnten als festlich-fröhlicher Tag begangen, ja oftmals geradezu auf recht ausgelassene Weise.

Mancherlei Bräuche ranken sich um den Kirchweihtag, angefangen von Besonderheiten des Küchenzettels bis hinein in die ländliche Kultur des Feierns.

Die Kirche als Haus Gottes inmitten der Häuser eines Ortes, die Wohnung Gottes im Alltag der Menschen, Gott als unser Nachbar der Menschen, als unser Mitbewohner, das war für viele unserer Vorfahren Quelle der Freude, das bot ihnen am Kirchweihtag, am Jahrestag der Einweihung des Gotteshauses, Anlass zum Feiern.

Unsere Vorfahren mit ihren oft so einfachen Dorfkirchen hatten intuitiv gespürt: es geht beim Kirchweihfest nicht allein um den Kirchenbau aus Stein, nicht um die Kirche als gesellschaftliche Institution mit Einfluss. Es geht vielmehr um die Kirche als Gemeinschaft des Heils in Jesus Christus. Kirche als Gemeinschaft in Christus ist ein Geschenk Gottes an den pilgernden und suchenden Menschen auch in unseren Tagen. Und wer hätte keinen Grund, sich über solch ein Geschenk zu freuen?

Diese lebendige Christusgemeinschaft verändert in der Tat die Perspektive des Lebens. Sorgen, Nöte, ja selbst der Tod verlieren ihr Gewicht, weil es möglich wird, die Wirklichkeit in dieser Christusgemeinschaft durch Christus hindurch zu sehen, mehr und mehr mit seinen Augen sehen zu lernen. Und dieser Blick reicht über die Beschwernisse des Lebens, reicht über den Tod hinaus in das Leben Gottes hinein.

Es ist wie bei einem Seefahrer, einem Weltumsegler, der am Ende seiner Seereise bereits über das Meer hinausschauen kann und die Küste erblickt. Obwohl das Wasser des Meeres sein Element, das Element seines Schiffes ist, erfüllt ihn der Blick hinaus über den Strand auf das Festland mit Freude.

Liebe Schwestern und Brüder, unser Heiliger Vater Papst Benedikt wollte uns bei seinem Besuch in Deutschland Mut machen, dieser Freude Raum zu geben, dieser Freude, die aus Kirche als Gemeinschaft in Christus erwächst. Die Botschaft des Papstes, zumindest die Grundaussagen seiner Verkündigung in Deutschland, sollten in unseren Pfarreien, in unseren Verbänden, auf den Verantwortungsebenen Eingang finden, um bedacht zu werden.

Für Papst Benedikt kann man nicht der Kirche angehören wie einem Verein. Im Olympiastadion in Berlin stellte er uns das von Christus selbst gewählte Bild des Weinstocks vor Augen: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“. In diesem Verhältnis also sieht der Herr seine Kirche. Zwischen dem Rebstock und dem Zweig muss eine lebendige Beziehung herrschen, muss Leben fließen. Am Weinstock gibt es keine passive Mitgliedschaft, wenn Leben da sein soll. Christus soll also Wurzelgrund des eigenen Lebens sein. Alles im Leben kann mit Christus zu tun haben. Unser Leid, unsere Freude ist dann in ihm aufgehoben, ist bestimmt, reifer Wein zu werden. Ich habe beim Weltjugendtag bei einer der Katechesen den Jugendlichen die Frage gestellt: Was hat denn euer Leben und die verschiedenen Bereiche eures Lebens mit Christus zu tun? Eure Freundschaften, euer Beruf, eure Schule, ja selbst, wenn ihr auf eine Party geht? Was hat das mit Christus zu tun? Wenn wir Zweige am Rebstock Christi sind, dann muss da eine Verbindung herrschen.

In seiner Berliner Predigt im Olympiastadion deutete der Hl. Vater ein solches Verhältnis zu Christus als Inhalt des johannäischen Wortes „bleiben“. Der Evangelist Johannes spricht immer wieder vom „Bleiben“. Bleibt in mir! Bleibt in meiner Liebe. Wer so in Christus bleibt, wer diese enge Beziehung zum Weinstock hat, findet Heimat, Heimat in Gott, Heimat in Schwestern und Brüdern, die durch Christus, den Wurzelstock miteinander verbunden sind zur Kirche.

Bleiben in Christus eröffnet Heimat. Und Kirche soll Heimat sein. Den Jugendlichen, die nach Freiburg kamen, sagte der Hl. Vater, dass die enge Beziehung mit Christus, diese Verbindung mit Rebzweig und Rebstock uns Christus ähnlich macht. Er, Christus, hat von sich gesagt: Ich bin das Licht der Welt. Der Papst fuhr fort: Er verheißt auch denen, die seine engen Freunde werden und sind, Licht der Welt zu sein. Nicht nur Christus ist dann Licht, sondern auch wir.

Nicht der technische Fortschritt, so der Papst, wird die Welt besser machen, wie wir an vielen Krisen und Konflikten heutzutage sehen können. Auch die Bemühung des Menschen, gut zu handeln, ist doch immer wieder der Schwerkraft, der Trägheit und der Versuchung durch das Böse ausgesetzt. Letztlich ist es nicht unsere Leistung, auch nicht die religiöse Leistung, die Licht, die Leben in die Welt bringt, sondern die innige Gemeinschaft mit Christus, das Bleiben an ihm, dem Weinstock und das Bleiben in der Gemeinschaft des Weinstocks, in der Gemeinschaft der Jünger. Er ist das Licht, er ist der Gute, sagte der Papst Sein Lichtsein, sein Gutsein muss uns erfüllen. Und dann fuhr er fort und rief den Jugendlichen zu: „Christus fordert keine Glanzleistungen, sondern möchte, dass sein Licht in Euch scheint. Er ruft Euch nicht, weil Ihr gut und vollkommen seid, sondern weil er gut ist und Euch zu seinen Freunden machen will“.

Kirche als Christi Weinstock, Kirche als Freundeskreis des Herrn, der in diese Welt Leben verströmt, der in diese Welt hinein leuchtet!

Der Hl. Vater hat uns in mehreren Passagen seiner Ansprachen während seines Pastoralbesuches ermuntert, diese innere Wirklichkeit der Kirche zu sehen und nicht an ihrer äußeren Gestalt hängen zu bleiben. Ein einseitiger Blick auf Struktur und Organisation der Kirche lässt sie schließlich als eine der vielen Organisationen der demokratischen Gesellschaft erscheinen. Dann wird die Kirche schließlich an den Gesetzen, Maßstäben und Trends der Gesellschaft gemessen – und entsprechend kritisiert. Und, so fuhr der Papst fort, wenn man dann noch erfahren muss, dass in der Kirche gute und schlechte Fische, Weizen und Unkraut oft nahe beisammen sind, wenn man auf das Negative fixiert bleibt, dann breiten sich leicht Enttäuschung und Frust aus.

In seiner Predigt bei der Abschlussmesse in Freiburg lud uns Papst Benedikt ein zur Haltung des offenen Herzens, das sich von Christi Liebe treffen lässt und aus der Kraft dieser Liebe die Schwester, den Bruder annimmt, besonders jene in Not. Das offene Herz, das sich von Christi Liebe treffen lässt, als Voraussetzung für unser Kirchesein. Und in diesem Zusammenhang stellt er uns gleichsam als geistlicher Vater die Frage: Wie steht es mit meiner persönlichen Gottesbeziehung: im Gebet, in der sonntäglichen Messfeier, in der Vertiefung des Glaubens durch die Betrachtung der Hl. Schrift und durch das Studium des Katechismus der Katholischen Kirche?

Erneuerung der Kirche, so der Hl. Vater, kommt über die Bereitschaft zur Umkehr, zur Umkehr hin zu Christus in seine Gemeinschaft und durch den vertieften Glauben an die Person Christi. Das zeigen alle Reformbewegungen im Laufe der Kirchengeschichte, die geistlich etwas bewegt haben.

An einer anderen Stelle führt Papst Benedikt aus, dass unsere Gemeinschaft mit Christus Teilhabe bedeutet an der Gemeinschaft Christi mit dem Vater. Rebzweig am Rebstock Christi sein verbindet uns also mit der Feuerkraft in Gott, mit der Gemeinschaft der Liebe in Gott selbst. Die Vereinigung mit Christus eröffnet uns den Zugang zu diesem inneren Feuer, zu dieser Lebenskraft Gottes, die der Hl. Geist ist.

Diesen Zugang gewinnt man nicht durch intellektuelle Erkenntnis, nicht durch meditative Übungen noch durch Frömmigkeitsleistungen. Man muss sich diesen Zugang immer neu schenken lassen. Wir können uns nur vorbereiten, aber den Inhalt, den Zugang müssen wir uns schenken lassen durch Menschen, derer sich der Herr bedient, durch die Kirche.

Der oft beschworene Gang in die Natur statt der Sonntagsmesse mag durchaus die Erkenntnis und den Lobpreis des Schöpfers fördern. Aber er führt nicht in die Tiefe der Gemeinschaft zwischen Vater und seinem Sohn Jesus Christus. Die Teilhabe daran ist nicht Selbstbedienung, sondern Geschenk, das uns durch andere, durch die Kirche und in der Kirche vor allem durch die Sakramente und das Wort geschenkt wird.

Auch der Spender der Sakramente, der Priester, kann sich nicht selbst für sich bedienen, sondern auch er braucht den anderen, der ihm das Sakrament spendet.

In den Sakramenten und in der Verkündigung der Kirche tut sich uns der Zugang in die innerste Liebesgemeinschaft Gottes auf. Die Feier der Sakramente will uns beziehungsfähig für Gott und füreinander machen.

Wenn wir Kirche so betrachten, dann ist sie doch der Raum, in dem sich Himmel und Erde jetzt schon berühren. Der Himmel kommt immer neu auf die Erde. Und die Erde, die Welt, wird nicht einfach beiseite geschoben, sondern durch uns zu Gott getragen.

Kirche ist in ihrem innersten Wesen somit ein fortwährendes Fest der Begegnung zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch und zwischen den Menschen, die Zweige am Rebstock Christi sein wollen.

Liebe Schwestern und Brüder, am Kirchweihtag dürfen wir auch sinnenfällig etwas davon spüren. Die Alten vor uns mit ihren Festbräuchen um den Kirchweihtag haben intuitiv etwas von dieser Wahrheit gespürt und wir dürfen diese Tradition gerne fortsetzen. Und vor allem wollen wir heute mit den Worten des Kirchenliedes und immer wieder alle Tage, wenn wir eine Kirche betreten, Gott preisen: „Dank sei dem Herrn, der mich aus Gnad, in seine Kirch berufen hat“ (Christoph Bernhard Verspoell, 1810).