Zum Inhalt springen

Im Wortlaut

Hirtenwort des Bischofs von Eichstätt, Gregor Maria Hanke OSB, zum 1. Fastensonntag, dem 6. März 2022

Liebe Schwestern und Brüder!

Wenn es ein Wort in den letzten Jahren gibt, das immer wiederholt wird und gleichsam als ständiger Appell durch unser Land geht, dann ist es das Wort: Die Kirche muss sich bekehren!

Besonderen Nachdruck verleiht dem Ruf nach Bekehrung in diesen Tagen der Blick auf das große Leid, das Menschen durch sexuellen Missbrauch in der Kirche zugefügt wurde. Hinzu kommen strukturelle Gegebenheiten, die den Tätern bei solch grässlichen Taten oft Deckung ermöglichten, und das Beschweigen der Vergehen durch Verantwortungsträger. Nicht wenige Kirchenmitglieder trauen ihrer Kirche Veränderung nicht mehr zu. Enttäuscht und erschüttert verlassen sie die Gemeinschaft der Kirche.

In dieser tiefen Krise der Kirche sind sowohl konkrete als auch geistliche Veränderungen nötig. Wer als Leitungs-Beauftragter über Jahre hinweg geistlichen und sexuellen Missbrauch in unserer Kirche bewusst übersehen und vertuscht hat, kann diesen Dienst nicht mehr ausüben. Auch strukturell müssen wir dafür sorgen, dass eine Vertuschung durch Verantwortliche nicht mehr möglich ist. Hierzu gehört auch eine ehrliche und schonungslose Aufarbeitung der Vergangenheit.

Zudem bedarf die Kirche eines spirituellen Neuaufbaus. Solche geistlichen Veränderungen setzen den Willen zur Bekehrung voraus. Eine Bekehrung kann nicht verordnet oder beschlossen werden. Eine Bekehrung beginnt und vollzieht sich immer zunächst im Kleinen, im Einzelfall und oft fast unsichtbar und unbemerkt. Wer aber von uns Bischöfen, Priestern, Hauptberuflichen, wer in den Gemeinden fühlt sich durch diesen Aufruf auch persönlich gemeint, und wie kann ein Prozess der Bekehrung einsetzen?

Ich kann zunächst nur für mich selbst als Bischof sprechen. Ich möchte Sie teilhaben lassen an meinem Blick auf die Fastenzeit, die österliche Bußzeit, und Sie einladen, mit mir einzusteigen in den immer wiederkehrenden Lernprozess der Kirche, in das Mühen um einen Haltungswechsel im Geiste Jesu. Der Haltungswechsel setzt ein, wenn in mir zunächst einmal die Sehnsucht nach wahrem Leben Raum gewinnt, die mich den Auftrag des Herrn für mich neu erkennen lässt. So bereitet der Prozess der Bekehrung auch den Nährboden für eine Vision des Kircheseins, das in Gemeinschaft stattfindet.

Zwei Aspekte der Bekehrung, vor der wir jetzt stehen, möchte ich somit uns allen ans Herz legen:

Bekehrung als Zueinander

Es gibt sehr viele Situationen in unserem Leben, in der ich als Bischof, in der wir einer Bekehrung bedürfen. Und es ist die Eigenart der Sünde, dass sie sich fast immer in der Art und Weise äußert, wie ich meine Mitmenschen behandle. Keiner lebt für sich allein und keiner sündigt für sich allein. Auch die Dinge, die wir heimlich und verborgen tun, werden letztlich offenbar in unserem Verhalten anderen gegenüber:

  • da sind die kleinen oder großen Notlügen vor uns selbst oder unseren Mitmenschen,
  • da sind die Vorurteile und schnelle Verurteilungen,
  • da sind die Verletzungen, die wir in Worten oder Taten fast täglich wissentlich oder unwissentlich anderen zufügen.

Was wir aber einander mit unserem persönlichen Verhalten antun, das können wir auch nur wieder gut machen mit unserem persönlichen Verhalten. Eine Umkehr, eine innere Einsicht, eine Bekehrung kann nicht allein im stillen Kämmerlein geschehen. Sie braucht das Gegenüber, von dem ich mich innerlich oder äußerlich abgewandt habe und dem ich mich nun wieder zuwende.

Bekehrung ist somit immer ein Zueinander, wo vorher ein Auseinanderstreben war. Das Gesicht wendet sich nun nicht mehr ab vom Gegenüber, sondern sucht das Gesicht des Anderen. Diese Zuwendung fällt oft nicht leicht, aber der Herr selbst ermuntert uns dazu. Bekehrung setzt die Bereitschaft zur Weggefährtenschaft voraus sowie den von Gebet und von der Betrachtung des Wortes Gottes getragenen Dialog untereinander, einen Dialog, der mehr ist als nur ein Austausch von Worten.

Bekehrung im Glauben

Jesus selbst hat mit dem Aufruf „Bekehrt euch!“ nicht auf eine bestimmte Sünde abgezielt. Er hat den Aufruf „Bekehrt euch!“ ganz anders begründet: „Denn das Himmelreich ist nahe!“ (Mt 4,17). An anderer Stelle heißt es: „Suchet zuerst das Reich Gottes!“ (Mt 6,33). Bekehrung erwächst weniger aus der Rückschau, sondern vor allem aus dem Blick nach vorne, auf die Verheißung, die Jesus gibt. Bei der Bekehrung geht es um das Auffinden eines Schatzes, einer neuen Wirklichkeit. Es geht darum, beschenkt zu werden von Gott. Wer zeigt uns allen dieses Reich Gottes – den „Himmel auf Erden“?

Die Tür zur Bekehrung ist das Herz. In der Bibel steht das Herz für den inneren Resonanzraum des Menschen, in dem sich Gott und Welt begegnen können. Das hörende Herz gilt biblisch als Beziehungsorgan. Verankern wir uns also in unserem hörenden Herzen, versuchen wir von Herz zu Herz in Beziehung miteinander zu kommen – im Presbyterium, in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Pfarrgemeinde. Das Herz spricht nicht nur geschäftlich über Gewinn und Verlust oder über sonstige Oberflächlichkeiten. Es ist angelegt auf Begegnung.

„Bekehrt euch!“ heißt: Seien wir herzlich zu einander und achten wir darauf, ob nicht da und dort die Stimme des Herzens, des eigenen Gewissens übergeht in die Stimme Gottes selbst. Gott wirkt ja ein auf unser Herz. „Ein reines Herz erschaffe mir, o Gott“ (Psalm 51,12), bittet daher der Beter im Bußpsalm 51. Vertrauen wir dieser inneren Stimme, sprechen wir miteinander darüber, was wir im Gewissen hören!

Wenn wir also unser persönliches Gewissen bilden und von Herz zu Herz in den Gemeinden und Gemeinschaften sprechen und leben lernen, wird sich unter uns die Führung des Heiligen Geistes gegen Gruppendynamik und falsche Emotionen durchsetzen. Dann hat es niemand nötig, sich auf unredlichen Wegen Macht zu verschaffen, andere zu hintergehen und zu demütigen. Die Sünde hat immer mit Verwirrung des Geistes zu tun, mit mangelnder Gewissensbildung hinsichtlich des Sinns unseres Daseins und unserer Berufung von Gott her!

Getragen von dieser Sicht muss die Kirche entschieden gegen jedes Unrecht vorgehen. Hier stehe ich als Bischof in der Verantwortung. Daher will ich mich in dieser österlichen Bußzeit wieder neu vom Ruf des Herrn zur Umkehr persönlich ansprechen lassen. Bilden wir eine Weggemeinschaft!

Liebe Schwestern und Brüder, wir brauchen einander als Weggemeinschaft des Glaubens, als Kirche. Bekehrung kann uns deutlich machen: Ohne ein Zueinander auf der rein persönlichen und rein menschlichen Ebene wird auch keine Veränderung im größeren Miteinander geschehen. Dieses Geschehen auf der horizontalen Ebene bedarf einer tiefen Verankerung in der vertikalen Ebene, in der Gottesbeziehung, im Gebet.

Ich wünsche und erbitte uns in dieser Fastenzeit diese Bekehrung. Eine Bekehrung, die das Zueinander immer sucht und für möglich hält. Und eine Bekehrung, die dieses Zueinander abhängig weiß von unserem Glauben an Gott, der sich selbst erniedrigt hat, um ganz bei uns zu sein.

Dazu segne Euch der dreieinige Gott: + der Vater und + der Sohn und + der Heilige Geist.

Amen.

Eichstätt, am Aschermittwoch, dem 2. März 2022

Gregor Maria Hanke OSB
Bischof von Eichstätt