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21.05.2024

„Geht wählen!“ – Diözesanratsvorsitzender Christian Gärtner zur EU-Wahl, der AfD und zum 75-jährigen Jubiläum des Grundgesetzes

„Nutze deine Stimme. Sonst entscheiden andere für dich“ lautet das Motto der Europawahl 2024. Grafik: EU-Parlament

Diözesanratsvorsitzender Christian Gärtner rät Christinnen und Christen davon ab, die AfD zu wählen. Foto: Norbert Staudt/pde

Eichstätt. (pde) – „Scheitert das Projekt der europäischen Integration, dann stehen Frieden, Freiheit, Wohlstand und Sicherheit für uns alle auf dem Spiel“. Das sagt der Vorsitzende des Diözesanrats im Bistum Eichstätt, Christian Gärtner, mit Blick auf die Europawahl am 9. Juni. Christinnen und Christen sollten seiner Meinung nach die AfD nicht wählen. Den Jugendlichen ab 16 Jahren, die zum ersten Mal wahlberechtigt sind, rät er: „Auf jeden Fall zur Wahl gehen“. Gärtner würdigt im Interview auch das 75-jährige Jubiläum des Grundgesetzes.

Herr Gärtner, am 9. Juni wählen die Wahlberechtigten in Deutschland 96 Vertreterinnen und Vertreter für das EU-Parlament. Was sind aus Ihrer Sicht als Diözesanratsvorsitzender die wichtigsten Themen dieser Europawahl, was steht auf dem Spiel?

Christian Gärtner: Es geht darum, die europäische Friedensordnung zu stärken, die uns in Europa eine historisch beispiellose Periode des Friedens und des Wohlstands beschert hat. Die europäische Integration ist die Antwort auf zwei verheerende Weltkriege, die in Europa begonnen haben. Das EU-Parlament ist der zentrale Baustein dieser demokratischen Friedensordnung. Scheitert das Projekt der europäischen Integration, dann stehen Frieden, Freiheit, Wohlstand und Sicherheit für uns alle auf dem Spiel.

Die Bischöfe der Europäischen Union rufen dazu auf, für pro-europäische Parteien zu stimmen. Das ist für kirchliche Verhältnisse eine ungewöhnlich klare Wahlempfehlung.

Nachdem die katholische Kirche selbst eine trans- und internationale Organisation ist, die die Grenzen nationalstaatlicher Engstirnigkeit überwindet, steht sie natürlich auf der Seite derer, die sich auch im politischen Alltag für eine stärkere internationale Zusammenarbeit und Integration einsetzen. Die EU ist international das erfolgreichste Modell, wie eine solche transnationale politische Organisation tatsächlich funktionieren kann. Es entspricht unserem christlichen Glauben, dass alle Menschen als Ebenbilder Gottes Teil der einen großen Menschheitsfamilie sind und das muss dann auch politisch konkret umgesetzt werden.

Die christlichen Kirchen in Deutschland warnen in einem ökumenischen Aufruf zur Europawahl „eindringlich vor politischen Kräften, die das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Nationalitäten oder Herkunft ablehnen und unverblümt die Abschaffung der EU anstreben“. Auch Sie hatten bereits beim Neujahrsempfang des Diözesanrats eine klare Abgrenzung gegenüber Rechtsextremismus und Rassismus angemahnt. Bedeutet das im Klartext: Christinnen und Christen sollten die AfD nicht wählen?
Ja. Die AfD steht ja genau für diese völkisch-nationalen, autoritären und anti-europäischen Positionen, die wir als Christen, wenn wir unseren Glauben ernst nehmen, ablehnen müssen.

Die AfD und andere rechtspopulistischen Parteien in Europa reklamieren gerne für sich, christliche Werte zu vertreten oder spielen sich als „Verteidiger des christlichen Abendlandes“ auf. Wie sollten Christinnen und Christen damit umgehen?

Das Christentum ist nicht eine auf irgendein imaginiertes „Abendland“ beschränkte Religion. Die Welt in irgendwelche voneinander abgegrenzte religiöse Einflusssphären aufzuteilen, widerspricht zutiefst dem universellen Anspruch der Frohen Botschaft des Christentums, die uneingeschränkt allen Menschen gilt. Die große Mehrheit der Christen lebt außerdem schon längst in Afrika und Lateinamerika. Deshalb sollten Christinnen und Christen solche Parteien erstens nicht wählen und zweitens im politischen Diskurs solchen Positionen deutlich widersprechen.

Die deutschen Bischöfe hatten bei ihrer Vollversammlung in Augsburg festgehalten, dass völkischer Nationalismus mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild unvereinbar ist. Welche Folgen hat diese Erklärung in der Praxis, sei es für das Verhalten der Gläubigen jetzt bei der Europawahl oder auch bei Wahlen für kirchliche Gremien wie zum Beispiel bei der bevorstehenden Kirchenverwaltungswahl?

Ich hoffe, dass die Gläubigen den Inhalt dieser wichtigen Erklärung ernst nehmen, weil sie durchbuchstabiert, warum ein völkischer Nationalismus mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild unvereinbar ist, und nicht nur, weil sie von den deutschen Bischöfen verabschiedet worden ist. Aber natürlich stärkt ein solches einstimmig verabschiedetes Bischofswort alle die Gläubigen, die sich in politischen Debatten gegen solche unchristlichen Ideologien abgrenzen und wehren müssen. Im Moment arbeitet unter anderem auch das Landeskomitee der Katholiken in Bayern daran, wie eine juristisch saubere Umsetzung einer solchen Unvereinbarkeitserklärung in den Wahlordnungen zum Beispiel der Pfarrgemeinderäte aussehen könnte. Schon jetzt sehen die Wahlordnungen auch für die Kirchenverwaltungswahlen vor, dass jemand nicht wählbar ist, der sich „im offenen Gegensatz zur Lehre oder zu den Grundsätzen der römisch-katholischen Kirche befindet.“ Das ist im Einzelfall sicher immer eine schwierige Entscheidung, aber es gibt inzwischen ja Beispiele, dass dieses Instrument genutzt wird.

In Deutschland dürfen bei der diesjährigen Europawahl zum ersten Mal Wahlberechtigte ab 16 Jahren ihre Stimme abgeben. Was raten Sie den Jugendlichen in unserem Bistum vor ihrer ersten Wahl?

Auf jeden Fall zur Wahl zu gehen, auch wenn man meint, dass die eigene einzelne Stimme ja keinen großen Unterschied machen würde, und man auf so einer politischen Ebene ohnehin nichts bewegen könnte. Das stimmt nicht, jede Stimme zählt. Wir dürfen dankbar sein, dass wir in der EU in einem wirklich demokratischen System leben, in dem wir durch Wahlen die Regierungsverantwortlichen legitimieren und auch abwählen können. In großen Teilen der Welt sind solche friedlichen Machtwechsel nicht möglich, sondern wenn, dann mit Gewalt und Blutvergießen verbunden. Da wir die Möglichkeit zu einer wirklichen Wahl haben, müssen wir sie auch nutzen.

Das Recht, zu wählen und gewählt zu werden, ist ein hohes Gut in der Demokratie, in Deutschland ist es verbrieft im Art. 38 des Grundgesetzes, das am 23. Mai sein 75-jähriges Jubiläum feiert. Wie blicken Sie auf dieses historische Datum?

Mit großer Dankbarkeit, weil es mir, wie allen in meiner Generation, erlaubt hat, in eine historische einmalige Periode des Friedens hineingeboren zu werden und in einem im Weltmaßstab unvergleichlich hohem Maß an Freiheit, Sicherheit und Wohlstand aufzuwachsen und bis heute zu leben. Der Geburtstag des Grundgesetzes ist in Deutschland ja kein Feiertag und wird meistens völlig übersehen. Aber vielleicht ist das ja auch ein Teil des Erfolgsgeheimnisses dieser besten Verfassung, die Deutschland jemals hatte, dass sie nicht mit Pomp und Pathos gefeiert wird, sondern eher bescheiden und unauffällig daherkommt. Die christliche Tugend der Demut ist, so meine ich, auch eine wichtige Voraussetzung für eine gute und erfolgreiche Politik.

Neben dem Gottesbezug in der Präambel wurden einige Forderungen der Kirchen ins Grundgesetz aufgenommen, so zum Beispiel die allgemeinen Natur- und Menschenrechte, den besonderen Schutz des Lebens, von Ehe und Familie sowie die prinzipielle Anerkennung des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen. Grund genug für die christlichen Kirchen, dieses Jubiläum mitzufeiern?

Das Grundgesetz atmet meines Erachtens sehr viel christlichen Geist, den wir als Kirchen auch dankbar würdigen sollten.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ steht in Artikel 1 des Grundgesetzes. Gilt dieser Grundsatz auch für jedes kirchliche Handeln?
Ja natürlich. Gerade in diesem Jahr hat die Glaubenskongregation die Erklärung „Dignitas infinita“ veröffentlicht, die verschiedene Aspekte der Menschenwürde aus kirchlicher Sicht durchbuchstabiert. Auch wenn sich die Kirche historisch schwergetan hat, das Konzept der allgemeinen Menschenrechte und Menschenwürde zu rezipieren, ist inzwischen doch klar, dass die Menschenwürde für uns Christen in der Gottesebenbildlichkeit jedes Menschen begründet und damit auch biblisch fundiert ist.

Vielen Dank!

Die Fragen stellte Geraldo Hoffmann

 

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