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16.05.2007

Moderne Fortpflanzungsmedizin im Spannungsfeld der Interessen - Bioethik-Symposion an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt

Referenten, Veranstalter und Kooperationspartner des

Referenten, Veranstalter und Kooperationspartner des

Eichstätt. (pde) – Die zunehmende Gefahr, dass menschliches Leben an seinem Beginn dem Zugriff medizinischer Techniken und wirtschaftlicher Interessen unterworfen wird, hat ein Bioethik-Symposion an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt thematisiert. Das Labor dürfe nicht die letzte Hoheit über das Leben des Kindes haben, forderte die Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz. Die reproduktionsmedizinische Behandlung von Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch sei eine gesellschaftliche Aufgabe, die an der finanziellen Ausstattung nicht scheitern dürfe, stellte andererseits Dr. Ulrich Noss, Leiter des Zentrums für Reproduktionsmedizin in München, fest.

Die Techniken der assistierten Fortpflanzungsmedizin, ihre Chancen und ethischen Probleme standen im Mittelpunkt des Eichstätter Gesprächs zu Biomedizin und Bioethik. Für die interdisziplinär ausgerichtete Tagung konnten Experten aus dem In- und Ausland als Referenten gewonnen werden. Veranstaltet wurde das Symposion vom Lehrstuhl für Moraltheologie der Uni Eichstätt, dem Netzwerk Leben im Bistum Eichstätt und der Vereinigung „Ärzte für das Leben“. Mit mehr als 130 Teilnehmern erfuhr die zweitägige Veranstaltung beachtlichen Zuspruch.

Der erste Vortrag führte in den aktuellen Stand der assistierten Fortpflanzungsmedizin in Deutschland ein. Dr. Ulrich Noss vom Zentrum für Reproduktionsmedizin in München schilderte Hintergründe des Phänomens Unfruchtbarkeit und stellte detailliert die Verfahren „In-vitro-Fertilisation“ (IVF) und „Intra-Cytoplasmatische Spermien-Injektion“ (ICSI) vor. Die assistierten Reproduktionstechniken hätten sich als eine effektive Behandlungsform der ungewollten Kinderlosigkeit etabliert. Problematisch seien allerdings die überdurchschnittlich hohe Mehrlingsrate (verbunden mit hohem Risiko der Frühgeburtlichkeit) und die Aborthäufigkeit; diese Risiken könnten in Zukunft infolge optimierter genetischer Tests an den Eizellen gesenkt werden. Als „erbärmlich“ kritisierte Noss in diesem Zusammenhang die 2004 erfolgte Beschränkung der gesetzlichen Kassenzuschüsse auf maximal drei Behandlungszyklen; die Gesetzesänderung habe zu einem Geburtenrückgang um jährlich 15.000 Kinder geführt.

Reichlich Sprengstoff bot im Anschluss das Referat von Theresia Maria de Jong. Die Kommunikationswissenschaftlerin und Journalistin äußerte prinzipielle Bedenken gegen die Verfahren der extrakorporalen Befruchtung. Die Erzeugung menschlichen Lebens im Labor bezeichnete sie als „Trauma am Lebensanfang“, das für die weitere individuelle Entwicklung eine schwere Hypothek bedeute. Künstliche Befruchtung sei das „größte menschliche Experiment, seit es Menschen gibt“, doch lägen über die Auswirkungen keinerlei unabhängige Untersuchungen vor. Massive Kritik äußerte sie an der Praxis des Einfrierens („Kryokonservierung“) von Embryonen. Zudem entnahm sie den Statistiken eine äußerst geringe Erfolgsrate der assistierten Reproduktionstechniken und verwies auf ein erhöhtes Risiko, infolge von ICSI ein behindertes Kind auf die Welt zu bringen – diese Vorwürfe wurden von den anwesenden Medizinern allerdings als pauschalierend zurückgewiesen.

Die Einstellung der postmodernen Gesellschaft zum Kind nahm Professor Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz kritisch unter die Lupe. Kinder würden heute immer selbstverständlicher „gemacht“, statt als Gabe angenommen zu werden. Diese Mentalität sei aber zu hinterfragen: „Ist das Kind nur eine Funktion seiner Eltern, zweckhaft an ihre Interessen gebunden, und sei es als Wunschkind?“ Dem „Wunschkind“ drohe eine besondere Gefahr seitens des Wünschenden – eine „Haltung der Anmaßung“, aus dem Kind „das zu machen, was er sich selbst als Modell und Ideal gedacht hat“, zitierte sie die große Pädagogin Maria Montessori. Da zu sein sei Urgeschenk, ins Theologische gewendet: göttlicher Anruf. Deshalb sei das Kind aus seinem bloßen Dasein heraus gerechtfertigt.

Der Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie an der Katholischen Universität, Professor Stephan E. Müller, unternahm in seinem Beitrag die Würdigung der offiziellen kirchlichen Position, wie sie in der „Instruktion über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung“ von 1987 niedergelegt ist. Darin hatte die Glaubenskongregation unter Federführung des damaligen Kardinals Joseph Ratzinger gefordert, „dass jedes menschliche Wesen vom ersten Augenblick seines Daseins an als Person geachtet werden muss“. Die künstliche Befruchtung wurde sowohl in ihrer heterologen Variante (d.h. unter Rückgriff auf die Keimzellen Dritter) als auch – in abgemilderter Schärfe – im homologen System (d.h. wenn die Keimzellen von beiden Ehepartnern stammen) abgelehnt. Die Kirche verteidige mit der Instruktion von 1987 die Ehe als den einzig wahren Ort der Weitergabe des Lebens – sowohl im Interesse der Ehepartner als auch der Kinder. Zugleich halte sie an der unlösbaren Verbindung der beiden Sinngehalte der Ehe, von liebender Vereinigung und Fortpflanzung, fest: Das Kind „muss die Frucht der Liebe seiner Eltern sein“ und „kann nicht als Produkt eines Eingriffs medizinischer Techniken gewollt oder empfangen werden“, zitierte Müller das zentrale Argument des römischen Schreibens. Die aktuellen Entwicklungen der Reproduktionsmedizin bestätigten die Bedenken des kirchlichen Lehramtes gegenüber der extrakorporalen Befruchtung. Die Verlagerung des Zeugungsvorgangs aus der ehelichen Intimität ins Labor unterwerfe den Embryo fortschreitend dem Zugriff und den Interessen von Medizin und Forschung.

John M. Haas, Moraltheologe und Präsident des „National Catholic Bioethics Center“ in Philadelphia in den USA, hob ebenfalls die prophetische Bedeutung der vatikanischen Instruktion von 1987 hervor. Er wies auf das Faktum hin, dass sich auf der Grundlage der Reproduktionsmedizin inzwischen ein hoch profitabler Industriezweig entwickelt habe. Auswüchse der amerikanischen biotechnischen Industrie (bis hin zum öffentlichen Handel mit Embryonen) zeigten, dass das Bewusstsein für die Würde des menschlichen Lebens weithin abhanden gekommen sei. Die Kirche befinde sich mit ihrer ethischen Position in der Rolle des Anwaltes der Menschlichkeit des Menschen. Die Ehrfurcht vor dem Leben aber müsse in den Familien gelernt werden. „Nur dann ist es möglich, dass diese Ehrfurcht die Einstellung der gesellschaftlichen Institutionen prägt, für die wir auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene Verantwortung tragen.“

Zum Abschluss der Tagung setzte sich der Münchner Frauenarzt Professor Dr. Ingolf Schmid-Tannwald kritisch mit dem in der Medizin noch immer vorherrschenden naturwissenschaftlichen Menschenbild auseinander, das allein die biologische Seite des Menschen beschreibe, die er mit dem Tier gemeinsam hat. Daneben betonten soziologische Erkenntnisse die Teilhabe an der Sozialwelt, die den Menschen vom Tier unterscheide. Beides, das Biologische wie das Zwischenmenschliche, ließen sich in ein erweitertes wissenschaftliches Systemmodell des Menschen integrieren und in ihren strukturellen und funktionellen Beziehungen durchgängig beschreiben. Dieses Modell sei für andere wissenschaftliche Disziplinen offen, die ihre Erkenntnisse in das vorgestellte Systemmodell als Elemente einbringen könnten.

Als sehr anregend erwies sich die interdisziplinäre Ausrichtung der Tagung. Die Referate aus den unterschiedlichen Perspektiven führten zu einem lebhaften, bisweilen kontroversen Austausch der Standpunkte, an dem sich das Publikum rege beteiligte. Mitgetragen wurde das Symposion von Dr. med. Sigurd Eisenkeil, Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbands Ingolstadt-Eichstätt, von Dr. med. Thomas Wertgen, Chefarzt für Innere Medizin an der Klinik Eichstätt, und von Dr. med. Ivo A. Henrichs, Chefarzt der Kinderklinik in Neuburg an der Donau. Für die Diözese Eichstätt entbot Generalvikar Dompropst Johann Limbacher ein persönliches Grußwort und dankte den Veranstaltern für die Initiative zu dieser auch unter seelsorglichen Aspekten bedeutsamen Tagung. Mit der Ankündigung, die Reihe der „Eichstätter Gespräche zu Biomedizin und Bioethik“ in regelmäßigen Abständen weiterzuführen, trafen die Veranstalter einen von vielen Besuchern dringend geäußerten Wunsch. Die Vorträge des Symposions werden voraussichtlich im Herbst in einem Tagungsband veröffentlicht werden. Informationen und Vorbestellungen über: „www.ku-eichstaett.de/bioethik“.

 

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