Zum Inhalt springen
11.04.2024

Mit besonderem Blick auf die „hörende Welt“

Zwei, die ihren Weg machen: Die Brüder Fabian (links) und Patrick Kuppe.

Die Brüder Fabian und Patrick Kuppe aus Thalmässing haben eine Ausbildung zum Taubblinden-Assistenten absolviert. Beide sind selbst hörgeschädigt und beherrschen das Gebärden wie eine Muttersprache. Ein Gespräch anlässlich der „Woche für das Leben“.

Dass der Führerschein heutzutage eine teure Angelegenheit ist, davon können junge Leute ein Lied singen. Als Fabian Kuppe mit 18 Jahren seine Fahrausbildung absolvierte, kamen nochmal extra 800 Euro drauf. Nicht, weil er sich besonders schwer getan hätte, sondern weil der TÜV auf einem speziellen Eignungstext bestand. Denn Fabian kam mit einer Hörbehinderung auf die Welt, die er aber so gut im Griff hat, dass man es als Außenstehender gar nicht wahrnimmt.  Und doch reichte der Behörde der „normal“ bestandene Hörtest nicht aus. Sechs Jahre ist das mittlerweile her und Fabian hat neben dem Führerschein noch viele andere Herausforderungen gemeistert, wie etwa das Fachabitur und die Mechatronikerlehre bei Audi. Und doch weiß der heute 24-Jährige, der in Ingolstadt aufwuchs und seit einiger Zeit mit der Familie in Thalmässing wohnt, dass  ein selbstbestimmtes Leben keine Selbstverständlichkeit ist. „Ich lebe in zwei Welten“, sagt der junge Mann, der nebenberuflich eine Ausbildung zum Taubblinden-Assistenten gemacht hat, gemeinsam mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Patrick. Dieser ist ebenfalls hörbeeinträchtigt, hochgradig sogar. Pfarrer Alfred Grimm, seit 2007 Verantwortlicher für Behindertenpastoral im Bistum Eichstätt, freut sich über das Engagement der beiden jungen Männer, die er schon als Kinder kennengelernt hatte und die er jetzt als Gesprächspartner zur „Woche für das Leben“ empfehlen konnte. Nimmt diese doch heuer die Lebenswirklichkeiten Jugendlicher und junger Erwachsener mit Behinderungen in den Blick. 

Auf Selbständigkeit vorbereitet

Von klein auf waren Fabian und Patrick die Besuche beim Logopäden gewohnt. Ihre Beeinträchtigung war nicht wirklich eine Überraschung gewesen, bei schwerhörigen Eltern und gehörlosen Großeltern. Umso wichtiger sei Frühförderung gewesen, um die Kinder auf ein selbständiges Leben „in der hörenden Welt“ vorzubereiten, meint ihre Mutter Stephanie, die ausgebildete Gebärdensprachdozentin ist und für inklusive Gottesdienste mit Pfarrer Grimm schon öfter einen Gebärdenchor zusammengestellt hat. 

Während Fabian einen „normalen“ Kindergarten besuchen konnte, pendelte sein Bruder täglich mit dem Bus nach Hohenwart zum Regens-Wagner-Förderzentrum für hörgeschädigte Kinder. Später besuchten beide Brüder eine Realschule für Gehörlose und Schwerhörige in München, zunächst ein Jahr im Internat, dann als Fahrschüler. Patrick war direkt nach der Grundschule gewechselt, Fabian nach einer Etappe an einem „normalen“ Gymnasium. „Wegen der Sprachen bin ich runtergegangen“ erzählt der 24-jährige Audi-Angestellte. Sein Bruder, der ein Cochlea-Implantat trägt, studiert nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr beim Technischen Hilfswerk mittlerweile  Gamedesign in München und kann der Vorlesung folgen, weil der Dozent ein spezielles Funkmikrofon benutzt.

Was seine privaten sozialen Kontakte angeht, so lautet seine Erfahrung: „Fünfzig zu fünfzig“. Von den Leuten, die er so trifft, sei etwa die Hälfte bereit, sich auf eine etwas aufwendigere Kommunikation einzulassen: Langsamer zu sprechen oder sich über das Handy zu schreiben etwa. Einfach nur lauter zu reden, bringt gar nichts, so die Erfahrung des 21-Jährigen. Wenn er selbst redet, bemerkt man zwar eine Einschränkung, versteht aber alles. „Dafür, dass er so schlecht hört, spricht er wirklich sehr gut“, meint sein älterer Bruder anerkennend. Wenn die beiden gemeinsam inmitten einer größeren Menschenmenge unterwegs sind und auch Fabian wegen der vielen Nebengeräusche und der durcheinander redenden Leute Probleme mit dem Hören bekommt, dann unterhalten sich die beiden sowieso mit Gebärden: „Damit sind wir aufgewachsen, das ist wie eine Muttersprache“. Wenn sie „normal“ miteinander sprechen, dann spielen Gestik und Mimik eine große Rolle. „Wie bei den Südländern“, lacht Fabian.

Selbstbestimmtheit ermöglichen

Der 24-Jährige war schon als Kind sportinteressiert und hat dabei viele Kontakte geknüpft. Beim Fußball ist er hängengeblieben, spielt heute in Thalmässing als Innenverteidiger. Auch als Taubblinden-Assistent begleitet er Leute jeden Alters zum Sport, zum Schwimmen, zum Wandern. Er holt sie aber auch einfach nur zum Einkaufen ab, geleitet sie mit dem Einkaufswagen durch die Gänge, hilft ihnen dabei „dass sie im Alltag so selbstbestimmt wie möglich leben können“. Leider gebe es unter den Taubblinden noch immer „versteckte“ Betroffene, die kaum aus dem Haus gehen, bedauert er. Mittlerweile nimmt diese Tätigkeit so viel Raum ein, dass Fabian seinen Hauptjob bei Audi nur noch in Teilzeit ausübt. Die Taubblinden-Assistenz sei ein schöner Ausgleich zur Welt der Technik, findet er: „Hier ist es das Persönliche, das einem am Ende des Tages viel zurückgibt“.

Gefragt nach einer  Botschaft zur „Woche für das Leben“, nach einem Ratschlag zum Verhalten gegenüber jungen Menschen mit Behinderung, antwortet Fabian: „Habt keine Angst, auf sie zuzugehen und begegnet ihnen auf Augenhöhe“. Am Ende kommt die Rede zufällig noch auf ein besonderes Ehrenamt, das der 24-Jährige ohne seine Hörbeeinträchtigung gar nicht erst hätte einnehmen können: Er ist Mitglied der Deutschen Gehörlosen-Herrenfußballnationalmannschaft und kickte vergangenen Herbst bei der WM in Malaysia.

Text: Gabi Gess, [inne]halten

Woche für das Leben

Die ökumenische Woche für das Leben, die vom 13. bis 20. April 2024 stattfindet, stellt unter dem Motto: »Generation Z(ukunft): Gemeinsam. Verschieden. Gut.« die Lebenswirklichkeiten Jugendlicher und junger Erwachsener mit Behinderungen in den Mittelpunkt. Bereits seit 30 Jahren setzt sich die Initiative mit dem Schutz menschlichen Lebens in all seinen Facetten auseinander.

[inne]halten

Diesen Beitrag und andere Berichte finden Sie in der aktuallen Ausgabe von [inne]halten, dem neuen "Magazin für Gesellschaft, gutes Leben und Spiritualität", das anstelle der früheren Kirchenzeitung für das Bistum Eichstätt erscheint. Hier können Sie [inne]halten abonnieren.

Weitere Meldungen

Die Stabsstelle Medien und Öffentlichkeitsarbeit veröffentlicht kontinuierlich aktuelle Nachrichten aus dem Bistum. Zur Übersicht.

Videos

Videos zu Themen aus dem Bistum Eichstätt. Zur Übersicht.

Audios

Audios zu Themen aus dem Bistum Eichstätt. Zur Übersicht.