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„Ich bin und bleibe gerne Priester“ – Ehemaliger Dompfarrer Franz Mattes wird 75
Eichstätt. (pde) – Domkapitular em. Franz Mattes vollendet am 2. Mai sein 75. Lebensjahr. Der gebürtige Hepberger absolvierte eine Ausbildung als Maschinenschlosser und beschloss dann, Priester zu werden. Eine Entscheidung, die er nie bereut hat, wie er im Interview sagt. Mattes verrät auch, was ihn glücklich macht und wie er sich das Leben nach dem Tod vorstellt.
Herr Mattes, Sie sind 1949 in Hepberg, Landkreis Eichstätt, geboren. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Kindheit?
Franz Mattes: Ich hatte eine unbeschwerte Kindheit zusammen mit meinem Zwillingsbruder und anderen Freunden aus der Straße. Ich besuchte in Hepberg den Kindergarten und die Volksschule. Statt Handy, Smartphone oder Fernsehen spielten wir Cowboy und Indianer oder im an der Straße gelegenen Friedhof. Bescheidene Lebensumstände erlaubten keinen Urlaub und oft nur gebrauchte Kleidung, aber wir hatten auch keine spürbare Not. Meine drei älteren Geschwister waren bereits beruflich außer Haus. Schon damals hatte ich als Ministrant hin und wieder den Gedanken, vielleicht Priester zu werden. Dieser Gedanke verstärkte sich, als ich nach dem Schulbesuch in die Christliche Arbeiter Jugend CAJ eintrat und den damaligen CAJ-Kaplan Michael Thiermeyer aus Ingolstadt kennenlernte, der mich mit seiner menschlichen und priesterlichen Art sehr beeindruckte. So etwas wollte ich auch werden: Jugendpfarrer. Da ich jedoch bis zur 8. Klasse die Volksschule besuchte und kein Abitur hatte, trat der Gedanke, Priester zu werden, immer mehr in den Hintergrund. In dieser Zeit wuchs in mir auch eine besondere Freundschaft zu Jesus, die mich bis heute prägt.
Sie haben zuerst eine Ausbildung als Maschinenschlosser gemacht und kamen dann doch wieder auf die Idee, den Weg zum Priesteramt einzuschlagen.
Ich begann im Herbst 1963 bei der damaligen Auto Union (heute Audi) mit der Lehre eines Maschinenschlossers und besuchte ab dem dritten Lehrjahr nebenbei die Berufsaufbauschule (BAS) in Ingolstadt, die ich nach drei Jahren mit der mittleren Reife abschloss. Bei einem Informationsabend erfuhr ich, dass man mit abgeschlossener Berufsausbildung und Mittlerer Reife das Abitur nachholen konnte. Somit keimte der Gedanke, doch noch Priester zu werden, erneut auf, denn damit war die Möglichkeit eröffnet, die Hochschulreife als Voraussetzung für das Theologiestudium nachzuholen. Bald darauf meldete ich mich zur Aufnahmeprüfung am Bayernkolleg in Augsburg an. Nach zweieinhalb Jahren Schulbesuch in Augsburg begann ich im Frühjahr 1971 mit dem Studium der Katholischen Theologie im Priesterseminar Eichstätt, das ich nach dreizehn Semester im Sommer 1977 beendete.
Im selben Jahr weihte Bischof Alois Brems Sie zum Priester. Wie fühlte sich die Weihe an, wie lautete Ihr Primizspruch?
Ein besonderer Einschnitt in meinem Leben war bereits die Weihe zum Diakon, die am 21. November 1976 stattfand. Dabei mussten bereits die Versprechen der Armut, des Gehorsams und der Ehelosigkeit abgelegt werden. Gerade das letzte Versprechen ist mir nochmals richtig nahegegangen – ich war damals 27 Jahre alt – und hat mir einige schlaflose und tränenreiche Nächte bereitet. Ich durfte ja nicht mehr heiraten und keine Familie gründen. Meine Familie war von nun an die Pfarrei.
Am 18. Juni 1977 erfolgte dann einer der bedeutendsten Tage meines Lebens: die Priesterweihe im Hohen Dom zu Eichstätt durch Bischof Dr. Alois Brems. Einen Tag später fand die Primiz, also meine erste Heilige Messe, im Hepberger Steinbruch statt. Das war der Höhepunkt meiner langjährigen Vorbereitung auf den Priesterberuf. Als Primizspruch wählte ich aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus an Timotheus: „Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2 Tim 1.7) Das ist auch zum Leitthema meines bisherigen Lebens geworden: Nicht die Verzagtheit, die uns ja Tag für Tag ereilen kann, soll mein Leben bestimmen, sondern vielmehr der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Gerade die Besonnenheit wird umschrieben mit Seelenfriede, Ausgeglichenheit, Gelassenheit. Und all das habe ich mir zu Eigen gemacht und bin damit gut gefahren. „Franz, nimm dich doch nicht so wichtig! Lass einfach los!“
Haben Sie die Entscheidung, Priester zu werden, je bereut?
Ich habe diesen Schritt in den Priesterberuf nie bereut und gedacht: „Wäre ich doch… Hätte ich doch…“ Im Gegenteil: Ich bin und bleibe gerne Priester und bete jeden Tag ganz bewusst das Priestergebet vor der heiligen Kommunion: „Hilf mir, dass ich deine Gebote treu erfülle und lass nicht zu, dass ich jemals von dir getrennt werde.“
Erste Station nach der Weihe war Pleinfeld in Mittelfranken und anschließend waren Sie drei Jahre in der Pfarrei St. Johannes in Neumarkt tätig. Wie waren diese Einsätze als junger Priester aus Oberbayern in Franken und in der Oberpfalz?
Gerade die ersten Jahre sind für einen Kaplan von eminenter Bedeutung. Ich bin überall gut an- und aufgenommen worden und habe mich auch sehr wohl gefühlt. Ich hatte als Pfarrer von Deining ebenfalls fünf Kapläne einzuführen.
Sie predigen bis heute teilweise in Bayrisch, zum Beispiel bei der Trachtenwallfahrt auf dem Frauenberg bei Eichstätt. Welche Rolle spielt bei Ihnen der Dialekt in der Seelsorge?
Gelegentlich kommen in meinen Predigten Sätze im bayrischen Dialekt vor. Im Dialekt wird Manches noch deutlicher und markanter zum Ausdruck gebracht, als im Hochdeutschen. Wobei man schon bedenken muss, dass manche Leute bayrisch nicht unbedingt verstehen. Ich richte mich dann nach den Zuhörerinnen und Zuhörern. Die Trachtler verstehen alle Bayrisch.
Sagt Ihnen die Volksfrömmigkeit – wie eben die Trachtwallwahrt – besonders zu?
Volksfrömmigkeit ist für mich nicht anders und nicht wichtiger als normale Frömmigkeit. Es geht bei der Frömmigkeit immer darum, dass sie uns Gott näherbringt.
Noch als junger Priester leiteten Sie das Bischöfliche Studienseminar St. Willibald in Eichstätt, das es heute nicht mehr gibt. Was war das für eine Einrichtung?
Das Bischöfliche Studienseminar St. Willibald war eine Einrichtung der Diözese Eichstätt, in der Kinder (Knaben) und Jugendliche – insbesondere aus ländlichen Gegenden, in denen es noch kein Gymnasium gab – das Gymnasium in Eichstätt besuchen konnten und dort wohnten. Das heißt, ich hatte für geregelte Studierzeiten, für eine altersgerechte religiöse Begleitung, für entsprechende Freizeitgestaltung und eine christliche Lebensführung zu sorgen. Es war für mich eine der schönsten Zeiten, da ich dort das sein konnte, was ich ursprünglich werden wollte: Jugendpfarrer. Ich hatte dort jedes Jahr etwa 75 junge Menschen im Alter zwischen 10 und 18 Jahren zu begleiten.
Von den Kleinen zu den Großen: Ab 1986 begleiteten Sie Studierende der Katholischen Universität Eichstätt als Mentor. Was haben Sie dabei erlebt, gibt es noch Kontakte zu den Studierenden von damals?
Die Arbeit mit den Studierenden der KU Eichstätt – das waren angehende Gemeindereferenten und –referentinnen, Pastoralreferenten und –referentinnen, Religionslehrkräfte – war für mich anspruchsvoll und herausfordernd, weil Vieles hinterfragt wurde. Manchmal fragte ich mich: Bin ich der Einzige, der hier noch katholisch ist? Einigen von ihnen begegne ich noch heute, da sie in unserer Diözese tätig sind.
Fünfzehn Jahre lang waren Sie Dompfarrer in Eichstätt. Woran sollten sich die Eichstätter erinnern, wenn sie an diese Zeit zurückdenken?
Von 1990 bis 1997 war ich Pfarrer in Deining, Großalfalterbach und Döllwang, und hatte dort dreizehn Dörfer zu betreuen. Ich war dort gerne Pfarrer und wäre bestimmt mehr als sieben Jahre dort geblieben. Bischof Walter Mixa bat mich, in Eichstätt den Dienst des Dompfarrers zu übernehmen. Nach einer kurzen Bedenkzeit stimmte ich seinem Wunsch zu. Die Dompfarrei hatte damals etwa 4000 Katholiken, wobei es mir immer ein Anliegen war, den Kontakt mit den Kindern im Kinderhaus zu halten, die Erzieherinnen bei ihrer Aufgabe zu unterstützen und in der Schule präsent zu sein und insbesondere die Kinder der 3. Klasse auf die Erstkommunion vorzubereiten. Dabei erhielt ich eine hilfreiche Unterstützung durch eine außerordentlich gute Katechetin, Religionslehrerin Lioba Henke. Wichtig war mir auch, durch Trau- und Taufgespräche die Brautpaare auf eine würdige Trauung und junge Eltern auf die Taufe ihrer Kinder vorzubereiten und den Angehörigen von Verstorbenen durch das Trauergespräch und durch eine würdige Beerdigung den nötigen Trost zu spenden.
Zuletzt leiteten Sie den Caritasverband für die Diözese Eichstätt – als letzter Geistliche in dieser Funktion. Welche Erfahrungen aus dieser Aufgabe bleiben Ihnen in Erinnerung?
Von 2012 bis 2019 war ich Caritasdirektor und das letzte halbe Jahr noch Caritaspräses. Was ich davon mitnehme, sind die vielen Eindrücke aus den vielfältigen Aufgabenbereichen dieser diözesanen Einrichtung. Das beginnt beim Kinderdorf Marienstein, in dem Kinder und Heranwachsende auf gute Weise betreut und ins Erwachsenenleben hinein begleitet werden, das gilt der Sorge um Menschen mit Behinderung, junge wie erwachsene, im Caritas-Zentrum St. Vinzenz, das gilt für die Betreuung von Menschen mit sozialen Schwierigkeiten in den Caritas-Wohnheimen und Werkstätten. Das setzt sich fort in den Caritas-Kreisstellen, in denen vor allem die allgemeine Sozialberatung, aber auch die Schuldner- und Insolvenzberatung gefragt ist. Das geht weiter über die Erziehungs- und Familienberatung bis hin zu den Sozialstationen mit ihren ambulanten Pflegediensten und Tagespflegeeinrichtungen und endet bei den 20 Seniorenheimen, in denen pflegebedürftige und alte Menschen bis zum Lebensende fürsorglich betreut und gepflegt werden. Bei all den Tätigkeiten steht der Mensch im Mittelpunkt, aber nicht als Ware, sondern als Abbild und Ebenbild Gottes.
In Ihrer Amtszeit fiel das 100-jährige Jubiläum der Caritas mit dem Motto „Ohne Liebe ist alles nichts“? Das klingt nach Lebensmotto. Sie haben als Priester viele Gespräche mit Paaren geführt, vor und nach der Ehe. Was raten Sie als eheloser Mann einem verliebten Paar kurz vor der Hochzeit?
„Ohne Liebe ist alles nichts!“ das könnte wirklich ein Lebensmotto sein, erst recht für Ehepaare und Familien. Kinder spüren doch in erster Linie, ob Vater und Mutter ihr Kind gern haben oder nicht. Ebenso spürt das der Ehemann oder die Ehefrau. Wenn jemand merkt, da ist keine Liebe dahinter, dann kann man doch gleich auf alles verzichten. Was versprechen sich die Eheleute am Traualtar: Liebe (meint gegenseitige Hingabe), Achtung (gegenseitiges Vertrauen) und Ehrfurcht (gegenseitigen Respekt), alles Eigenschaften, Werte, die man geschenkt bekommt oder man bekommt sie überhaupt nicht. Der Mann beschenkt damit die Frau, die Frau schenkt sie ihrem Mann. Vergesst das nie!
Waren Sie mal verliebt?
Ich war freilich einige Male bis über beide Ohren verliebt, aber das ist eine eigene Geschichte. Auch in Gott und in Jesus war ich verliebt und diese Liebe hat gesiegt. Ich habe mich für ihn entschieden, keine leichte Entscheidung, aber ich würde mich wieder so entscheiden. Der Zölibat hat diese Entscheidung zwar schwer, aber dafür echt gemacht, weil er alles verlangt. Ent-scheiden heißt ja immer: sich von etwas scheiden und das kann ganz schön schwer werden – je schwerer, desto echter.
Sollten Priester heiraten dürfen?
Ich bin dafür, dass auch künftige Priester eine echte Entscheidung treffen müssen. Dies kann durch den Zölibat oder auch durch eine andere Art einer herausfordernden und mutigen Entscheidung geschehen.
Priester begleiten oft Menschen am Anfang sowie am Ende ihres Lebens. Was war der bewegendste Moment, den Sie als Seelsorger erlebt haben?
Ich habe schon viele bewegende Momente als Seelsorger erlebt, wobei jeder Moment eine eigene Tiefe hat. Wichtig ist für mich geblieben, dass ich diese Momente und die damit verbundenen Menschen, Gott anvertraue.
Als Sie in den Ruhestand getreten sind, sagten Sie, dass Sie jetzt mehr Zeit für Gespräche mit den Menschen haben würden. Hat Ihnen das im aktiven Dienst gefehlt?
Da ich ein Mensch bin, der gerne auf Menschen zugeht, habe ich viele Gespräche mit Menschen geführt und mache dies auch weiterhin. Wenn ich durch die Stadt gehe, dauert dies immer eine gewisse Zeit, weil ich immer wieder stehenbleibe und mit Menschen ein paar Worte wechsle. Das war aber auch in der Zeit meines aktiven Dienstes so.
Mit 75 hat man schon lange gelebt und viel erlebt. Beschäftigt Sie die Vergänglichkeit des Lebens? Wie stellen Sie sich das vor, was danach kommt?
Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, bin ich dankbar für alles, was es mir geschenkt hat. Ich möchte keine Zeit missen, nicht die Schulzeit und nicht die Lehrzeit und die Arbeitsjahre bei Audi. Ich bin dankbar für die Zeit des Studiums und die Zeit als Kaplan und als Priester. Für mich waren sie alle erfüllte Zeiten, die mich bereichert haben. Dass die Zeit im Alter schneller vergeht, hängt damit zusammen, dass man für alles länger braucht, es geht nicht mehr so schnell und das ist gut so. „Entschleunigung“ ist angesagt. Dazu kommt, dass ich Priester i.R. bin, aber nicht „in Ruhe“, sondern „in Reichweite“. Ich leiste noch zahlreiche pastorale Dienste, wenn ich gebraucht werde. So habe ich zum Beispiel im vergangenen Jahr bei 40 Sonntagsgottesdiensten ausgeholfen, fünf Ehejubiläen gefeiert, ebenso fünf Taufen, vier Trauungen und zwei Beerdigungen übernommen. Zudem bin ich hier in Eichstätt in mehreren Vereinen und Gruppen engagiert und immer wieder angefragt. Ein besonderes Ereignis ist jedes Jahr die Gautrachtenwallfahrt zu Fuß auf den Frauenberg mit bis zu 40 Fahnen und bis zu 800 Teilnehmenden, die ich bereits über 25 Mal begleitet habe.
Wie ich mir das Leben nach dem Tod vorstelle? Ein Leben mit Jesus und in Gemeinschaft mit Gott – letztlich ein Leben in Fülle – und das mag für jeden anders aussehen. Diese Gemeinschaft mit Gott, der „Himmel“, ist für mich weniger ein Ort, als vielmehr ein Zustand verbunden mit den Eigenschaften von Geborgenheit und Liebe, Achtsamkeit, Licht und Wärme, Wohlgefühl und vieles, vieles andere mehr. Gewiss auch die Gemeinschaft mit verstorbenen Angehörigen, mit lieben Menschen, die einem vertraut waren, auch mit vielen anderen, an die wir nie gedacht hätten, dass sie ebenfalls dorthin kommen. Lassen wir uns überraschen. Ebenso ist dann „Hölle“ kein Ort, als vielmehr ein Zustand, der all das beinhaltet, was das Gegenteil von Himmel ist: Zum Beispiel unbändiger Hass, eisige Kälte, endlose Einsamkeit, finsterste Dunkelheit und es gibt nichts und niemand, der davon befreien kann.
Was macht Sie glücklich?
Was mich glücklich macht sind schön gestaltete Gottesdienste, zwischenmenschliche Begegnungen, bei denen man merkt: Der/Die andere mag mich und ich mag ihn/sie und im allgemeinen Zufriedenheit. Dass ich zufrieden mit mir und meinem Leben bin. Das schenkt mir den nötigen Frieden und den Frieden mit anderen.
Vielen Dank!
Die Fragen stellte: Geraldo Hoffmann
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