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25.11.2020

„Hinschauen, nicht wegschauen“: Internationaler Tag zur Beseitigung der Gewalt an Frauen

Die Caritas-Mitarbeiterinnen Andrea Schlicht (links) und Gisela Hirsch im Gespräch. Archivfoto: Peter Esser/Caritas

Eichstätt/Ingolstadt – „Der Blick auf häusliche Gewalt muss über Corona-Zeit hinaus anhalten“, fordert der Caritasverband für die Diözese Eichstätt anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung der Gewalt an Frauen am 25. November. „Der derzeit verstärkte Blick auf das Problem darf keine Eintagsfliege bleiben“, sagt Gisela Hirsch von der Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt an der Caritas-Kreisstelle Ingolstadt. „Denn diese Gewalt ist keine Privatangelegenheit. Aufklärung und verstärkte Hilfen müssen über die Corona-Zeit hinaus andauern“, betont die Leiterin des Caritas-Frauenhauses in Ingolstadt, Andrea Schlicht.

Manches zu wenig bewusst

Nach Erfahrung der beiden Caritas-Mitarbeiterinnen wird nach wie vor in der Bevölkerung vor allem psychische Gewalt zu wenig bewusst und ernstgenommen. „Wenn Frauen geschlagen, geschubst, gewürgt oder vergewaltigt werden, ist die Gewalt für die meisten offensichtlich. Doch sie besteht auch dann, wenn sie beschimpft und als verrückt erklärt werden, Kontrolle und Unterdrückung erleben oder davon abgehalten werden, ihre Familie und Freunde zu sehen, indem ein Mann seiner Partnerin zum Beispiel das Handy wegnimmt“, erläutert Gisela Hirsch Formen von psychischer Gewalt. „Oder, indem Frauen herablassend gesagt wird: ‚Du bist doch nichts wert. Du schaffst es doch nicht, alleine zum Amt zu gehen. Du bleibst zu Hause‘“, ergänzt die Sozialpädagogin.

Grundsätzlich ist nach Beobachtung der Caritas-Mitarbeiterinnen in Familien aus allen gesellschaftlichen Schichten noch zu wenig bewusst, dass es sich bei häuslicher Gewalt um eine Straftat handelt. Daher wünscht sich Frauenhausleiterin Andrea Schlicht, dass die Gesellschaft für alle Formen dieser Gewalt noch mehr sensibilisiert wird und auch im Zweifelsfall aktiv wird: „Hinschauen, nicht wegschauen und das Schweigen brechen. Es ist wichtig, Betroffenen Mut zu machen, sich an das Frauenhaus oder andere Beratungseinrichtungen zu wenden. Auch wenn man sich selbst unsicher ist, wie man vorgehen soll oder ob es sich um häusliche Gewalt handelt, kann man mit uns Kontakt aufnehmen.“ Das Ingolstädter Frauenhaus ist rund um die Uhr erreichbar und berät auch Angehörige, Freunde und Fachkräfte unter Telefon (0841) 309700.

Ob etwas häusliche Gewalt ist, darüber sind sich betroffene Frauen häufig selbst nicht im Klaren. „Oft suchen sie die Schuld erst einmal bei sich und es dauert lange Zeit, bis sie sich trauen, etwas zu unternehmen“, erfährt Gisela Hirsch immer wieder. Nur selten sei es so, dass sofort nach einem Vorfall von häuslicher Gewalt die Polizei eingeschaltet wird und die Möglichkeiten des Gewaltschutzgesetzes genutzt werden, also beispielsweise bei Gericht ein Kontakt- und Näherungsverbot gegen den Partner oder eine Zuweisung der Wohnung zur alleinigen Nutzung der Frau, gegebenenfalls mit Kindern, erwirkt wird. Auch eine sofortige Trennung vom Partner komme nach einem Vorfall nur sehr selten vor. „Untersuchungen belegen, dass in der Regel sieben Vorfälle von häuslicher Gewalt stattgefunden haben, bevor Frauen Konsequenzen ziehen“, sagt die Sozialpädagogin. Und mehrere Frauen gingen auch nach einer Trennung aus emotionaler oder finanzieller Abhängigkeit wieder zurück zum Partner und nähmen dafür erneute Drangsalierungen in Kauf.

Sowohl im Frauenhaus als auch in der Interventionsstelle machten die Beraterinnen die Erfahrung, dass es während der Zeit des Corona-Lockdowns im Frühjahr weniger Kontaktaufnahmen zu den Stellen gab als sonst. „Dies lag vermutlich daran, dass die Männer durch ihre erhöhte Anwesenheit im Haus ihre Partnerinnen noch besser kontrollierten. Telefonisch konnten die Frauen dort dann noch schwerer Kontakt aufnehmen, auch mit Hilfestellen“, meint Andrea Schlicht. Ihre Vermutung entspricht dem Ergebnis eines Forschungsprojektes der Technischen Universität München und dem RWI-Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung: Diese hatten bei einer repräsentativen Online-Umfrage von 3.800 Frauen im April dieses Jahres ein höheres Gewaltrisiko bei Familien festgestellt, die unter häuslicher Quarantäne standen sowie in Familien mit erhöhter psychischer Belastung und coronabedingten finanziellen Sorgen.

Hoffnung Onlineberatung

Da sowohl der direkte Weg zu einer Fachstelle als auch die telefonische Kontaktaufnahme für betroffene Frauen oft schwierig ist, setzen Gisela Hirsch und Andrea Schlicht neue Hoffnung in die Onlineberatung. Nach ihrer Information befindet sich derzeit eine Internetplattform für ganz Bayern im Aufbau, die mit öffentlichen Geldern gefördert wird. An diesem Projekt werden sich die beiden Caritasstellen beteiligen.

Der Caritas-Statistik zufolge wurden bisher in diesem Jahr 44 Frauen und 40 Kinder ins Frauenhaus aufgenommen, 120 Frauen telefonisch und 21 ambulant im Frauenhaus beraten. Gisela Hirsch verzeichnet für die Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt bis jetzt 48 Klientinnen.

Quelle: Caritasverband für die Diözese Eichstätt

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