„Gipfelstürmer brauchen ein Basislager“ - Festvortrag „Bindungen als Entwicklungsgrundlage“ bei Erziehungsberatung Eichstätt

„Basislager für sein einzigartiges Kind zu sein“, und dies durch „Beziehung vor Erziehung“. Das war die wesentliche Kernbotschaft des Vorsitzenden der Landesarbeitsgemeinschaft für Erziehungsberatung in Bayern, Dr. Hermann Scheuerer-Englisch aus Regensburg, am Dienstagabend bei seinem Festvortrag im Eichstätter Speth’schen Hof vor gut 80 Eltern, Erziehern und anderen Interessierten. Eingeladen hatte ihn die Eichstätter Erziehungs- und Familienberatungsstelle von Caritas und Diakonie anlässlich ihres zehnjährigen eigenständigen Bestehens.

Der Referent gab keine konkrete Erziehungstipps, sondern ging auf Beziehungen und Grundhaltungen von Eltern gegenüber dem Kind ein. Die Erfahrung habe gezeigt, dass durchaus gut gemeinte Erziehungsvorstellungen in den alltäglichen Beziehungsauseinandersetzungen an Bedeutung verlören, sich abnutzten und immer wieder neu gefasst werden müssten. Denn das Leben mit einem Kind stelle einen gemeinsamen Entwicklungsweg dar und keine Einbahnstraße vom Erwachsenen zum Kind. Schließlich seien Kinder nicht beliebig formbar, sondern jeweils einzigartig.

Für alle Kinder treffe hingegen zu, dass sie Nähe durch Bindung suchten. Konkret zeige sich dies zum Beispiel durch Anklammern, soziales Lächeln, Schwätzeln oder lautes Weinen und Schreien. „So wie das Immunsystem dazu dient, den fortwährenden Ansturm von Krankheitserregern zu bewältigen und das Individuum gesund zu halten, dient das Bindungssystem dazu, allgegenwärtige und letztlich unvermeidbare psychische Belastungen und Bedrohungen für den Menschen bewältigbar und regulierbar zu machen“, unterstrich Scheuerer-Englisch die Bedeutung der elterlichen Zuwendung in einem Vergleich. Doch Hilfe zur Bewältigung heiße nicht, Kindern Entwicklungsherausforderungen aus dem Weg zu räumen. Denn immer „wird das Kind schließlich alleine die Stufen weitergehen“. Dazu zeigte der Referent unter dem Leitwort „Gipfelstürmer brauchen ein Basislager“ ein Bild, auf dem ein Kleinkind nach und nach verschiedene Stufen erklimmt. Dieses Wort hatte bereits in den fünfziger Jahren der englische Psychiater und Begründer der so genannten Bindungstheorie, John Bowlby, geprägt. Bowlby hatte nach dem zweiten Weltkrieg die hohe Säuglingssterblichkeit von Kriegswaisen neben mangelnder Ernährung und Ausstattung auf fehlende zuverlässige Bezugspersonen zurückgeführt.

Wesentlich ist nach Scheuerer-Englisch die Erwartung des Kindes an die Eltern, stärker, weiser, klüger und freundlich mit ihm zu sein und auch die Verantwortung zu übernehmen. Dies gelte in der heutigen Zeit umso mehr, als Menschen aus der Umgebung weniger als früher die Kinder miterzögen. Anhand eines von amerikanischen Bindungspsychologen entwickelten „Kreises der Sicherheit“ verdeutlichte Scheuerer-Englisch, dass Eltern die sichere Basis für das Kind darstellten, wenn es die Welt erkunden will, sich von den Eltern wegbewegt und eigene Erfahrungen machen will. Er stellte allerdings klar, dass sicher gebundene Kinder nicht unbedingt pflegeleicht seien. Denn gerade sie muteten ihren Eltern auch unangenehme Gefühle zu - im Vertrauen auf Unterstützung, wenn sie selbst nicht weiterkommen, zum Beispiel bei Problemen mit Hausaufgaben.

„Unser Kind spürt, ob wir zu ihm stehen“, betonte der Referent. Und dafür bräuchten auch Eltern viel Unterstützung, gegenseitigen Austausch und Entlastung, „vielleicht für bestimmte Zeiten auch ein Stück professionelle Begleitung durch Fachleute in Beratungsstellen und Einrichtungen der psychosozialen Versorgung“. In diesem Sinne wünschte Scheuerer-Englisch der Eichstätter Erziehungsberatungsstelle „ein unterstützendes segensreiches Wirken für die Kinder und Familien“.