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11.05.2023

Die Seele aufrichten – 30 Jahre Telefonseelsorge in Ingolstadt

Dagmar W.

Von Anfang an bei der Ingolstädter Telefonseelsorge dabei: Dagmar W. Foto: Bernhard Löhlein

Ingolstadt/Eichstätt. – An ihr erstes Gespräch kann sich Dagmar W. nicht mehr erinnern. Sie weiß nur noch, dass sie sehr nervös war, damals vor dreißig Jahren. Dagmar ist von Anfang an dabei gewesen, als die Telefonseelsorge in Ingolstadt 1993 an den Start ging. „Ich hatte mir am Anfang neben das Telefon eine Zusammenfassung bestimmter Kriterien aus der Ausbildung bereit gelegt. Was man während des Gesprächs tun soll. Aber ich habe den Zettel dann doch nicht gebraucht“, erzählt die gelernte Chemielaborantin heute.

Während der Familienphase hatte sie nach einer sinnvollen Tätigkeit gesucht. „Irgendwas mit Menschen“, das war ihr Wunsch. Eine Bekannte hatte sie dann auf die Telefonseelsorge aufmerksam gemacht. Nach einem Jahr Ausbildung begann sie mit dem ehrenamtlichen Dienst. Erst nur stundenweise, ohne Nachtdienst. Familiäre Probleme, Einsamkeit – das waren damals wie heute die Spitzenreiter bei den Gesprächen. Da hat sich gar nicht so viel verändert in all der Zeit. „Der wichtigste Punkt ist: den Menschen zuhören“, meint die heute 76-Jährige. „Den Anrufendenden annehmen, so wie er ist. Das genügt dann auch oft.“

 

 

Im Vergleich zu Dagmar ist Inge M. ein „Neuling“. Die 70-Jährige ging 2018 in den Ruhestand. Als Sonderpädagogin hatte sie immer schon mit Menschen zu tun gehabt. „Schon in jungen Jahren wollte ich zur Telefonseelsorge. Das hatte nicht geklappt. Dann habe ich vor drei Jahren in der Zeitung gelesen, dass neue Mitarbeitende gesucht werden. Da dachte ich mir: Das ist meine Chance!“ Auch sie erinnert sich, wie nervös sie bei der ersten Schicht war. Geholfen hat ihr, dass sie nicht allein war. Das ist eine der vielen Änderungen im Vergleich vor dreißig Jahren: Am Anfang sitzt man immer zu zweit am Telefon und wechselt sich ab.
Neu ist auch, dass im Rahmen der Ausbildung hospitiert wird. So bekommt man früh einen Einblick in den Ablauf und kann von anderen lernen, wie sie die Gespräche führen. Allerdings, meint Inge: „Nicht immer kann ich auf alles eine Antwort geben. Wenn jemand über Suizid spricht, dann bin ich auch erst mal sprachlos. Doch gemeinsam haben wir immer einen Weg gefunden.“ Nach manchen Gesprächen muss sie das Gehörte erst mal sacken lassen. Aufstehen, den Raum verlassen, ein paar Gedanken aufschreiben und die dann gleich wieder wegwerfen. Das hilft. Bereut hat Inge ihren Dienst bisher nicht. „Ich bin wirklich dankbar für diese Tätigkeit. Man gibt viel und bekommt viel zurück. Die Arbeit in der Telefonseelsorge ist für mich eine große Bereicherung.“

Seelsorge und Beratung


Ein Blick zurück: Bis 1991 befand sich mitten in Bayern ein großer, weißer Fleck. Überall war die Telefonseelsorge bereits etabliert, nur nicht in der Region um Ingolstadt. Das sollte sich ändern. Der Pastoralreferent Franz Xaver Rupprecht wurde damit beauftragt, die ersten Ausbildungskurse zu starten. Er hatte bereits Erfahrungen mit der Telefonseelsorge in Kaiserslautern gesammelt. Zwei Jahre später ging es dann los, zunächst nur tagsüber und am Abend. Von Anfang an ist die Telefonseelsorge ein Angebot der evangelischen und katholischen Kirche gewesen, um Menschen in Nöten, Krisen und Ängsten beizustehen.
Mittlerweile ist dieser Dienst in Ingolstadt rund um die Uhr erreichbar. Aber die Zahl der Anrufenden steigt immer weiter. „Die Nachfrage ist größer als das Angebot“, bedauert Hans Iberl, heute Leiter der Telefonseelsorge in Ingolstadt. Allein im vergangenen Jahr wurden 13.433 Anrufe registriert, aus denen sich 11.158 Seelsorge- und Beratungsgespräche ergeben haben. Wenn die Leitung besetzt ist, wird an die nächste Stelle weitergeleitet. „Es kann passieren, dass man dann nur eine Sprachplattform erreicht und es später erneut versuchen soll“, bedauert Iberl. Kriegssorgen und Existenznöte sind zunehmend Gründe für einen Anruf.
Die durchschnittliche Dauer eines Gesprächs liegt bei 25 Minuten. Die ehrenamtlichen Telefonseelsorgerinnen und Telefonseelsorger beraten auch in Chatrooms. „Mit diesem Medium sprechen wir vor allem die jüngeren Menschen an“, erzählt Ruth Ullrich, die stellvertretende Leiterin. Derzeit arbeiten 65 Ehrenamtliche am Telefon, zwölf weitere befinden sich in der Ausbildung und werden im Juni fertig. „Mit der Zahl können wir zufrieden sein, aber die Fluktuation ist hoch. Deswegen suchen wir immer wieder neue Mitarbeitende“, meint Iberl. Im Schnitt leisten die Ehrenamtlichen einen Dienst von zwölf bis 15 Stunden im Monat. Eine Schicht dauert tagsüber drei bis vier Stunden, nachts sind es neun.

 

 

Die Telefonseelsorge ist vor allem in ein Dienst der Kirche an der Gesellschaft. Das soll auch so bleiben, hofft Hans Iberl. Allerdings: „Beiden Kirchen steht durch die zahlreichen Kirchenaustritte nicht mehr so viel Geld zur Verfügung. Es wäre verheerend, wenn sie diese Aufgabe nicht mehr ausüben würden.“ Daher sieht Iberl Kommunen und Staat in der Pflicht, die Finanzierung zu sichern. Auch Dagmar W. und Inge M. hoffen, dass die Telefonseelsorge noch lange erhalten bleibt. Denn es brauche immer neutrale Ansprechpartner für die Sorgen der Menschen. Beide sind sich einig: „Weil es die Telefonseelsorge gibt, geht es vielen Menschen besser.“

Bernhard Löhlein

30 Jahre Telefonseelsorge in Ingolstadt – das ist auch ein Grund zum Feiern. Am Samstag, 13. Mai, geschieht dies mit einem ökumenischen Gottesdienst und einem anschließenden Festakt. Die Telefonseelsorge Ingolstadt gehört zum Netzwerk der Telefonseelsorge Deutschland, bei dem etwa 7500 Ehrenamtliche an 105 Stellen Seelsorge leisten. Die Telefonseelsorge ist bundesweit kostenfrei erreichbar unter Rufnummer: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222. Weitere Informationen unter www.telefonseelsorge-ingolstadt.de.

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