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Angelusläuten im 21. Jahrhundert

Einige Gedanken zum Angelusläuten im 21. Jahrhundert . . .

Vielleicht ist es Ihnen auch schon einmal aufgefallen, dass der Zeitpunkt des abendlichen Angelusläutens sich im Lauf eines Jahres mehrfach ändert. Im Winter, beispielsweise um die Jahreswende, läuten die Glocken bereits um 17 Uhr. Mitte Januar dann "plötzlich" erst um 17:30 Uhr, zwei Wochen danach wieder eine halbe Stunde später, und so weiter, und so weiter.
Und dieser zeitliche Veränderung scheint nicht nur bei Ihnen in der Pfarrei, in ihrer Stadt vorgenommen zu werden, es hat vielmehr den Eindruck, dass dieser Wechsel zeitgleich in einem größeren Gebiet stattfindet . . .
Zufall? Tradition? Absicht?

In der Tat gibt beispielsweise die Diözese Eichstätt mittels Kalendarium für jedes Jahr die genauen Zeiten für den abendlichen Angelus vor. Das ist ungewöhnllich, denn was das Läuten, also den Gebrauch der Glocken angeht, ist eine Pfarrei eigentlich ziemlich autark; im Hinblick auf eine Läuteordnung gibt es lediglich Empfehlungen, und das Glocken nur zu liturgischen Zwecken benutzt werden dürfen, erschließt sich ja von selbst. Und dennoch wird diese zeitliche Vorgabe in Bezug auf das abendliche Angelus-Gebet ganz bewußt gemacht. Das hat nämlich zur Folge, dass innerhalb der Diözese das ganze Jahr über am Abend gleichzeitig die Glocken zum Angelus-Gebet einladen. Und wie sich dabei der Klang der einzelnen Glocken - akustisch unschwer für jedermann vernehm- und nachvollziehbarbar - von Kirchturm zu Kirchturm, von Ortschaft zu Ortschaft, zu einem filigranen, aber riesigen Klangteppich verbindet, so verbindet sich zur gleichen Zeit das Gebet der einzelnen Gläubigen, ja verbinden diese sich quasi selbst zu einem gemeinsamen und großen Ganzen. Zur Gemeinschaft der Gläubigen.
In solch einem Augenblick ensteht - Kirche.
Nach außen hin: hörbar.
Nach innen hin: spürbar.

Es ist dabei ganz unerheblich, ob der Einzelne das Angelus-Gebet in seiner ausführlichsten Form spricht, eine Kurzform wählt, oder nur ganz kurz im Tageslauf innehält, sich etwas sammelt, und wenige, eigene und persönliche Worte an Gott richtet.

Und: Ist es nicht irgendwie beeindruckend, vielleicht auch bewegend, wenn man einmal darüber nachdenkt, dass Glocken schon seit mindestens 1200 Jahren mit ihrem Klang dieser wichtigen Aufgabe des Rufens und des Einladens nachkommen? In der Diözese Eichstätt. In ganz Bayern. Im gesamten deutschsprachigen Raum, ja in ganz Europa.
Und: Macht es nicht irgendwie nachdenklich, vielleicht sogar ehrfürchtig, wenn mach sich einmal vor Augen führt, wie viele Menschen den Ruf der Glocken über einen ebenso lange Zeit gehört und die damit verbundene Botschaft verstanden haben? Wie vielen Menschen dieser Klang über Jahrhunderte hinweg von sehr großer Bedeutung war - und immer noch ist? Selbst Kriege oder Schreckensregime, wie beispielsweise im 20. Jahrhundert dasjenige der Nazis, konnten die Glocken nur schwer zum Schweigen bringen. Und wenn es ihnen doch gelang, so war der Wunsch nach Glocken, nach der Wiederherstellung ihres Klangs und nach deren Botschaft gewaltig groß. Fast 300 Glocken wurden so zum Beispiel im vergangenen Jahrhundert in den ersten fünf Nachkriegsjahren nach dem Zweiten Weltkrieg, in einer Zeit großer Not und Entbehrungen also, allein für Kirchen in der Diözese Eichstätt gegossen. Diese Glocken sollten möglichst schnell die durch das Nazi-Regime entstandenen Lücken auf den Türmen wieder schließen.

Vielleicht können Sie, wenn das nächste Mal in Ihrer Nähe eine Glocke durch ihren Klang zum Angelus-Gebet einlädt, einmal ganz bewußt auf diesen Klang, diesen Ruf, diese Botschaft hören . . .
Vielleicht können Sie ja beim nächsten Angelusläuten einmal - ganz kurz und bewußt - in ihrem Tagesablauf innehalten . . .
Vielleicht . . .

Thomas Winkelbauer, Glockensachverständiger