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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Vom Baum des Lebens

Es wird langsam wieder Herbst. Der Wind weht schon kühler und die Blätter beginnen zu fallen. Die Natur rüstet sich bald zum Winterschlaf. Der Schlaf  – so sagt man – ist der Bruder des Todes. Uns alle trägt jedoch die Hoffnung, dass im nächsten Frühjahr die Natur zu neuem Leben erwacht und die Bäume frische Blätter treiben.

Einige dieser urwüchsigen Symbole des Lebens werden sich aber nicht mehr mit neuem Blattwerk schmücken. Belastungen der Umwelt haben diese Bäume verdorren lassen. Nun stehen sie da mit gebrochenen Ästen, verlorener Krone, abgefallener Rinde und morschem Stamm. Kein Sinnbild des Lebens mehr, sondern ein drohendes Mahnmal des Todes ragt da in den Himmel.

Für viele Menschen ist diese bedrohte Umwelt ein Symbol der Bedrohung ihres eigenen Lebens. Zuerst sterben die Bäume, dann sterben die Menschen. Doch der Mensch will leben. Er hofft auf eine Zukunft. Eine solche Zukunft jedoch braucht Raum zum Leben. Warum geht der Mensch dann nicht ehrfurchtsvoller mit seinem Lebensraum um? Wo liegt der Ursprung solcher Verblendung?

Sucht man hier nach einer Antwort, stößt man wieder auf einen Baum: den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse im Paradiesgarten. Die bekannte Geschichte mit dem Apfel hat einen sehr ernsten Kern. Der Mensch, der wie Gott sein wollte, aß sich durch seinen Ungehorsam von jenem verbotenen Baum das Verderben.

Diese Ursünde Adams stört seitdem nicht nur unser Verhältnis zu Gott und den Menschen, sondern auch das Verhältnis zu der uns umgebenden Natur. Letztlich ist es die Macht der Sünde, die menschlichen Lebensraum zerstört. Gott aber wollte nicht den Tod des Menschen, sondern dass er lebe. Deshalb dachte er daran, einen neuen Baum aufzurichten, einen Baum, der unvergängliches Leben hervorbringen sollte.

Wir feiern Kreuzerhöhung. In der Präfation dieses Festtages heißt es: „Vom Baum des Paradieses kam der Tod, vom Baum des Kreuzes erstand das Leben.“ Das Bild des Kreuzesbaumes geht auf die Kirchenväter zurück, die im Kreuz Christi den neuen Lebensbaum erkannten.

Zwar sind seine Äste abgeschlagen, keine Zweige strecken sich mehr von ihm aus. Trotzdem dichtete Venantius Fortunatus (+ nach 600) einen herrlichen Hymnus auf das Geheimnis des Kreuzesbaumes, in dem es unter anderem heißt: „O edler Baum in hehrem Glanz, von königlichem Purpur rot, du werter, du erwählter Stamm, du trägst den Lösepreis der Welt.“

Auf die Frucht des Kreuzesbaumes muss sich die Menschheit wieder besinnen, wenn sie überleben will. Der Tod Jesu am Kreuz bedeutete den Beginn eines neuen Frühlings für die Welt. Aus dem toten Holz trieben Blätter ewigen Lebens, das uns der Herr durch seine Liebe erworben hat. „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.“

Angesichts der Bedrohung menschlichen Lebens ist es notwendig, zum Baum des Lebens, zum Kreuz zurückzukehren. Der moderne Mensch wird erst dann aus seinem Herrschafts- und Ausbeutungswahn aufwachen, wenn er aus den Quellen schöpft, die am Fuß des Kreuzes entspringen, wenn er sich als Glied einer Schöpfung begreift, die immer noch seufzt und der Erlösung bedarf. Jeder Mensch, der am Leben interessiert ist, sollte daher das Kreuz in seinem persönlichen Alltag erhöhen.

P. Gregor Lenzen CP, Kirchenzeitung vom 14. September 2014

Lesungen zum 24. Sonntag im Jahreskreis am 14. September 2014