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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Gott geht den Verlorenen nach

31. Sonntag im Jahreskreis, 3. November 2013

Man sagt, dass manche das Zeichen ihres Verlorenseins auf der Stirn tragen, das heißt, man könne es diesen Menschen ansehen, dass sie nur schwer ein Ziel in ihrem Leben finden beziehungsweise erreichen. Verlorensein bedeutet nicht gleich ewige Verdammnis. Viele unserer Zeitgenossen blicken oft recht verloren drein, nicht weil sie schlechte Menschen wären, sondern weil sie keinen wirklichen Sinn in ihrem Dasein erkennen.

Das Verlorensein ist ein Merkmal des modernen Menschen geworden, der so entfremdet sich selbst und seiner eigentlichen Berufung gegenüber lebt. Diese Verlorenen treiben dahin im Wandel der Zeit ohne Wurzeln und ohne innere Heimat, immer auf der Suche nach einer letzten Geborgenheit, die am Ende doch nur einer geben kann. „Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist“ – das ist wahrhaft eine frohe Botschaft: Gott geht den Verlorenen nach. Wir Menschen sind ihm nicht gleichgültig. Im Gegenteil! Gott sucht uns, weil er uns retten will.

Menschliche Erfahrung lehrt, dass keiner sich selbst retten kann. Im besten Fall dürfen wir bisweilen bei der Rettung eines anderen unseren Beitrag leisten. Ansonsten sind wir zunächst unrettbar mit uns allein, in einer existenziellen Einsamkeit, in die niemand anderer einzudringen vermag, auch nicht die Vertrautesten. Nur Gott kann in diese Einsamkeit des Menschen eintreten und sie mit seinem Heil erfüllen. Zachäus aus dem heutigen Evangelium hatte viel von Jesus gehört und war neugierig, aber größer als seine Neugier war vielleicht noch eine geheime Sehnsucht, dem eigenen Verlorensein zu entfliehen.Äußerlich betrachtet, führte er ein komfortables Leben, aber die Leute liebten ihn nicht, denn er war der oberste Zollpächter und trieb Steuern ein. Liebe kann man eben nicht kaufen, sie muss einem geschenkt werden. Diese heilsame Erfahrung konnte Zachäus in der Begegnung mit Jesus machen.

Zachäus, so heißt es im Evangelium, wollte Jesus sehen. Aber Jesus wollte auch Zachäus sehen. Er schaute zu dem kleinen Mann auf dem Maulbeerfeigenbaum hinauf und holte ihn dadurch herunter von seinem Beobachterposten, um in sein Leben einzutreten. Wen Jesus im Blick behält, der wird heil. „Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden“ – Der Herr hatte nicht nur die sichtbare Schwelle des Wohnhauses von Zachäus überschritten, sondern auch die unsichtbare Schwelle des inneren Hauses seiner Seele. Jesus ist wirklich der „süße Seelengast, der Herz und Sinn erfreut“, wie es in der Pfingstsequenz heißt. Nur er kann uns von uns selbst lösen und aus der Gefangenschaft des Egoismus herausführen. Seine Liebe hat die Kraft, unser Inneres zu wandeln und uns ein großzügiges Herz zu schenken, bereit zu Hingabe und Verzicht.

Haben wir also den Mut, Jesus anzuschauen, und scheuen wir dafür keine Mühen. Wenn sein Blick uns trifft, eröffnet sich für uns der Weg zur Umkehr und Neuentwicklung unseres Lebens.Das Buch der Weisheit nennt Gott den „Freund des Lebens“. Er will uns das Leben in Fülle schenken. Deshalb sucht er uns auf an all den Orten, wo geistiger Tod den Menschen lähmt. „Denn ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein“: Je mehr Menschen dieser Aufforderung Jesu Raum geben, umso mehr wird das Gefühl des Verlorenseins der glücklichen Erkenntnis weichen: ich bin geliebt und darf wieder lieben.

P. Gregor Lenzen CP, Kirchenzeitung vom 3. November 2013

Lesungen zum 31. Sonntag im Jahreskreis am 3. November 2013