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Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB am Hochfest der Diözesanpatronin hl. Walburga, 25. Februar 2013

Liebe Pilgergemeinde zu Ehren der heiligen Walburga!

Antworten aus dem Lichte des Evangeliums

Über dem Grab der hl. Walburga sind zahllose Votivtafeln angebracht. Sie bezeugen, Menschen suchen am Grab der Heiligen Hilfe. Aber noch mehr brauchen Menschen in Nöten Orientierung und Perspektiven. Wie soll der Weg des Glaubens in Krankheit und Sorgen weitergehen, oder nach dem Tod eines lieben Menschen, in Lebenslagen voll Verzweiflung? An Orten wie diesem vergewissern sich Gläubige seit jeher über die ‚Grundfigur des Christseins’. Es sind gerade die Heiligen, die durch ihr Leben auf viele unserer Fragen aus dem Licht des Evangeliums antworten.

Auch wir sind in bewegter Zeit am Grab unserer Bistumsheiligen Walburga versammelt. Papst Benedikt XVI. steht nach seiner Rücktrittserklärung in den letzten Tagen seines Pontifikates. In der Ankündigung des Rücktritts begründet der Papst seinen Schritt mit den großen und herausfordernden Problemen unserer gegenwärtigen Situation in der Kirche. Diese anzugehen braucht es seelische Kraft und körperliche Stärke. Er kann diese nicht mehr aufbringen. Wir brauchen Orientierung und Klarheit über die Grundfigur des Christseins heute.

Gefährdetes Leben ohne Gott !

Was fordert unseren Glauben heute heraus? Unter den vielen Themen, die Papst Benedikt in seinen Predigten und Ansprachen während seiner Amtszeit anschnitt, war es vor allem die Gottes- bzw. Glaubenskrise unserer Zeit, die ihn bewegte. In ihr sieht er die wohl größte Herausforderung an die Kirche. Was unsere Zeitgenossen mehr als vieles andere miteinander verbindet, ist die Erfahrung der Abwesenheit Gottes im Alltagsleben. Gott kommt im öffentlichen und privaten Bereich des Lebens vieler Menschen nicht mehr vor, ja er soll ausgeklammert bleiben. Papst Benedikt wurde nicht müde, darauf hinzuweisen, dass unser Denken, ja unser Leben ohne Gott ärmer wird, dass dem Menschen der Hunger nach Gott eingestiftet ist. Wird der Hunger nicht gestillt, kommt es zu Ersatzbefriedigungen: in Süchten und in Konsumismus.

Weiter dürfte dem Papst die Gefährdung der Würde des Lebens vor Augen stehen. Durch die neuere Biotechnologie werden Wege aufgetan, die unser christliches Konzept von Leben als Geschenk von Gott vollends aushöhlen könnten. Die Selektion des vorgeburtlichen Lebens ist in einer bislang nicht gekannten Weise möglich, sei es durch das Aussortieren angeblich lebensunwerten Lebens, wenn am Embryo Behinderungen oder Krankheiten festgestellt oder auch nur vermutet werden, sei es durch die in einigen Ländern bereits praktizierte Geschlechterselektion, die zumeist Mädchengeburten verhindern soll. Wir stehen vor der Abschaffung der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens.

Als Mann und Frau schuf Gott den Menschen

Die seit einigen Jahren in der westlichen Welt um sich greifende Gender-Diskussion, die den Wertekanon unserer Gesellschaft verändert, steht quer zum jüdisch-christlichen Menschenbild. Dieses geht von der Polarität des Menschseins aus. Als Mann und Frau schuf Gott den Menschen, so der Schöpfungsbericht der Bibel. Menschsein ist also von Gott in der Polarität von Mannsein und Frausein gewollt. Die Differenzierung des Menschen in Mann und Frau verstehen wir Gläubige als Gabe Gottes, als Reichtum des Lebens. Gemäß der Gender-Theorie gibt es aber Mannsein und Frausein als vorgegebene Identität gar nicht, Geschlecht ist eine Phantasie, ist eine gesellschaftliche Schöpfung durch Konventionen, ist nur performance, wie sie es nennen. Für die Gender-Theorie gibt es viele Geschlechter, die nicht auf biologischer Gegebenheit aufruhen, sondern durch persönliche sexuelle Orientierung geschaffen werden. Daher die Forderung, Homo-Paare gleichberechtigt zur Ehe von Mann und Frau zu behandeln, daher die Forderung nach gesellschaftlichem Schutz der unterschiedlichsten sexuellen Orientierungen, die nach biblischer Überlieferung der Weisung Gottes zuwiderlaufen. Über internationale Organisationen, angefangen von den Vereinten Nationen bis hin zu den Institutionen der Europäischen Union, finden die Forderungen der Gender-Bewegung Eingang in das Bewusstsein. Nicht nur der Abschied vom biblischen Menschenbild ist eingeläutet, sondern auch vom besonderen Schutz der Ehe zwischen Mann und Frau sowie der darauf beruhenden Familie.

Wir stehen wahrlich vor gewaltigen Herausforderungen. Die Umbrüche in den Gesellschaften des Westens verursachen zusehends mehr Druck auf das christliche Milieu.

Die Kirche: eine engagierte, frohe Glaubens- und Lebensgemeinschaft

Weil wir als katholische Kirche zu Werten stehen, die der Mainstream bereits relativiert hat, geraten wir öffentlich in Kritik. Medial wird die katholische Kirche gern als Kirche der Probleme dargestellt. Tatsächlich vorhandene Problemfelder werden medial immer neu aufbereitet. Am Beispiel des fraglos zu verurteilenden sexuellen Missbrauchs in der Kirche wird das deutlich. Da wird uns derzeit mangelnder Aufarbeitungswille vorgeworfen. Gute Nachrichten, die zur ganzen Wahrheit gehören, sind nicht gefragt, etwa dass wir als katholische Kirche in Deutschland nach Aussagen bedeutender Fachleute führend sind bei Prävention vor sexuellem Missbrauch, oder dass sich viele Menschen, gerade auch Frauen, ehrenamtlich für die Kirche engagieren, dass etwa die jährliche Sternsingeraktion die größte mit Kindern durchgeführte Sozialaktion ist, dass in der tiefsten katholischen Diaspora in Schleswig-Holstein die verschwindend kleine katholische Minderheit sonntags mehr Kirchgänger aufzuweisen hat als die anderen Kirchen zusammen.

Verunsicherung und Kirchenmüdigkeit hat sich unter Gläubigen und Priestern breit gemacht. Nicht wenige wünschen sich eine Kirche, die durch Anpassungen an die Zeit breitere Akzeptanz erfährt und nicht fortwährend Gegenstand der öffentlichen Kritik ist. Von Modernisierung und Reformen ist die Rede.

Re-Form setzt Form voraus !

Gewiss kann sich die Kirche niemals auf einen Zustand festschreiben, sie wandelt sich stets. Die Forderung nach Re-Form, setzt Form voraus. Das besagt, Kenntnis von der Form zu haben, der Gestalt zu geben ist. Aber ist uns heute klar, nach welchem Bild sich unsere Kirche zu formen hat? Nach den gesellschaftlichen Trends und Entwicklungen? Nach den Vorgaben der Tradition?

Weil unter uns vieles unklar ist, erleben wir Kontroversen, in die sich Machtansprüche wie auch Angst vor Ohnmacht in der Kirche als Motive untermischen. Was am Ende herauskommt, ist oft Protest gegen die sogenannte „Amtskirche“, Aufruf zum Ungehorsam. Hierin gleichen sich Liberale und Traditionalisten. Nur die Inhalte sind verschieden.

Als Kirche können wir es uns nicht wirklich leisten, unsere Kräfte fortwährend durch innerkirchliche Diskussionen zu binden und der Welt das Zeugnis unseres Gottesglaubens schuldig zu bleiben. Um uns in dieser Zeit der Unsicherheit und des gesellschaftlichen Umbruchs nicht in der Beschäftigung mit uns selbst zu verheddern, gilt es nach der Grundfigur des Christseins zu suchen. Wer könnte uns bei der Suche besser begleiten als die Heiligen. Ihr Leben ist die zuverlässigste Exegese, Ausdeutung der Hl. Schrift, die Heiligen sind Wegweiser für lebendiges Kirchesein.

Die heilige Äbtissin Walburga: ein leuchtendes Beispiel des Glaubens heute

Deshalb versammeln wir uns am Grab unserer Bistumsheiligen Walburga. Wir feiern nicht eine heilige Vergangenheit. Ihr Glaubensweg soll uns Impulse und Orientierungspunkte für die Fragen im Heute geben.

In Krisen der Kirchengeschichte waren es immer wieder Frauen, die Wege in die Zukunft anstießen. Beginnend bei Maria und den Frauen unter dem Kreuz sowie im Pfingstsaal, Maria Magdalena am Ostermorgen, Hildegard von Bingen, Katharina von Siena, Theresa von Avila, Sr. Faustina, Mutter Teresa von Kalkutta…

Es ist oft das Charisma, das sich in Krisenzeiten als Brücke des Hl. Geistes für die Zukunft der Kirche erweist. Weil die Frauen den Dienst der Wegweisung nicht über das sakramentale Amt einbringen, können sie das Charisma in umso größerer Freiheit leben: nämlich die Berufung aller Glieder der Kirche zur Heiligkeit. Sowohl dem sakramentalen Dienstamt des Priesters wie auch dem gemeinsamen Priestertum aller Getauften gilt die Berufung in die Heiligkeit. Hierin sind wir geeint.

Das II. Vatikanum hat dies der Kirche wieder ins Gedächtnis gerufen. Das eine Priestertum Jesu Christi realisiert sich in der Kirche im gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen sowie im sakramentalen Dienstamt durch Priesterweihe. Die zwei Formen der Teilhabe am Priestertum Jesu Christi in der Kirche sind aufeinander verwiesen und ineinander verschränkt. Die Laien können nicht einfach als verlängerter Arm des Klerus begriffen werden, der Klerus nicht als das Zentrum der Kirche; das sakramentale Dienstamt ist keine Rechtfertigung subjektivistischer Machtansprüche. Über der Vielfalt im Leib Christi steht die Berufung aller zur Heiligkeit. Wird dieser wichtige Aspekt der Kirchenkonstitution übersehen, verlieren wir unsere Berufung und Sendung aus den Augen und kämpfen stattdessen um „Anrechte“ und Macht. Vernachlässigt die Kirche die übergreifende Berufung zur Heiligkeit, schwankt sie zwischen Klerikalismus einerseits und einer Kirche von unten andererseits, welche sich am Ende damit begnügt, Abbild der Gesellschaft zu sein.

Frauen als große Vorbilder und Heilige der Kirche

Es waren und sind immer wieder große und heilige Frauen, die in Zeiten der Krise und Unsicherheit die Berufung aller zur Heiligkeit vorlebten und durch ihr Leben aufrüttelten. Neben den großen Heiligen der Geschichte sind auch Frauengestalten der Moderne zu nennen etwa Simone Weil, die nach einem atheistischen Lebensabschnitt durch eine mystische Erfahrung zu Christus fand und inmitten der äußeren und inneren Krisen ihrer Zeit und ihres Lebens die Liebe zu Christus lebte. Oder Dorothy Day (1897-1980), die amerikanische Anarchistin und Pazifistin, die in den 20-er Jahren des letzten Jahrhunderts zur glühenden Katholikin wurde und durch ein Leben persönlicher Armut zur Zeugin der Liebe Christi für Arme, Obdachlose und Arbeitslose. Wegweisende Frauen ließen sich weder von klerikalen Eitelkeiten und Versagen noch von Schmeicheleien gesellschaftlicher Trends beeindrucken. Unbeirrt gingen sie den Weg der Jüngerschaft, der Intimität mit Christus. Der Liebe zu Christus nichts vorziehen: Unter diesem Wort der Benediktsregel stand auch das Leben hl. Walburga, die in ihrem benediktinischen Doppelkloster manche Demütigung gerade von Männern der Klostergemeinde hinnehmen musste. Sie ließ sich nicht auf Widerstreit ein. Walburga kämpfte gegen nichts und niemanden, sondern nur für Christus.

Heilige Walburga, bitte für uns !

Möge die hl. Walburga den vielen tüchtigen Frauen in unseren Pfarreien und Verbänden beistehen, die unsere Kirche geistlich und tatkräftig mittragen in einer Zeit, in der viele der Kirche den Rücken kehren. Gewiss ist das Engagement der Frauen in der Kirche noch stärker abzubilden, auch in den kirchlichen Verantwortungsstrukturen außerhalb des sakramentalen Amtes.

Möge uns allen die hl. Walburga in dieser Zeit des Umbruchs und der Unsicherheit Wegweiserin sein für jene Berufung, die an alle in der Kirche ergeht und die uns über unsere Grenzen hinaus einen kann, die Berufung zur Heiligkeit, der Berufung zur Intimität mit Christus, auf dass Christus in uns immer mehr Gestalt annimmt. Heilige Walburga, leuchte uns durch deine Fürbitte und dein Beispiel auf dem Weg unserer Berufung zur Heiligkeit auch heute voran, so wie du es damals als Äbtissin für deine klösterliche Gemeinschaft getan hast. Amen.