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Im Wortlaut

Rede des ernannten Bischofs von Eichstätt Gregor Maria Hanke anlässlich seiner Vereidigung durch den bayerischen Ministerpräsidenten am Mittwoch, 29. November 2006, in der Bayerischen Staatskanzlei

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
Eminenz,
Herr Landtagspräsident,
Herr Staatsminister, Herr Staatssekretär und alle Vertreter aus der Politik,
verehrte Mitbrüder und Mitglieder der Delegation aus Eichstätt!

Als angehender katholischer Bischof der bayerischen Diözese Eichstätt lege ich gemäß dem Konkordat von 1933 vor dem Ministerpräsidenten mein Treueversprechen gegenüber Deutschland und Bayern ab. Ein solcher Akt ruft mancherorts durchaus Verwunderung hervor. Nicht wenige begegnen einer solchen Verbindung von Staat und Kirche mit einer gewissen Skepsis.

Die einen fragen, ob eine Symphonie zwischen Staat und Kirche angesichts einer pluralistisch gewordenen Gesellschaft noch vertretbar ist, ob die Sonderstellung der Kirche und ihre Privilegien nicht anachronistisch sind? Innerkirchlich begegnet man dem Argument, die Kirche könnte bei einer allzu engen Liaison mit dem Staat Gefahr laufen, ihre Identität zu verdunkeln. Weil das Selbstverständnis der Kirche gemäß dem Evangelium auf das Reich Gottes ausgerichtet sei, müsse sich die Kirche eine gewisse Distanz zur Welt bewahren und sich vom Staat abheben.

Christlicher Glaube als Weg der Liebe Christi konzentriert sich in der Tat zunächst auf das personale Heil des Einzelnen. Aber die ethische Auswirkung der Liebe im innerkirchlichen Bereich ist immer schon offen für institutionelle Dienste und Funktionen im Raum der Gesellschaft. Christlicher Glaube ist individuell, aber nie privat, so liest man in der Charta eines katholischen Verbandes. Die soziale Dimension des christlichen Glaubens konnte sich allerdings in den Anfängen des Christentums aufgrund der Rahmenbedingungen des römischen Imperiums so nicht manifestieren. Dennoch wird schon vom Beginn der christlichen Mission an deutlich, wie sehr die praktizierte Liebe Christi auf "Selbsttranszendenz" in neue Räume angelegt ist. Bereits die junge Kirche transzendierte sich vom engen jüdisch-palästinischen Raum weit über die Grenzen des geographisch-ethnischen Ursprungs hinaus in die Kirche aus Juden und Griechen, sprich Heiden. Zu nennen ist die Kraft der Selbsttranszendenz, welche die Gesellschaften und politische Systeme mit dem Geist der christlichen Botschaft durchdrang und umformte, angefangen von der christlichen Umgestaltung des römischen Imperiums bis zu den nichtchristlichen, ja atheistischen Systemen der Zeitgeschichte und Gegenwart, denen sich die Kirche gegenübersieht.

Die geschichtliche Öffnung des Christentums auf die politische Ökumene hin besagt keineswegs, den Auftrag Jesu verraten zu haben, sondern trägt dem Wesen der Kirche Rechnung: Sauerteig zu sein, nicht nur für den individuellen Weg der Bekehrung und Nachfolge, sondern gerade auch im welthistorischen Sinn. Bewirken doch die individuelle Metanoia vieler Menschen und die von vielen Einzelnen gelebte Nachfolge Jesu die Implantation der christlichen Botschaft in das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben einer Gesellschaft. Im Missionsauftrag des Auferstandenen: Geht zu allen Völkern..., und tauft sie ... (Mt 28, 19) ist die Sendung vorgegeben, Sauerteig zu sein, der im Geiste Jesu verändert und Neues entstehen lässt.

Ein Staat, in dem man sich der christlich-abendländischen Wurzeln bewusst ist und gerade diese Werte fördern und schützen will, tut um seiner Zukunft willen gut daran, der Kirche Räume und Freiräume zu gewähren, in denen sie sich als Sauerteig entfalten kann. Dankbar blicken wir als Kirche auf die uns gewährten Räume, deren Aufzählung zu weit führen würde. Als künftiger Bischof von Eichstätt möchte ich jedoch die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt nicht unerwähnt lassen. Damit ist der Kirche ein hervorragender Raum anvertraut, in dem der suchende menschliche Geist vom Evangelium durchsäuert werden soll.

Andererseits bedeutet es für die Kirche stets einen Grenzgang, sich als Sauerteig in die Gesellschaft einzumengen. Wird der Sauerteig, wenn er in etwas Fremdem aufgeht, sich identisch bleiben? lautet die bange Frage durch die Kirchengeschichte hindurch. Ziehen nicht, wenn Politik, Wirtschaft und Kultur durchsäuert werden, im Gegenzug eine weltliche Denkart, weltliche Methoden des Umgangs mit Macht und Geld in die Kirche ein? Können die vom Staat der Kirche zugeschriebenen Freiräume nicht dazu missbraucht werden, dass sich Kirche als wohlbestallte Institution privatistisch einrichtet und kirchliche und staatliche Kompetenzen in einem falsch verstandenen Frieden gegeneinander abgegrenzt werden?

Die Kirche muss achtsam und verantwortungsvoll mit den ihr vom Staat ermöglichten Räumen umgehen, d.h. sie muss der ihr eingestifteten Bewegung zur Selbsttranszendenz treu bleiben. Ein wichtiges Indiz der Treue hierzu ist gewiss nicht ihre Verwaltungskompetenz, sondern ihr missionarischer Eifer. Es genügt nicht, in der Kirche das Prinzip der Selbsttranszendenz auf den einzelnen Gläubigen zu applizieren, eben als Ansporn zu geistlichem Wachstum auf dem Weg der Nachfolge, als individuelle Berufungsgeschichte. Die Kirche muss sich als verfasste Gemeinschaft gleichfalls darum mühen. Eine um das evangelische Selbstverständnis sich mühende Kirche wird schließlich das für die Gesellschaft beitragen können, dessen ein Staat bedarf, der sich auf Werte gründet.

Die Politik sucht das jeweils Mögliche und Machbare zu verwirklichen und ist daher auf Kompromisse angelegt, und dies erst recht in einer pluralistischen Gesellschaft. Bleibt die Kirche dem Prinzip der Selbsttranszendenz treu, werden politische Kompromisse, die christliche Werte tangieren, immer wieder den Widerspruch, die Gegenrede der Kirche hervorrufen. Die politisch und gesellschaftlich Verantwortlichen, denen selbst an Werten gelegen ist, sollten diese Gegenrede der Kirche nicht nur als Teil des gesellschaftlich-demokratischen Diskurses betrachten, vielmehr sind solche Reaktionen der Kirche ein Zeugnis ihrer Lebendigkeit und Fähigkeit zur Selbsttranszendenz. Diese und nicht ihre Angepasstheit generiert die Kraft für die Durchsäuerung der Gesellschaft im Geist des Evangeliums und sorgt so für die Lebendigkeit der christlich-abendländischen Werte.

Das Schweigen der Kirche zu politischen Entscheidungen, die den Werten unserer abendländischen Tradition nicht gerecht werden oder den Handlungsspielraum für deren Realisierung mindern, wäre für die Zukunft eines Staatswesens, das sich auf Werte gründet, bedrohlicher als der im Augenblick als unangenehm erfahrene Widerspruch.

Abschließend möchte ich meiner Hoffnung auf ein konstruktives Zusammenwirken von Staat und Kirche im Sinne einer kritischen Freundschaft Ausdruck verleihen und meinen Dank anfügen für die der Kirche ermöglichten Räume zur Entfaltung des Geistes des Evangeliums.

© Pressestelle der Diözese Eichstätt