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Im Wortlaut

Predigt des Hochwürdigsten Herrn Bischof Gregor Maria Hanke anlässlich der Jahresabschlussandacht am 31. Dezember 2018 im Eichstätter Dom

Liebe Schwestern und Brüder,

am 6. Februar dieses Jahres wurde in meinem Auftrag eine Pressekonferenz abgehalten, um die Öffentlichkeit über den Finanzskandal in der Finanzabteilung unseres Ordinariats zu informieren. Aus dem Rücklagevermögen des Bistums waren Gelder in hochriskanter Weise für Immobilienprojekte in den USA ausgegeben worden. Diese Nachricht wirkte im Bistum und darüber hinaus wie ein Tsunami. Der Schritt, die Öffentlichkeit von den skandalösen Vorgängen zu informieren, war in enger Abstimmung zwischen unseren Juristen und der dafür zuständigen Staatsanwaltschaft München II erfolgt.

Gut anderthalb Jahre zuvor hatte die allmähliche Aufdeckung begonnen. Auslöser dafür war die von mir ausgegebene Richtlinie, dass das Bistum und alle auf der diözesanen Ebene angegliederten Rechtsträger ihr jeweiliges Vermögen nicht nur in Anlehnung an das Handelsgesetzbuch, sondern in strenger Konformität zu dessen Vorgaben zu bilanzieren und der Öffentlichkeit vorzulegen haben. Auf diese Weise sollte unser Bistum die Transparenzoffensive der Deutschen Bischofskonferenz korrekt umsetzen. Zur Durchführung dieses im ersten Durchgang aufwendigen Projektes bedurfte es der Hilfe externer wirtschaftlicher und juristischer Kompetenz. Als die beigezogenen Fachleute an den Generalvikar und mich eine erste Meldung über Ungereimtheiten machten, erteilte ich den Auftrag zur bedingungslosen Aufklärung ohne Rücksicht auf Personen. Im Juli 2017 veranlasste ich schließlich die Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft.

Für mich bestand kein Zweifel daran, dass die Aufklärung und Aufarbeitung der Vorgänge um den Finanzskandal vollständig in die Hände der Staatsanwaltschaft und der staatlichen Gerichtsbarkeit gehören. Ich setze hier gänzlich auf die Untersuchung durch die Justiz. Zusätzlich läuft eine von mir angeordnete Untersuchung der Prozessabläufe und Verantwortlichkeiten im Finanzskandal unterhalb der strafrechtlichen Ebene, die durch Juristen einer Anwaltskanzlei geführt wird und deren Ergebnisse im Februar vorliegen werden. Auch bei diesem Schritt gab es eine Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft, die den Bericht entgegennehmen wird.

Selbsternannte Richter auf der Straße fällen zwar bereits Urteile zum Finanzskandal. Solche Schuldsprüche basieren allerdings auf allgemeinem Gerede und Gerüchten. Detailkenntnisse interner Vorgänge, die zum Finanzskandal führten, oder gar eine Kenntnis staatsanwaltschaftlicher Vernehmungsprotokolle sowie anderer wichtiger Dokumente und Zeugnisse liegen diesen Urteilen und Verurteilungen nicht zugrunde. Wem könnten sie also dienen? Fördern sie am Ende nicht Emotionen, Verunsicherung und Misstrauen? Wir wollen doch aus dem, was sich zugetragen hat, für die Zukunft lernen und uns vor allem wieder mit voller Hingabe der Pastoral widmen. Unser Ziel muss folglich die bedingungslose Aufklärung des Falls sein. Lassen wir die Justiz und die Juristen ihre Arbeit tun.

Im Falle des sexuellen Missbrauchs sieht sich die Kirche zurzeit mit dem Vorwurf konfrontiert, in der Vergangenheit beim Umgang mit Missbrauchsfällen die Staatsanwaltschaften und den externen juristischen Blick nicht oder nicht konsequent einbezogen zu haben. Sie habe sich mit binnenkirchlichen Regelungen begnügt, die oft nur eine Verlagerung des Problems des sexuellen Missbrauchs oder gar Vertuschung  darstellten. Angesichts dieser Diskussion sehe ich mich nochmals bestätigt, für die Aufklärung des Finanzskandals mit meiner Entscheidung den richtigen Weg eingeschlagen zu haben, alles der Staatsanwaltschaft und externen Juristen zur Untersuchung zu übergeben.

Dankbar bin ich dem Generalvikariat, dass bei der Aufarbeitung der Personalakten unseres Bistums im Kontext der Vorwürfe zum sexuellen Missbrauch von Anfang an mit einem Staatsanwalt zusammengearbeitet wurde und die Staatsanwaltschaft zur Beurteilung von Fällen einbezogen war.

Als Kirche mussten wir lernen, die Perspektive der Missbrauchsopfer einzunehmen. Zu lange hatten die Opfer kein Gehör gefunden und noch weniger Gerechtigkeit und Solidarität angesichts des ihnen zugefügten Leids. Statt Leidempfindlichkeit und Sympathie mit den Verletzten und Geschändeten hatten Institutionenschutz wie auch Täterschutz Priorität. Es ist erschütternd, dass mitten in der Kirche Priester ihren Sendungsauftrag missbrauchten, um Schutzbefohlene oder seelsorglich anvertraute Menschen auf oft verbrecherische Weise zu erniedrigen und seelisch zu verwunden. Die meisten Priester, die ja treu ihren Dienst verrichten und sich persönlich keinerlei Abusus vorzuwerfen haben, sollten dennoch nicht der Versuchung erliegen, in der gegenwärtigen öffentlichen Debatte ihr gutes Verhalten betonen und hervorheben zu wollen. Angesichts der Tragödie des unter uns Geschehenen muss die Sicht des Apostels Paulus gelten: Leidet ein Glied am Leib Christi, leiden alle mit. Und dies umso mehr, als sich das Leiden der Missbrauchsopfer durch verabscheuungswürdige und sündhafte Taten von Geweihten inmitten der Kirche zugetragen hat. Unser Blick hat die Perspektive der Opfer einzunehmen, es darf uns nicht um das eigene Ego oder die Institution gehen.

Jüngst wurde in der Öffentlichkeit darüber diskutiert, ob der sexuelle Missbrauch am Ende nicht einem in der DNA der Kirche festsitzenden Machtmissbrauch zuzuschreiben ist. Diese zugespitzte These möchte wohl auf vorhandene innerkirchliche systemische Gefährdungen aufmerksam machen, dient aber in ihrer pauschalen Zuspitzung nicht dazu, die Sendung der Kirche als Sakrament des Heils und die dringend notwendige geistliche Erneuerung ihrer Glieder als Weg der Veränderung verständlich zu machen. Wächst nicht das Gefährdungspotential für jedweden Missbrauch in der Kirche, sobald wir ihre wahre DNA, die Person Christi und die Frohe Botschaft, aus dem Blick verlieren oder verdrängen?

Was die Vorsorge gegen sexuellen Missbrauch betrifft, setzen wir im Bistum weiterhin auf Präventionsarbeit, die personell künftig gestärkt wird. Sie soll beitragen zu einer Atmosphäre der Offenheit und des Respekts voreinander, in der Dunkelkammern des Schweigens und des Verdrängens möglicher Untaten keinen Platz haben. Vor allem gilt es, der Freude des Evangeliums Raum zu schaffen. Unsere Pastoral soll nicht in erster Linie Sorge an den Institutionen, Sorge um Strukturen sein, sondern Sorge um das christliche Personsein, das in der Kraft des Evangeliums Stärkung findet.

In den letzten Lebenswochen vor seiner Hinrichtung hat P. Alfred Delp eine gerade heute bedenkenswerte Analyse über den modernen Menschen und die Herausforderungen der Kirche angesichts der Moderne abgegeben, sozusagen eine pastorale Richtungsweisung. Alfred Delp beschreibt zunächst den innerkirchlichen Zustand als existentielle Müdigkeit: Der müde gewordene Mensch in der Kirche hat nur den müde gewordenen Menschen gefunden.[1] Er begeht dann noch die Unehrlichkeit, seine Müdigkeit hinter frommen Worten und Gebärden zu verbergen. Die Botschaft des Evangeliums und die theologische wie spirituelle Reflexion erreichen die Herzen nicht mehr. Der Adressat, der moderne Mensch, trägt vor sich einen Berg des Überdrusses, der die klaren theologischen Erkenntnisse und das Herz des Menschen voneinander trennt. Er kann keinen Geschmack mehr an der Botschaft des Evangeliums finden. Der moderne Mensch ist sich selbst zum Problem geworden. Er ist innerlich erkrankt, spürt dies aber selbst oft nicht mehr. Auf vielen Gebieten des Lebens ist er geradezu ein Könner geworden. Als solcher zeigt er Empfindlichkeit gegen jede Haltung, die er als Anmaßung seinem Ich gegenüber empfindet. Deshalb verträgt er es nicht, wenn ihm ständig seine Krankheit vorgehalten wird, wenn ihm die Kirche seine Lage als Mangel, als Defizit spiegelt. Den müden Menschen wie auch den Menschen des Überdrusses erreichen wir nicht als fordernde Kirche im Namen eines fordernden Gottes - das ist kein Weg mehr zu diesem Geschlecht und zu kommenden Zeiten, so Delps Resümee.[2]

Nach Delp lässt sich der Geschmack an der Frohen Botschaft nicht durch Äußerlichkeiten unseres kirchlichen Handelns vermitteln, auch nicht über den Intellekt allein. Es muss ein Weg gefunden werden in die Personenmitte, ins Herz, ein Weg des Vertrauens. Und selbstkritisch fügt er hinzu: Mitunter sind wir selbst es, wir,  die wir zum sakramentalen Dienstamt geweiht sind und diejenigen, die sich einst durch die Profess dem Herrn geschenkt haben, die den Menschen viel an Vertrauen genommen haben.

Aber wie kann dieser Weg aussehen, dieser Weg zu den Herzen der Menschen? Nicht Reformprogramme braucht es nach Alfred Delp, sondern man muss sich an die Bildung der christlichen Persönlichkeit begeben.[3] Heute würde man Delps Perspektive um den Begriff der Evangelisierung erweitern. Nach Delp braucht es Menschen des Pleroma, der Fülle. Erfüllte Menschen in der Kirche, die Sachwalter Christi sind. Durch solche Menschen erhält die Kirche helle Augen, die auch in dunklen Stunden Gottes Anruf sehen, die Vertrauen bei den Menschen wecken.

Pastoral als Dienst an der Bildung der christlichen Persönlichkeit, als Ermöglichung eines erfüllten Menschseins, als glaubwürdige Zeugenschaft, die Vertrauen des Herzens aufbaut.

Diese Perspektive unseren pastoralen Verantwortungs- und Handlungsebenen zugrunde zu legen, wäre doch lohnenswert: auf der diözesanen Eben, auf der Ebene der Pfarrei, im Pastoralteam, im Pfarrgemeinderat, im Verband.

Wie können und wo wollen wir dem Ziel dienen, christliche Persönlichkeit zu bilden und Zeugen der Frohen Botschaft zu wecken? Mit welchen pastoralen Impulsen und Ansätzen tragen wir zum Beispiel in der Pfarrei dazu bei, dass die christliche Ehe und Familie inmitten der Freuden und Schwierigkeiten des Alltags auch Raum zur Bildung einer christlicher Persönlichkeit sein kann? Welche Möglichkeiten bieten wir, diese Persönlichkeitsbildung im Miteinander und in der Verbindung mit der Gemeinde zu ermöglich? Wie können wir dem Ziel „Bildung der christlichen Persönlichkeit“ in der Jugendarbeit dienen? Was bedeutet dieses Ziel für uns selbst als Pfarrgemeinderat, als Pastoralteam? Was heißt Bildung der christlichen Persönlichkeit nach 15, 20, 30 Priesterjahren oder nach zehn und mehr Bischofsjahren, nach ebenso vielen Dienstjahren als Gemeindereferent, als Pastoralreferentin?

Nicht selten ergeht die Frage an mich, wie denn die Pastoral der Zukunft in unserem Bistum aussehen soll. In den vergangenen drei Jahren bin ich in zentralen Predigten immer wieder auf tragende Säulen einer künftigen Pastoral eingegangen. Bildung der christlichen Persönlichkeit, den Weg des Glaubens als Prozess meiner und unserer Menschwerdung nach Christi Bild verstehen, ist eine dieser Säulen. Auf ihr basiert auch das kürzlich in Kraft gesetzten diözesanen Fort- und Weiterbildungskonzept.

Communio ist eine weitere Säule der Pastoral der Zukunft. Jüngerschaft, der Glaube an Christus ist angelegt, in der Wir-Form gelebt und praktiziert zu werden. Meine persönliche Entscheidung für den Weg des Glaubens, die stets gefragt ist, ist eine Entscheidung für die Wir-Form, weil wir durch den Glauben und die Feier der Sakramente teilhaben an Gott, der als dreifaltiger in sich Gemeinschaft ist. Was könnte es aber heißen, unsere pastoralen Räume als Gemeinschaft von Gemeinschaften zu gestalten, das Presbyterium als Communio, der Gemeinschaft der Mitarbeiter? Wie tragen wir zu Entfaltung und Wachstum der Communio bei, die in der Kommunion der Eucharistie Ausgang und Ziel haben muss? Wie steht es im Prozess der Communio-Werdung um meine persönliche Berufung, welche Charismen für die anderen darf ich verschenken?

Um das Evangelium in seiner Relevanz für das heutige Leben und für das Miteinander neu zu entdecken, braucht es vertrauenswürdige Zeugen. Das Thema Evangelisierung wollen wir als Queraufgabe für alle pastoralen Bereiche in den Blick nehmen. Die neue Hauptabteilung Jugend – Berufung – Evangelisierung im Bischöflichen Ordinariat soll als eine Art Motor bereits vorhandene Initiativen in Pfarreien, Verbänden und geistlichen Gemeinschaften unterstützen, vernetzen und weitere Impulse geben. Der inhaltliche Zuschnitt der neuen Hauptabteilung Jugend – Berufung – Evangelisierung basiert auf einem Impuls der zurückliegenden römischen Jugendsynode.

Wir alle sind gerufen, uns selbst zu evangelisieren, um jene in unserer Gesellschaft ansprechen zu können, die das Christsein enttäuscht oder gelangweilt als lebensgeschichtliche Episode längst hinter sich gelassen haben. Es braucht für diesen missionarischen Weg der Kirche besonders auch das Ehrenamt, Frauen und Männer, die ihrer Sendung aus Taufe und Firmung nachkommen. Ich erinnere mich an ein Wort des früheren Erfurter Bischofs Joachim Wanke: Die Gemeinden des Paulus waren Kirche des Ehrenamtes.

An dieser Stelle möchte ich allen ehrenamtlich Engagierten in unseren Pfarreien und Verbänden sowie in unseren Gremien danken. Mein besonderer Dank gilt den im Jahr 2018 ausgeschiedenen Mitgliedern der Pfarrgemeinderäte, Kirchenverwaltungen, Dekanatsräte und des Diözesanrats. Dankbar grüße ich jene, die bei den Wahlen des Jahres 2018 neu oder erneut Mitglieder dieser Gremien wurden. Ich verspreche Ihnen mein besonderes Gebetsgedenken. Wie fruchtbar das Zusammenwirken von Hauptberuflichen und Ehrenamtlichen sein kann und wie glaubensfroh es machen kann, durfte ich bei der internationalen Ministrantenwallfahrt nach Rom erfahren. Knapp 600 Minis aus unserem Bistum mit den hauptberuflichen Betreuern aus dem Jugendamt, mit Jugendseelsorgern sowie mit einer großen Schar ehrenamtlicher Betreuer waren im August nach Rom aufgebrochen. Für mich als Bischof war es eine wunderbare geistliche und menschliche Erfahrung. Vergelt’s Gott, liebe Minis. Ihr wart großartig dabei, bei den Gottesdiensten in den großen Kirchen Roms, auf unseren Fußwegen durch die Stadt bei größter Hitze wie auch bei der Papstaudienz. Beeindruckend, Eure Freude. Ein Vergelt’s Gott den vielen ehrenamtlichen Begleitern für den oft recht anstrengenden Einsatz bei dieser Wallfahrt, für die Zeit, die ihr verschenkt habt, und für das Zeugnis des Glaubens, ein Vergelt’s Gott allen Hauptberuflichen und den mitwirkenden Priestern.

Mit diesem Bild der pilgernden Jugend will ich schließen. Mögen wir alle im kommenden Jahr 2019 als große Pilgergemeinde unterwegs sein in der Gemeinschaft mit dem Herrn und zum Herrn hin. Vergelt’s Gott für Ihr Mitgehen im Jahre 2018. Gottes Segen im neuen Jahr.

Amen.


[1] Alfred Delp, Mit gefesselten Händen. Aufzeichnungen aus dem Gefängnis, Frankfurt am Main 122007, 139.

[2] Delp, a.a.O. 138f.

[3] Delp, a.a.O. 143f.