Zum Inhalt springen

Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB anlässlich des 100jährigen Jubiläums des Eichstätter Caritasverbandes am 12. Juli 2018 im Eichstätter Dom

Liebe Schwestern und Brüder,

wir haben uns zu dieser festlichen Messe versammelt, um die Gründung unseres diözesanen Caritasverbandes vor 100 Jahren zu feiern. Ehrengäste des Festes sind Sie, die Ehrenamtlichen und die Sammlerinnen und Sammler. Der Dank des Bistums verbunden mit Segenswünschen geht an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen unserer Caritas, an die Ehrenamtlichen und die Sammlerinnen und Sammler, Dank geht an die bereits im Ruhestand befindlichen früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie an all jene, die in Leitungsaufgaben besondere Verantwortung trugen und tragen. Eingeschlossen in den Dank seien auch die Wohltäter und Spender unserer Caritas. Mit den Segenswünschen verbindet sich bei dieser Messfeier ein Gebetsgedenken für all die Genannten, ferner für die Menschen, die in den Caritas-Einrichtungen leben oder sie nutzen wie auch für alle Verstorbenen: für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie Betreute.

Im Bistum Eichstätt wurde 1918 der erste Diözesanverband Bayerns errichtet, der somit im Kreis der bayerischen Verbandsgeschwister den Platz des Ältesten einnimmt. Ein hundertjähriger Geburtstag bei einem Menschen ist gewöhnlich ein Tag der Besinnlichkeit, an dem sich die Frage stellt, wie und wie lange es wohl noch gehen wird. Für unseren 100-jährigen Caritasverband darf man hingegen konstatieren: Helfen und dienen im Geiste des Evangeliums ist kein Modell, das altert. 100 Jahre caritatives Wirken machen Mut für den Dienst in der Zukunft.

„Caritas“ heißt ins Deutsche übersetzt „Liebe“ und bedeutet im kirchlichen Sprachgebrauch: christlicher Liebesdienst. Was ist christliche Liebe konkret? Wir reden viel über Liebe. Wir erwarten Liebe von anderen, oft um eigene Interessen zu befriedigen. Wir bleiben dem anderen Liebe schuldig, weil uns die Kraft fehlt oder weil wir es mit dem anderen nicht können. Wie geht christliche Liebe?

Der Autor des 1. Johannesbriefes eröffnet eine einfach klingende, inhaltlich aber herausfordernde Perspektive. Er schreibt: „Gott ist die Liebe.“ (1 Joh 4,16). Er sagt nicht: Gott hat die Liebe, nein, er ist die Liebe. Mit diesem Satz behauptet er eine Qualität Gottes, die nicht eine neben anderen Eigenschaften ist, wie es bei uns Menschen der Fall ist. Du bist vielleicht nett, kannst aber auch grantig sein. Gott ist nicht lieb und noch etwas anderes, er ist ganz und gar Liebe. Sein Wesen ist so beschaffen, dass dieser Gott mit seinem Herzen dem Menschen ganz zugewandt ist. Liebe heißt: Gott ist Zuwendung, er lebt diese Zuwendung zum Menschen so radikal, dass er alle Hindernisse durchkreuzt, die ihn vom Menschen abhalten. Für diese Liebe steht sein Kreuz.

Gott ist die Liebe! Gott drängt es zum Menschen, besonders zum Kleinen, zum Schwachen und Armen, wo er in der Leere der Armut seine Liebesfülle anbringen kann. Der Schreiber des 1. Johannesbriefes leitet ab: Wer liebt, folgt dem Weg, den Gott geht. Mit Sicherheit kann der nicht Gott lieben, der seinen Mitmensch nicht liebt. Wer nämlich seinen Bruder, seine Schwester nicht liebt, die er doch zu sehen vermag, kann unmöglich Gott lieben, den er nicht sieht (vgl. 1 Joh 4,16ff).

Gott ist die Liebe. Liebe ist also die Kraft, sich selbst zu übersteigen, aus sich herauszugehen hin zum Menschen und ihn emporzuheben, ihm Würde und Wert zu schenken. Papst Franziskus formuliert aus diesem liebenden Sehnen Gottes nach dem Menschen einen Handlungsauftrag an uns: Geht an die Ränder! Liebe Schwestern und Brüder, der liebende Gott ist in Jesus über den Rand seines Gottseins gegangen, um beim Menschen anzukommen. Wo Gottes Liebe wirkt, wird das, was menschlich als Rand, als Peripherie gilt, zur Mitte. „Was ihr für einen der Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan“, sagt Jesus (Mt 25, 40).

Strukturen können nicht lieben, sie können nur den Weg ermöglichen. Es sind Personen, Jüngerinnen und Jünger Jesu, die sich auf den Weg der Liebe machen. Von diesen Aufbrüchen lebt eine Organisation wie die Caritas. Sie, die Ehrenamtlichen aus unseren Pfarrgemeinden, sind deshalb so kostbar für die Caritas. Freilich braucht die Caritas ebenso Hauptberufliche, die Jüngerinnen und Jesu sein wollen. Zumindest muss es in jeder Einrichtung eine gewisse Anzahl geben, die diesen Geist Jesu spürbar machen.

Im alltäglichen Miteinander gestaltet sich dieser Weg Gottes, dem wir folgen wollen, nicht so leicht. Wir stehen uns manchmal selbst im Weg, oder die Kraft und Geduld ist erschöpft. Ihnen, den Sammlerinnen und Sammlern, wurde vielleicht nach bösen Worten sogar noch die Türe vor der Nase zugeschlagen. Das macht mürbe, lässt gar resignieren. Der Weg der Liebe kann sehr beschwerlich sein.

Wenn Gott die Liebe ist, erscheint es geboten, immer wieder Gott zu berühren, in Gott zu sein und Gott in mir sein zu lassen, um in der Liebe zu bleiben. Vielleicht verhält es sich wie bei einem kleinen Kind, das laufen möchte, aber tollpatschig und unsicher ist. Es geht zur Mutter, lässt sich in die Arme nehmen und sich emporheben. Und die Mutter trägt ihr Kind ein Stück weit über Hindernisse auf ihren Armen, nimmt es dorthin mit, wohin sie geht. Wohin geht die Liebe Gottes? Zum Mitmenschen, vor allem zum Hilflosen und Armen, dorthin drängt es die Liebe Gottes. Liebe Schwestern und Brüder, zu Gott gehen, mich in seine Arme begeben, das stärkt und entlastet nicht nur für den Alltag, es vertieft meine Liebesfähigkeit gegenüber dem Mitmenschen.

Papst Benedikt hat in seiner Enzyklika „Deus Caritas est. Gott ist die Liebe“ das Wesen christlicher Liebe beschrieben. Du wirst Jüngerin und Jünger, weil du einer liebenden Person, der Person Christi begegnest. Und diese Person hebt dich empor wie die Mutter ihr Kind, sie gibt dir eine neue Perspektive für dein Leben. So wirst du selbst zum Liebenden. Liebe Schwestern und Brüder, bei meinem Besuch in unserem Partnerbistum Poona durfte ich die Bedeutung dieser Aussage erleben. Ich suchte das am Stadtrand Poonas von Mutter Theresa von Kalkutta eröffnete Sterbehospiz auf. Jeden Morgen nach Gebet und Messfeier gehen die Schwestern in die umliegenden Slums, um die Kranken und Sterbenden von den Straßen aufzusammeln und in das Hospiz zu bringen, wo sie würdig gepflegt werden, bis zu ihrem Sterben oder bis zur Genesung. „Wie schaffen Sie es, jeden Tag dieses Elend anzuschauen und nicht zu verzweifeln“, fragte ich die Oberin. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen unseren Weg.“ Sie führte mich in die Kapelle und fuhr fort: „An jedem Abend sind wir Schwestern hier zur eucharistischen Anbetung für mindestens eine Stunde versammelt. Wir müssen uns vom Herrn im Sakrament anschauen lassen und ihn anschauen, damit wir ihn auf der Straße in den Gesichtern der Armen und Kranken entdecken können.“ Liebe Gottesdienstgemeinde, die Begegnung mit dem liebenden Herrn ermöglicht es, selbst Liebe schenken zu können.

Caritas kann man nicht einfach aus dem persönlichen Leben oder aus dem gemeindlichen Leben an einen Fachverband delegieren. Die große Organisation Caritas braucht die gelebte Caritas der Gläubigen. Caritas beginnt in der Familie, im Umgang mit den Alten und Kranken, in der Achtsamkeit innerhalb der ehelichen Beziehung, in der Nachbarschaft, in der Pfarrgemeinde. Sie, liebe Ehrenamtliche und Sammlerinnen und Sammler der Caritas, machen diesen Zusammenhang deutlich. Dafür möchte ich Ihnen heute ausdrücklich meine tiefe Anerkennung aussprechen und Ihnen ein ehrliches „Vergelt’s Gott“ sagen!

Wir erleben in unserer Gesellschaft eine kritische Haltung gegenüber allem Institutionellen. Nicht nur politische und gesellschaftliche Institutionen sowie die Kirchen sind davon betroffen, auch die Wohlfahrtsinstitutionen, nicht zuletzt die kirchlichen, geraten immer wieder in öffentliche Kritik. Und wenn dann noch ein Ereignis wie der Finanzskandal im Bistum Eichstätt hinzukommt und die Kritik sich an Ehrenamtlichen und Sammlerinnen und Sammlern der Caritas entlädt, fühlen diese sich enttäuscht und fassungslos. Mein aufrichtiger Dank gilt allen, die in der schwierigen Zeit dennoch für die Anliegen der Menschen in Not an die Haustüren gegangen sind.

Auch medial sind Kritik und Vorwürfe gegen unsere kirchlichen und gegen freie soziale Einrichtungen vernehmbar: Da ist die Rede vom „Kartell der Gutmenschen“, da wird abfällig von „Sozialunternehmen“ gesprochen, von „Profitabilität vor Nächstenliebe“.

Die komplizierte Sozialgesetzgebung, die Abhängigkeit von staatlich vorgegebenen Standards und die daraus folgende staatlicher Refinanzierung in nicht wenigen Bereichen wie auch manch andere Faktoren wie Arbeitskräftemangel im Pflege- und Erziehungsbereich machen eine Trägerschaft nicht immer einfach, die das Verlangen, den Geist christlicher Liebe zu verwirklichen, aufrecht erhält.

Angesichts solcher Erfahrungen und harscher Kritik und wird mitunter die Frage gestellt, ob es überhaupt sinnvoll ist, dass Christen eine Organisation wie den Caritasverband oder auch die Diakonie beauftragen, den Dienst der Liebe in die Nöte der Welt hinein zu schenken. Die Sendung des Einzelnen und der Gemeinschaft der Kirche, in Liebe zu dienen, sehen wir allerdings deutlich an der jungen Kirche, wie sie uns in der Apostelgeschichte geschildert wird. Auch die Kirche als Gemeinschaft ist beauftragt, die in der Gottesliebe gründende Nächstenliebe zu praktizieren. Dazu braucht es Organisation und eine Ordnung. Bereits die Apostel erstellen eine Ordnung durch die Berufung der sieben Diakone, denen der Dienst an den Tischen übertragen wird.

Alle Kritik soll uns immer wieder zur Einsicht führen, dass fachliche Kompetenz in der Caritas notwendig ist, aber alleine nicht ausreicht. Damit der Dienst der Liebe nicht nur Not lindert, sondern Menschen aufbaut und emporhebt, braucht es Gesichter, hinter denen ein liebendes Herz steht. Gott ist die Liebe. Durch dich, durch mich können andere Menschen das erfahren. Durch uns gemeinsam kann unsere Caritas dies Menschen in Not erfahrbar machen.

Für das liebende Herz sei allen gedankt, die sich darum sorgen und mühen, besonders, Ihnen, den Ehrenamtlichen und Sammlerinnen und Sammlern. Gott vergelte Ihnen Ihre Liebe mit der seinen.

Amen