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Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB am Ostersonntag, 4. April 2010, im Eichstätter Dom

Liebe Schwestern und Brüder,

Wer könnte uns den Stein vom Grab wegwälzen? So fragten die Frauen am Ostermorgen, als sie zum Grab Jesu gingen. Sie, die in der Frühe zum Grab des Herrn kamen, waren die eigentlichen Grabbewohner, eingeschlossen im Grab ihrer Trauer und Hoffnungslosigkeit. Die Grabkammer, in der Jesus gelegen hatte, war hingegen Tor für das wahre Leben geworden: Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier. So die Worte des Engels an die Frauen.

Der Stein vor unserem Grab

Wer könnte uns den Stein vom Grab wegwälzen? Eine gute Frage, um das Osterfest gerade jetzt als Fest des Lebens feiern zu können.

 Nicht wenigen Gläubigen ergeht es derzeit wie den Frauen auf dem Weg zum Grab, erfüllt von Trauer und Resignation. Die seit Wochen geführte öffentliche Diskussion über Missbrauchsfälle aus dem Raum der Kirche hat so manchen katholischen Christen auf seinem Glaubensweg gelähmt. Kann man zu dieser Kirche noch stehen, angesichts dessen, was die Zeitungen berichten?, fragen sich resigniert die einen. Und manch einer ist dabei, der Kirche den Rücken zu kehren oder hält sich derzeit sehr zurück mit dem Kontakt zur Kirche. Andere wiederum klagen verbittert in Richtung Presse, doch endlich mit dieser einseitigen Berichterstattung aufzuhören und nicht fortwährend die Augen vor den Bereichen der Gesellschaft zu verschließen, wo das Problem des Missbrauchs regelrecht brennt.

Viele Priester, die Tag für Tag in Treue ihre Berufung leben und sich für ihre Gemeinde einsetzen, sind verunsichert. Sie spüren, wie sie von der Öffentlichkeit mit Misstrauen belegt werden, ja sogar unter einer allgemeinen Verdächtigung stehen.

 Es will nicht so recht Ostern werden, da uns gegenwärtig eine große Last aufliegt. Wer könnte uns den Stein vom Grab wegwälzen? fragen wir heute.

Ostern- nicht Happy End, sondern Erweis der Macht Gottes

 Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir im Credo Jesu Auferstehung von den Toten bekennen, bekunden wir gläubig: Gott hat in Jesu Auferweckung seine Macht offenbart und sich durchgesetzt gegen den Tod. Jesu Auferweckung bedeutet eine Wende in der Geschichte, die Eröffnung von bleibender Zukunft. Ostern ist schon angebrochen, wir leben bereits in der neuen Wirklichkeit.

 Die Botschaft von Jesu Auferstehung will eben kein tröstliches Märchen sein. Auch handelt es sich bei der Osterüberlieferung in den Evangelien nicht um eine fromme Denkgestalt abgehobener Charismatiker aus dem Schülerkreis Jesu, die die Bodenhaftung verloren hatten. Das Neue Testament verkündet Jesu Auferweckung als Machttat Gottes, als ein geschichtliches Geschehen. Das Neue Testament ist bekanntlich kein Buch aus einem Guss. Gerade zum Thema der Auferweckung des Herrn enthält es quer durch die unterschiedlichen Text- und Überlieferungsschichten auffallend viele Bekenntnisformeln und katechetische Texte. In den älteren Bekenntnissätzen zur Auferstehung hat wohl der Enthusiasmus derer noch seinen Niederschlag gefunden, die dem auferweckten Herrn begegnen durften bzw. die noch Zeugen der Auferstehung persönlich gut kannten. Einige dieser Texte dürften von ihrem Alter her in die dreißiger Jahre des ersten Jahrhunderts n. Chr. zurückreichen, also in die Zeit der jungen Gemeinde unmittelbar nach Jesu Himmelfahrt:

So findet sich mehrfach der bekenntnishafte Ausruf in der Apostelgeschichte:

Gott hat Jesus Christus auferweckt (Apg 2, 23f., 32; 3, 15 usw)

Paulus greift auf solche Formeln zurück wie:

Herr ist Jesus – Gott hat ihn auferweckt von den Toten. (Röm 10, 9)

Und an anderer Stelle:

Christus ist gestorben für unsere Sünden nach der Schrift  und ist begraben worden, er ist auferweckt am dritten Tag nach den Schriften und ist erschienen dem Kephas… (1 Kor 15, 3-5)

Kein Zweifel bestand in der jungen Christenheit: Der Herr ist wahrhaft auferstanden! Jesu Auferweckung bedeutet freilich nicht, dass der Herr am dritten Tag aus dem Tod einfach in die irdischen Lebensbedingungen unter besseren Voraussetzungen zurückgekehrt ist. Darin unterscheidet sich Jesu Auferweckung gerade von der des Lazarus und schließlich von antiken Mythen, in denen der Verstorbene zu guter letzt gleich dem happy end einer Geschichte wieder im normalen Leben ankommt.

Unser Herr tritt vielmehr ein in eine neue Form der Leibhaftigkeit ein, in einen Geistleib. Nicht einfach Rückkehr in die Endlichkeit der Welt, sondern Aufbruch aus der Welt in die Weite Gottes. Er zeigt sich leibhaft, aber nicht mehr in der Leibhaftigkeit dieser begrenzten Welt der Moleküle, der chemischen und geistigen Prozesse, sondern in ‚himmlischer Andersartigkeit’ (H. Schlier, Über die Auferstehung Jesu Christi, 2008, 28.) Im auferstandenen Herrn bricht das neue Leben Gottes als etwas Gegenwärtiges in die Welt ein.

Auferstehung beginnt mit der Erfahrung der verwandelnden Kraft des Kreuzes

Wie aber, so fragen wir, kann dann seine Jüngergemeinde, seine Kirche spürbar daran Anteil erhalten?

Wir Christen wünschen uns zu gerne eine lineare Fortsetzung der Auferstehung Jesu hinein in unseren Alltag, hinein in unsere eigenen Kreuze und Leidenserfahrungen. Der Kern der Osterbotschaft, die Erlösung von Sünde und Schuld, findet eher schwer Aufnahme in unseren Herzen. Eins zu eins möchten wir stattdessen in unseren Krankheiten, in unseren seelischen Nöten, am Rand unserer Gräber das erfahren, was an Jesus vollendet ist. Diese Versuchung ist so alt wie das Kreuz selbst. Steig doch herab vom Kreuz, wenn du der Sohn Gottes bist!, hielt man dem Gekreuzigten entgegen.

Ändere unsere Situation, lass uns vom Kreuz herabsteigen, wenn du wirklich auferstanden bist, so argumentieren und resümieren wir oft. Schluss mit Kreuz und Leid!

Auferstehungsglaube funktioniert aber so nicht. Der ist kein Gutschein auf bessere Lebensbedingungen. Der Auferstehungsglaube ist die Tür zur Zukunft, die es mit dem Herzen zu durchschreiten gilt. Vielleicht veranschaulicht das die Geburt eines Menschen. Geboren und aus dem Schoß der Mutter getreten, lebt der kleine Erdenbürger weiter als Mensch, der er zuvor bereits im Mutterleib war, aber jetzt im vollen Leben und ganz nahe an seiner Wesensbestimmung. Vergleichbar ist die Wirkung des Auferstehungsglaubens. Wenn wir uns mit der Person des Auferstandenen in all unseren Lebenslagen verbinden, tut sich die Tür zum wirklichen Leben auf, treten wir ein in eine neue Wirklichkeit. Wir bleiben zwar noch, was wir waren, und werden doch neu geschaffen.

Der Auferstehungsglaube, der Berge versetzt

Die verklärten Wunden und die durchbohrte Seite des Heilands geben uns Mut. Verwundung wird in der Auferstehung nicht vertuscht, nicht rückgängig gemacht, nicht verzaubert. Sie wird Teil der neuen Leibhaftigkeit und der neuen Lebenskraft Gottes.

Der Auferstandene befreit nicht vom Kreuz, sondern gibt den Blick frei auf die verwandelnde Kraft Gottes. Das Ringen unter dem Kreuz geht für uns weiter, aber mit neuen und starken Kräften. Ostern ist das Fest der verklärten Wunden, des verklärten Leibes.

Der Auferstehungsglaube hat eine Botschaft an alle Verwundeten,an alle Niedergedrückten, an eine Welt, in der die Kategorien von Erfolgs und Perfektion denen des Scheiterns und des Misserfolgs als unversöhnliche Gegensätze gegenüber stehen. Entweder Erfolg oder Scheitern. Entweder Sieger oder Verlierer! Und wie oft bleibt den Verlierern der Dunghaufen der Weltgeschichte übrig. Ostern bietet einen neuen Umgang mit Verwundung, Trauer und Leid, für all jene, die sich mit Christus vereinen. Wo Gottes Auferstehungskraft im Leben eines Menschen Raum erhält, laufen die Grenzen des Menschen nicht auf Scheitern und Untergang zu. Wunden werden zu Quellen der Kraft Gottes.

So soll uns die gegenwärtige Bedrängnis der Kirche keineswegs resignativ stimmen. Wir setzen auf die verwandelnde Kraft des Auferstandenen. Im Kreuz Christi halten wir bereits den „Kreuzschlüssel“ in Händen, mit dem sich viel bewegen lässt. Aus der Kraft des Auferstehungsglaubens heraus kann die Kirche die gegenwärtige Lage als Aufruf zu innerer Erneuerung begreifen.

Natürlich bedrückt es uns, wenn wir Schuld und Versagen begegnen, wenn Menschen in unserer nächsten Umgebung aus der Zahl der praktizierenden Christen wegfallen. Freilich tut es uns weh, wenn die Bänke hier im Dom und in den übrigen Kirchen leerer werden. Aber die Kraft der Auferstehungsbotschaft hängt letztlich nicht an der Anzahl der Glaubenden, wenngleich wir gerne alle Menschen erreichen möchten. Um eben diese Kraft der Botschaft soll es uns, den Gliedern der Kirche, nun wieder mehr gehen. Wir verstehen uns nicht wie ein Parteiapparat, nicht als Organisation, die sich wegen der Mitgliedsbeiträge die Mitglieder erhalten möchte. Die Kraft der Kirche gründet in der Kraft der Botschaft von der Auferstehung Jesu, die in deinem und in meinem Leben wirksam werden soll. Dann ist das Leben lebenswert, weil es Zukunft bei Gott hat. Sagen wir das an den Stammtischen, in den Freundes- und Bekanntenkreisen weiter, gerade jetzt, wenn die Kirche aufgrund der Pressemeldungen über Missbrauch oft abfällig kritisiert wird.

Als Bischof habe ich keine Angst um die Zukunft der Kirche, wenn der Auferstehungsglaube unter uns lebendig bleibt. Zum Anfang der Kirche gehörten weniger als wir hier, heute im Dom sind. Die Kraft des Auferstehungsglaubens weniger konnte viele und vieles bewegen. Ja ihr Osterglaube hat den Erdkreis verändert.

Wer könnte uns den Stein vom Grab wegwälzen? Der Weg zum Leben ist frei. Freuen wir uns: denn der Herr ist wahrhaft auferstanden und will uns seine göttliche Lebenskraft schenken.

Amen.