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Im Wortlaut

Ansprache von Bischof Gregor Maria Hanke beim Neujahrsempfang des Diözesanrates der Katholiken am 19. Januar 2019

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Diözesanratsvorsitzender, verehrte Geschwister in ökumenischer Verbundenheit!

Auch als Bischof entbiete ich Ihnen ein herzliches Willkommen beim Neujahrsempfang, zu dem der Diözesanrat geladen hat. Danke, dass Sie der Einladung hierher in den Spiegelsaal der Residenz gefolgt sind. Der Raum mit seiner Schönheit und seinem Glanz bildet regelrecht einen Kontrast zu den Ereignissen des Jahres 2018. Das zurückliegende Jahr war kein leichtes für uns Katholiken in Deutschland und für die Gläubigen des Bistums.

Am vergangenen 6. Februar wurde in meinem Auftrag und in Absprache mit der Staatsanwaltschaft in einer Pressekonferenz die Öffentlichkeit über den Finanzskandal in der Finanzabteilung unseres Ordinariats informiert. Gut anderthalb Jahre vor der Bekanntgabe hatte die allmähliche Aufdeckung begonnen. Auslöser dazu war die von mir ausgegebene Richtlinie, dass das Bistum und alle auf der diözesanen Ebene angegliederten Rechtsträger ihr jeweiliges Vermögen nicht nur in Anlehnung an das Handelsgesetzbuch, sondern in strenger Konformität zu dessen Vorgaben zu bilanzieren und der Öffentlichkeit vorzulegen haben. Die für diese Maßnahme benötigten externen Fachleute machten an den Generalvikar und mich eine erste Meldung über finanzielle Ungereimtheiten, worauf ich den Auftrag zur bedingungslosen Aufklärung erteilte, ohne Rücksicht auf Personen. Nachdem sich Verdachtsmomente schließlich zu Indizien erhärteten, veranlasste ich im Juli 2017 die Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft.

Ich war fest entschlossen, die Aufklärung und Aufarbeitung der Vorgänge um den Finanzskandal komplett der Staatsanwaltschaft und der staatlichen Gerichtsbarkeit zu übergeben. Zusätzlich läuft unterhalb der strafrechtlichen Ebene eine von mir angeordnete Untersuchung der internen Verantwortlichkeiten und Prozessabläufe im Verwaltungsbereich, die durch Juristen einer Anwaltskanzlei geführt und deren Ergebnis im Februar vorliegen wird. Auch diese Maßnahme erfolgte in Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft, die diesen Bericht gleichfalls erwartet. Wir brauchen Transparenz, um künftig solche Fehler vermeiden zu können und unseren Dienst verbessern zu können. Es befremdet, wenn auf der Straße bereits jetzt Urteile gefällt oder gar Verurteilungen vorgenommen werden - und dies von Personen, die keine tiefere Kenntnis der Vorgänge und der Untersuchungsunterlagen haben. Lassen wir die Juristen und die Justiz ihre Arbeit verrichten. Ich jedenfalls stehe für Aufklärung durch die Justiz. Transparenz ist hierbei oberstes Gebot.

Beim Thema des sexuellen Missbrauchs sieht sich die katholische Kirche zurzeit mit dem Vorwurf konfrontiert, in der Vergangenheit beim Umgang mit Missbrauchsfällen die Staatsanwaltschaften und den externen juristischen Blick nicht oder nicht konsequent einbezogen zu haben. Sie habe sich mit binnenkirchlichen Regelungen begnügt, die oft nur eine Verlagerung des Problems des sexuellen Missbrauchs oder gar Vertuschung  darstellten. Angesichts dieser Diskussion sehe ich mich nochmals bestätigt, zur Aufklärung des Finanzskandals den richtigen Weg eingeschlagen zu haben mit meiner Entscheidung, alles der Staatsanwaltschaft und externen Juristen zur Untersuchung zu übergeben. Auch die Sichtung der Personalakten im Kontext der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs wurde in unserem Bistum in Zusammenarbeit mit einem Staatsanwalt unternommen. Wir brauchen den Blick von außen.

Sexueller Missbrauch, gerade innerhalb der Kirche, ist zutiefst verwerflich, ja verbrecherisch, da Menschen unter dem Vorzeichen des Heiligen geschädigt und zerstört wurden. Licht sollen wir gemäß einem Herrenwort sein, solche Untaten kommen jedoch aus der Finsternis.

Die evangeliumsgemäße Haltung der Kirche angesichts der schrecklichen Geschehnisse ist es, sich an die Seite der Opfer zu stellen, die Perspektive jener einzunehmen, deren Stimme zu lange nicht gehört wurde und deren Leid wir in der Kirche nicht wahrnehmen wollten. Als kirchliche Mitarbeiter dürfen wir nicht der Versuchung erliegen, in der gegenwärtigen Debatte das eigene Image retten zu wollen, weil sich in der Tat fast die Gesamtheit der Priester nichts zuschulden kommen ließ, was auch erwähnt werden soll. Aber angesichts des Abgrunds, den diese schrecklichen Vergehen für die Opfer bedeuten, kann es uns Geistlichen doch nicht um die Rechtfertigung des eigenen Ichs gehen. Für uns gilt erst recht das paulinische Wort: Leidet ein Glied, leiden alle mit (1 Kor 12,26). Unser Blick und unser Herz hat sich dem Leid der Glieder zuzuwenden, denen inmitten der Kirche Schlimmes widerfahren ist. Ihnen muss Gerechtigkeit widerfahren.

Wir als katholische Kirche bitten aus unserer beschämenden Erfahrung heraus andere gesellschaftliche Kräfte und Einrichtungen, dazu beizutragen, dass den vielen Missbrauchsopfern in der Gesellschaft Gerechtigkeit widerfährt. Ich zitiere den Missbrauchsbeauftragten Rörig der Bundesregierung: „Ich frage mich schon, in was für einer Gesellschaft wir leben, die ohne großen Aufschrei Jahr für Jahr hinnimmt, dass mehr als 12.000 Ermittlungs- und Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen durchgeführt werden.“[1] Diese Fälle samt der hohen Dunkelziffer, die sich großteils im familiären Umfeld, dann auch im Bereich des Sports abspielen, warten gleichfalls auf unsere Solidarität.

Ein wichtiges Instrumentarium für eine gute Zukunft ist die Prävention, die einen festen Bestandteil in unserer Pastoral bilden soll. Wir im Bistum arbeiten seit Jahren nach einem anerkannten Präventionskonzept und werden diese Bemühungen noch verstärken.

Überdies müssen wir innerkirchlich sensibler werden im Blick auf geistliche Autorität, deren Ausübung eine reife menschliche Persönlichkeit erfordert und Strukturen braucht, die auf Dialog und Transparenz basieren.

Wir bedürfen der geistlichen Erneuerung der Kirche, die wir nicht erreichen, wenn wir an Kirche und Glauben herumschrauben, als ginge es um ein Parteiprogramm, das es mehrheitsfähig zu machen gilt. Die Kirchengeschichte zeigt, dass durch die Homöopathisierung des Anspruchs des Evangeliums kein geistliches Wachstum entsteht. Unter Verweis auf den sexuellen Missbrauch nun eine kirchenpolitische Agenda abarbeiten zu wollen, die längst vorher in der Schublade lag, ist für mich kein Weg in einen geistlichen Aufbruch.

Echte Reform wächst aus mehr Christus, mehr Evangelium, mehr Nachfolge Jesu, in unserem Jüngersein. Mehr Zeugenschaft und weniger Institution und Verfasstheit. Müsste diese Perspektive nicht unsere Bereitschaft einschließen, auf die institutionalisierte gesellschaftliche Einflussnahme der Kirche in der heutigen Breite zu verzichten, also auf Privilegien, die sowieso bald nicht mehr der demographischen Realität des Christentums in unserer Gesellschaft entsprechen? Würde dies nicht auch bedeuten, künftig weniger auf die Absicherung der Kirche durch Geld und Institutionalisierung zu setzen und eine bescheidenere, ja eine ärmere Kirche zu wagen, die mehr durch Initiativen von Personen lebt? Das schlösse wohl auch ein, über die Zukunft der Kirchensteuer nachzudenken. Gewiss, die Kirche hat vielfältige Pflichten und Verantwortung gegenüber Mitarbeitern. Sie kann nicht von heute auf morgen aus dem gewachsenen System aussteigen. Aber bedeutet  die derzeitige Gestalt der Kirchensteuer nicht ein enges Junktim von Gnade und Geld?

Liebe Gäste des Neujahrsempfangs, fürchten wir uns nicht vor dem, was auf uns zukommt. Die Heiligen sind zuverlässige Exegeten des Evangeliums und der Jüngerschaft. Stellen wir uns nur die Heiligen unseres Bistums vor Augen, vielleicht auch solche, die nicht offiziell heilig genannt werden. Sie machen uns Mut, im Vertrauen auf unsere Berufung und Gottes rufendes Wort in das Jahr 2019 zu gehen und uns unseren Aufgaben in Kirche und Gesellschaft zu stellen. Fürchten wir uns nicht vor dem, was auf uns zukommt. Gottes Segen Ihnen allen im Jahre 2019!


[1] Sabine Andresen / Johannes-Wilhelm, Es geschieht jeden Tag, jede Nacht (Interview von Moritz Aisslinger und Jeanette Otto), in: Die Zeit 25/2017, 67.