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12.03.2004

„In der Gesellschaft sind nur Top-Menschen erwünscht“ - Bei einer Podiumsdiskussion über pränatale Diagnostik berichten Mütter vom Leben mit einem behinderten Kind

Eichstätt. (pde) - „Wir wollen uns nicht dafür entschuldigen müssen, dass wir leben.“ Albin, ein 15-jähriger Junge mit Downsyndrom, hatte das letzte Wort bei einer Podiumsdiskussion im Eichstätter Sparkassensaal. Dort drehte sich am Donnerstag Abend alles um das Thema „Chancen und Risiken durch pränatale Diagnostik.“ Zuvor hatte sich Albins Mutter, Barbara Lange-Hofmayer aus Reichertshofen bei Ingolstadt, stark gemacht für ein Leben mit einem behinderten Kind. „Geliebt haben wir Albin von Anfang an.“ Was einem das Leben schwer mache, sei der Kampf gegen Vorurteile und Diskriminierungen. „Sogar der Kinderarzt hat mich gefragt: Ja, haben Sie das denn nicht vorher gewusst?“

Nein, hatte sie nicht. Barbara Lange-Hofmayer hatte sich ganz bewusst gegen Untersuchungen im Mutterleib entschieden. Untersuchungen, die bei vielen Risikoschwangerschaften inzwischen dazugehören: Ultraschall, Nackenfaltenmessung, Fruchtwasseruntersuchung, Fruchtspiegelung. Und genau das war das Thema der Podiumsdiskussion: Ist es unverantwortlich, die Untersuchungen nicht machen zu lassen? Oder ist es vielmehr eine Zumutung der modernen Medizin, Mütter perfekt überwachen zu wollen und ihnen jede Freude an einer natürlich verlaufenden Schwangerschaft zu nehmen? Fragen, die abstrakt ganz anders zu beantworten sind als im Individualfall. Das machte Rudolf Graf, Bezirksleiter am Kreiskrankenhaus Eichstätt, den Teilnehmern gleich zu Beginn klar: „Das Thema ist nicht einfach. Wir werden Ihnen kein Patentrezept mit auf den Weg geben.“

Veranstalter der Podiumsdiskussion waren die Geburtshilfe/Gynäkologische Abteilung des Kreiskrankenhauses Eichstätt und das Netzwerk Leben im Bistum Eichstätt. Der Eichstätter Frauenarzt Dr. Gerhard Strobel stellte zunächst die medizinischen Methoden vor, die eine Schwangerschaft begleiten können. Vieles sei technisch machbar, doch eine klare Diagnose sei fast immer ausgeschlossen: „Es gibt nur eine Risikoabschätzung, kein genaues Ergebnis.“

Das macht die Arbeit von Schwangerschaftsberaterinnen so schwierig. „Die Frauen werden konfrontiert mit statistischen Wahrscheinlichkeiten. Das ist sehr belastend“, berichtet Maria Tripold, Schwangerschaftsberaterin beim Sozialdienst katholischer Frauen in Ingolstadt. Zu ihr kommen Frauen, die nicht mehr weiter wissen: Sollen sie genauere Untersuchungen machen lassen? Wie gehen sie mit dem gewonnenen Wissen um? Können sie, kann ihre Familie, mit einem behinderten Kind leben? Ihre Eichstätter Kollegin, Gertraud Brummer von der Staatlich anerkannten Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen am Landratsamt, berichtete von ähnlichen Erfahrungen: „Die Frauen stehen unter einem wahnsinnigen Erfolgsdruck. Von der Gesellschaft werden die Frauen darauf hingepolt: Sie sind schwanger, sie müssen eine Leistung erbringen.“ Wenn sie dann in einer Arztpraxis mit der Möglichkeit konfrontiert werden, ihr Kind könnte mit einer Behinderung zur Welt kommen, plagen sie Schuldgefühle. „Sie haben Panik und denken, sie haben versagt.“

Der Moraltheologe Professor Dr. Antonellus Elsässer, appellierte an die Verantwortung der werdenden Eltern. „Viele Eltern wollen die Wahrheit gar nicht erfahren. Die Konfrontation damit bei der Geburt ist nicht leichter, sondern kann viel schockierender sein.“ Zudem habe man dem Kind die Möglichkeit genommen, es so früh wie möglich medizinisch zu betreuen. „Eltern haben die Vor- und Fürsorge für ihr Kind zu übernehmen.“ Elsässer sieht freilich auch die Gefahren. Etwa die, dass die gesellschaftliche Akzeptanz für Krankheit und Behinderung abnimmt. Und dass der Druck zunimmt, nur noch gesunde Kinder auszutragen und kranke gar nicht erst zur Welt kommen zu lassen.

Die Hebamme Marina Schneider, die pro Jahr etwa 100 Geburten betreut, brachte einen anderen Gesichtspunkt ins Spiel. Durch die Pränataldiagnostik werde eine Schwangerschaft zum „überwachungspflichtigen Reproduktionsprozess“. Die Medizin dränge sich immer mehr hinein in einen an sich natürlichen Prozess. Es gebe einen Trend zum „Schwangersein auf Probe“. Anstatt in sich hineinzuhorchen und den Kindsbewegungen nachzuspüren, bekämen Ultraschalluntersuchungen immer höheren Stellenwert. „Die ganze Beziehung zum Kind ist technischer geworden.“

Aus dem Zuhörerkreis berichteten viele Betroffene, wie schwierig es ist, ein behindertes Kind groß zu ziehen. „Wir sind in ein tiefen Loch gefallen“, berichtet die Oma eines Mädchens mit Downsyndrom. „Die Mehrzahl im Dorf sagt: Wie kann so etwas heute noch passieren.“ Eine Mutter beklagte sich über mangelhafte Förderangebote. „Der Landkreis Eichstätt ist ein vollkommenes Entwicklungsland.“ Gerade von der Kirche, die ja immer fordere, Ja zum Kind zu sagen, erwarte sie mehr Unterstützung. Eine andere Frau erzählte: „Der Druck der Gesellschaft ist enorm. Erwünscht sind nur Top-Menschen. Dabei kann einem der Alltag mit einem behinderten Kind so viel Lebensqualität geben.“

 

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