Zum Inhalt springen
25.01.2024

Erinnerung an die jüdische Bevölkerung in Eichstätt

Foto: Geraldo Hoffmann/pde

Prof. Dr. Erich Naab vor dem Glasgemälde „Jüngstes (oder Letztes) Gericht“ im Mortuarium des Eichstätter Doms. Foto: Geraldo Hoffmann/pde

Zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust wurde von den Vereinten Nationen im Jahr 2005 der 27. Januar erklärt. In Deutschland war dieser Gedenktag schon 1996 eingeführt worden. Seit 2018 wird er in der evangelischen Kirche als Gedenktag begangen. Wenn an öffentlichen Gebäuden Trauerbeflaggung gesetzt wird, fragen viele nach dem Grund. Häufiger wird am 9. November an die Grausamkeiten der Pogromnacht und ihrer Folgen erinnert, oft nur lau und pflichtschuldig. Die vielen anderen Opfergruppen kommen so nicht in den Blick: Neben den europäischen Juden wurden Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Millionen verschleppter Slawen, Zwangsarbeiter, Homosexuelle, politische Gefangene, Kranke und Behinderte und weitere Gruppen entrechtet, gequält, ermordet.

Da die Bösartigkeit der radikalen Völkischen sich wieder breitmacht, sei an die jüdische Bevölkerung und die Erinnerung in Eichstätt gedacht. Schon im Mittelalter gab es hier eine jüdische Gemeinde. Als aber die Juden nicht mehr zum Aufbau der Stadt gebraucht wurden, wurden sie vertrieben. Das geschah unter dem Reformbischof Johann III. von Eych (1445-64), den das Domkapitel nur wählen wollte, wenn er die Ungläubigen austreibt. Zurück blieben neben vagen Erinnerungen Hass, Schmähungen und Judenfratzen. An der Decke des Domes zwischen den Säulenzwickeln erschrecken sie zusammen mit Dämonen die Gläubigen. Im Höllenschlund befänden sie sich, wie das Letzte Gericht von Hans Holbein dem Älteren und das alte Tympanon aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, beide im Mortuarium des Domes, vor Augen stellen. Sie sind an ihrem Hut und ihre Schuld an Geldsäcken zu erkennen. Die religiöse Begründung aus dem Kreuzestod Jesu war kaum mehr als ein Vorwand.

Von Ausnahmen abgesehen, durften sich Juden erst ab 1861 in Eichstätt niederlassen, ihre volle rechtliche Gleichstellung erreichten sie zehn Jahre später. Sie waren jetzt deutsche Staatsbürger. Pappenheimer und Thalmässinger zogen in die Bischofsstadt. Ihre Stigmatisierung haben sie wohl nie überwunden, trotz erstaunlicher Leistungen in der Restauration der verfallenden Häuser, ihrer Bildung, ihrer Stiftungen, den vom Kaiserreich ausgezeichneten Leistungen der zwölf jüdischen Teilnehmer am Ersten Weltkrieg. Zwei sind gefallen, ihre Namen werden auf der Gedenkplatte im Ostenfriedhof verschwiegen. In konkreten Erinnerungen an sie, oft von den Großeltern weitergegeben, ist regelmäßig von fairem Handel die Rede. Bis Ende des Krieges waren sie als Händler und Kaufleute, als Rechtsanwälte und Musiker, als Mitglieder der Vereine geachtet.

1923 schon bildet sich in der Domstadt die erste Ortsgruppe der NSDAP. Schmierereien an jüdischen Häusern treten auf. Im Februar 1924 kommt es in der Westenstraße zu nächtlichem Krawall, Fensterscheiben gehen zu Bruch. Die Eichstätter Polizei spricht ausdrücklich von Landfriedensbruch und bringt den Vorfall beim Stadtrat zur Anzeige. Der Stadtrat, beherrscht von der Bayerischen Volkspartei (BVP), wiegelt ab: Der örtliche NSDAP-Vorstand – er wohnte nur ein paar Häuser vom demolierten Geschäft entfernt – solle „falls es sich um Parteimitglieder handelt, auf diese einwirken, derartige Ruhestörungen zur Vermeidung von Strafanzeige zu unterlassen“. Der Riss in der städtischen Gesellschaft wird von Jahr zu Jahr deutlicher. Ab 1933 werden „alternative Fakten“ geschaffen: Nichtigkeiten, Nebenbemerkungen werden zu Kapitalverbrechen und Staatsverrat.

Der charakterfeste und weitblickende Bischof Konrad von Preysing (Bischof in Eichstätt 1932-35; in Berlin 1935-50) stellte in einem Hirtenwort (27.5.1934) dem Rasse-Gedanken das Bild der Kirche als weltumspannender Völkergemeinschaft entgegen, in der alles Trennende durch den gemeinsamen Glauben überwunden sei. Die Wut der Hitler war groß. Die Sturmabteilung (SA) zerschoss 1934 in Eichstätt ein Bild des Bischofs. Mit der Familie des jüdischen Rechtsanwaltes Hänlein hielt Preysing freundschaftlichen Kontakt, in Eichstätt, bei der Flucht nach Shanghai und auch nach dem Krieg. Aber im Klerus zeigt sich kaum Rücksicht auf Juden, ja nicht einmal wirklich auf die Konvertierten, wie eine Empfehlung im Pastoralblatt (1934, 21) zeigt: die Ausreisewilligen „nichtarischen Katholiken“ könnten Kontakt mit dem St. Raphaelsverein aufnehmen; wer sich die Ausreise finanziell nicht leisten kann, solle notgedrungen im Land bleiben. Kein Wort zu den nicht-getauften Nicht-Ariern!

Preysings Nachfolger Michael Rackl (1935-48) war völkisch und national gesinnt. Freilich verteidigte er die Bekenntnisschulen, seine Hochschule, auch den Klerus in der Welle der Sittlichkeitsprozesse 1936/37 mit deutlichen Worten. Doch spätestens mit dem Krieg scheint er sich der Partei unterzuordnen. Schon im Oktober 1936 wirbt er für das nationalsozialistische Winterhilfswerk: Ihm reichlich zu spenden sei vaterländische und christliche Pflicht. Er geht so weit, diese Spenden als Opfer an Gott selbst zu glorifizieren (Hirtenwort, in: St. Willibalds-Bote zum 18.10.1936, S.508). Und wie kann man Rackls Spendenaufruf für das nationalsozialistische Hilfswerk verstehen: „Wenn wir immer wieder lesen: ‚das ganze Volk ist aufgestanden, um Hunger und Elend zu bannen‘, dann freuen wir uns, dass etwas in Erfüllung gegangen ist, was das Christentum, die Religion der Liebe, immer als Ideal erstrebt hat“? Bei allem Druck der Machthaber, das geht zu weit! Rackl hat das am 11. November 1938 als seinen Aufruf unterschrieben (veröffentlicht im St. Willibaldsboten vom 27.11.1938, S. 503). Die Synagogen rauchten noch von der Pogromnacht des 8. auf 9. November. Der Mob war entfesselt, die Vorzeichen für den Holocaust gesetzt. Das Ideal, die Hoffnung der Glaubenden wurde beschmutzt. Ein Einsatz für Verfolgte ist nicht bekannt. Die wesentliche Gleichheit aller Menschen vor Gott ohne Unterschied der Rassen ist bedeutungslos geworden.

Die kleine jüdische Gemeinschaft Eichstätts war seit der Jahrhundertwende durch Abwanderung nach Amerika oder in die Großstädte zusammengeschrumpft. Die letzte Familie wurde in der der Schandnacht November 1938 ausgewiesen.

Damit war zum zweiten Mal die jüdische Geschichte in Eichstätt zu Ende. Manche suchten sich noch als Judenfreunde darzustellen, wie der Landrat und nach dem Krieg Oberregierungsdirektor Josef Bäuml, dessen Erzählung immer noch geglaubt wird. Er habe die Inhaftierung der Schimmels verhindert. Da der Bahnbeamte ihnen kein Ticket verkaufen wollte, habe er aus eigener Tasche ein Taxi nach Augsburg bezahlt. Die Entnazifizierungskammer verurteilte den Schalterbeamten. Der suchte zur Entlastung Kontakt zu Albert Schimmel in Montevideo. Der Beschuldigte teilte dem Geflohenen mit, es werde ihm vorgeworfen, er habe Schimmel die Abgabe der Fahrkarten verweigert mit den Worten: ‚Du Saujud läufst!“ Schimmels vornehme Antwort führte zur Entlastung. „Ich kann Ihnen ohne Bedenken bestätigen, dass ein derartiger Vorfall mir nicht zugestoßen ist […]. Im Übrigen erinnere ich mich nicht, Sie gekannt zu haben, so dass ich Ihnen umso eher diese Zeilen freiwillig zugehen lassen kann.“ Andere kamen in Eichstätt schnell zu einem „Persilschein“; Bischof Rackl zeigte sich den Altnazis so generös, dass seine Bestätigungen bald nicht mehr zählten.

Nach dem Krieg wurden in Eichstätt Lager für Überlebende der Gräuel und für Flüchtlinge vor den neuen antisemitischen Übergriffen in Osteuropa errichtet. 1949 wurden die Lager in Eichstätt aufgelöst – und bald geradezu vergessen. Fast möchte man von einer zweiten Phase des Holocaust sprechen. Wurden zuerst Menschen physisch vernichtet, so begann mit Verdrängen und Vergessen eine Auslöschung ihres Gedächtnisses. Und immer noch werden die größten Verbrechen als „Vogelschiss in der deutschen Geschichte“ abgetan oder genügt bei schwerem Fehlverhalten ein „ist mir nicht erinnerlich“. Es mussten Jahrzehnte vergehen, bis das Vergessen einer mühsamen Erinnerung wich. Sie war hier nicht durch eine Rückbesinnung auf die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens ins Werk gesetzt, sondern durch das Engagement Einzelner, durch den Willen nach Versöhnung, durch demütige Achtung der Verfolgten.

Text: Prof. Dr. Erich Naab, Vorsitzender des Eichstätter Diözesangeschichtsvereins

Weitere Meldungen

Die Stabsstelle Medien und Öffentlichkeitsarbeit veröffentlicht kontinuierlich aktuelle Nachrichten aus dem Bistum. Zur Übersicht.

Videos

Videos zu Themen aus dem Bistum Eichstätt. Zur Übersicht.

Audios

Audios zu Themen aus dem Bistum Eichstätt. Zur Übersicht.