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25.11.2023

Anselm Grün: „Die katholische Kirche muss Versöhnung vorleben“

Foto: Julia Martin/ Abtei Münsterschwarzach

Benediktinerpater und Buchautor Anselm Grün hält am Montag, 27. November, einen Vortrag in Ingolstadt über das Thema Vershönung. Foto: Julia Martin/ Abtei Münsterschwarzach

Eichstätt. (pde) - Der Benediktinerpater und Buchautor Anselm Grün aus Münsterschwarzach spricht am Montag, 27. November, um 19.30 Uhr in der Volkshochschule Ingolstadt über sein neues Buch „Zeit für Versöhnung“. Im Interview erklärt er, was die Religionsgemeinschaften in ihren eigenen Reihen und in der Welt für mehr Zusammenhalt tun können.

Laut dem Global Peace Index sind im Jahr 2022 weltweit 238.000 Menschen durch Konflikte (infolge von Kampfhandlungen) gestorben. Was denken Sie, wenn Sie solche Zahlen lesen?

Anselm Grün: Die Zahlen erschüttern mich und bestätigen für mich den Ruf nach Versöhnung.

Zwei Konflikte, die derzeit die Schlagzeilen dominieren, sind der Krieg Russlands gegen die Ukraine, wo teilweise Christen gegen Christen kämpfen, und der Krieg im Nahen Osten, im Heiligen Land. Wie könnten Frieden und Versöhnung zwischen den Völkern in beiden Regionen – vor allem im Heiligen Land – möglich werden?

Im Krieg zwischen Russland und Ukraine sollte gerade die orthodoxe Kirche zur Versöhnung beitragen. Sie lässt sich leider zu sehr von der Politik bestimmen. In Israel geht es auch um einen Versöhnungsprozess zwischen Judentum und Islam. Es gibt Gott sei Dank viele Juden und Moslems, die diesen Versöhnungsprozess voranbringen. Aber das ist noch viel zu schwach.

In Europa kaum wahrgenommen wird der Tigray-Konflikt in Äthiopien. Dort wurden seit 2020 schätzungsweise 500.000 Menschen getötet und zwei Millionen in die Flucht getrieben. Und das in einem Land, dessen Ministerpräsident – Abiy Ahmed – 2019 den Friedensnobelpreis für seine Aussöhnungspolitik mit Eritrea gewann. Versagt hier ein Friedensnobelpreisträger im eigenen Land?

Ja, offensichtlich hat der Friedensnobelpreisträger hier versagt.

Die Investitionen in Rüstung haben laut dem Stockholmer SIPRI-Institut weltweit ein Allzeithoch erreicht. Auch Europa und Deutschland stocken ihre Militärbudgets auf. Wie blicken Sie als Mensch der Versöhnung auf diese Entwicklung?

Nur durch Versöhnung können die Militärausgaben auf beiden Seiten gekürzt werden.

In Ihrem neuen Buch „Zeit für Versöhnung“ schreiben Sie, dass die Versöhnung mit sich selbst die Basis dafür ist, dass die Versöhnung zwischen Freunden und Völkern, in der Familie und in der Gesellschaft überhaupt möglich wird. Was ist für Sie Versöhnung?

Versöhnung heißt, sich selbst anzunehmen, auch mit seinen Schattenseiten. Wenn wir das nicht tun, projizieren wir unsere verdrängten Schattenseiten auf andere und bekämpfen dann die Anderen. Nur wenn wir mit uns versöhnt sind, können wir auch mit anderen versöhnt leben.

Sie beschreiben in Ihrem Buch viele Umbrüche und Veränderungen, die gegenwärtig den Menschen zu schaffen machen (die Folgen der Corona-Pandemie, Spaltungen in der Gesellschaft, ein Diskussionsklima, das durch die sozialen Medien immer gereizter wirkt usw.). Wie können wir es schaffen, in einer solchen Lage wieder mehr Zusammenhalt zu leben?

Wir müssen zuerst eine andere Sprache lernen, eine Sprache, die nicht bewertet, sondern zu verstehen sucht. Und wir sollen uns bewusst werden, dass wir auf dem Grund unserer Seele miteinander verbunden sind. Diese innere Verbundenheit sollte sich dann auch im Miteinander auswirken.

Wie kann die katholische Kirche, wie können Religionen überhaupt zur Versöhnung beitragen?

Die katholische Kirche verkündet Versöhnung, sie muss sie aber auch selber vorleben, indem sie Menschen aus verschiedenen Kulturen miteinander verbindet.

Müssen auch die unterschiedlichen Gruppierungen in der katholischen Kirche angesichts der zuweilen hitzigen Debatten um Reformen Versöhnung wieder neu lernen?

Ja, auch die verschiedenen Gruppierungen in der Kirche müssen versuchen, sich miteinander zu versöhnen. Das gelingt nur, wenn wir verstehen statt bewerten, wenn wir nach den Erfahrungen fragen, die hinter den konservativen und liberalen Bewegungen stehen. Wenn wir die Erfahrungen würdigen, können wir auch miteinander sprechen und einander achten.

Weihnachten ist für viele Menschen eine Zeit der Versöhnung und des Friedens. Was ist Ihr Rat, damit dies im Kleinen und im Großen an den kommenden Weihnachtstagen Wirklichkeit wird und ein Neuanfang gelingt?

Weihnachten bedeutet zuerst, dass Christus hinabsteigt in meinen eigenen Stall, dass ich alles in mir von ihm erleuchten lasse. Dann werde ich auch fähig, mit meiner Familie in Frieden zu leben. Die andere Bedingung ist, dass ich daran glaube, dass Christus auch in jedem anderen geboren wird. Dann glaube ich an das Gute in jedem anderen.

Die Fragen stellte Geraldo Hoffmann

Neues Buch: "Zeit für Versöhnung"

Die letzten Jahre haben deutliche Spuren im gesellschaftlichen Zusammenhalt und Miteinander hinterlassen. Die Beziehungen untereinander wurden geschwächt, alte Konflikte und Spannungen weiter offengelegt und verstärkt: Die Gesellschaft spaltet sich in Arm und Reich, in Europaskeptiker und -befürworter, in Impfbefürworter und -gegner. Freundschaften zerbrechen und sogar Familien entzweien sich. Viele Menschen sagen, dass sie statt Solidarität mehr Feindseligkeit erleben. Auch in den Kirchen stehen sich liberale und konservative Gläubige gegenüber. Wollen wir diese Gräben akzeptieren? Wollen wir uns einbunkern in unseren Stellungen? Wenn nicht, dann führt nur ein Weg zurück zu mehr Zusammenhalt: Versöhnung. Nur: Die Grundvoraussetzung für Versöhnung ist der Versuch, einander zu verstehen. Doch das wechselseitige Verstehen fällt häufig schwer.

Anselm Grün kennt diese Situation aus vielen Gesprächen und Vorträgen. In seinem neuen Buch fragt er daher: Wie schaffen wir es, wieder mehr Zusammenhalt zu leben? Wie kann Versöhnung gelingen? Heißt versöhnen vergessen? Gibt es Grenzen der Versöhnung? Und was tun, wenn Wunden trotz allem nicht heilen? Darüber schreibt Anselm Grün in seinem neuen Buch „Zeit für Versöhnung und zeigt, dass Spaltung kein Schicksal ist, sondern Versöhnung möglich und nötig ist.

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