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25.04.2025

Schöpfung erhalten: Streuobstwiesen als Hotspots der Biodiversität

Streuobstwiese. Foto: Geraldo Hoffmann

Besonders in der Blütenzeit prägen Streuobstwiesen die Landschaft in vielen Orten des Bistums Eichstätt. Foto: Geraldo Hoffmann

Eichstätt – Sie sind Lebensraum für Tausende Tier- und Pflanzenarten und verschönern – besonders im April und Mai – mit ihrer Blütenpracht die Landschaft: die Streuobstwiesen. Doch ihr Bestand ist gefährdet. Zum Tag des Baumes (25. April) stellen wir Initiativen zum Erhalt dieser wertvollen Lebensräume vor – auch mit kirchlicher Beteiligung.

Die gute Nachricht: Streuobstwiesen weisen allein in Bayern rund 2.000 verschiedene, teils sehr alte Obstsorten auf – ein bedeutendes Reservoir genetischer Vielfalt. Mit mehr als 5.000 Tier- und Pflanzenarten gelten sie nach Einschätzung des Landesbundes für Vogel- und Naturschutz (LBV) als „Hotspots der Biodiversität in West- und Mitteleuropa“. Die schlechte Nachricht: Streuobstbäume verschwinden in rasantem Tempo aus der Landschaft.

„Der Rückgang der Streuobstbestände ist bayernweit dramatisch“, sagt Norbert Metz vom Landschaftspflegeverband Mittelfranken (LPV). Seit der letzten Erhebung im Jahr 1965 sind rund 15 Millionen der damals gezählten 20 Millionen Bäume verschwunden. Die Ursachen sind vielfältig: Flurbereinigungsmaßnahmen in den 1960er- und 1970er-Jahren, Straßenbau, Wohn- und Gewerbegebietsentwicklung. „Mit dem Schwund verlieren Landschaften ihr ‚Gesicht‘ – aber auch der Lebensraumverlust ist gravierend. Ganz abgesehen davon geht mit jedem Obstbaum ein Stück der enormen Sortenvielfalt an Äpfeln und Birnen verloren“, erklärt Metz.

Der LPV hat deshalb das Projekt „Streuobst für Mittelfranken“ ins Leben gerufen. Es soll die Pflanzung und Pflege von Obstbäumen erleichtern und unterstützen. „Wir müssen uns gemeinsam auf allen Ebenen und mit allen Verbündeten für den Erhalt der noch vorhandenen Obstbäume einsetzen“, sagt Metz. Darüber hinaus seien große Anstrengungen notwendig, um neue Baumgenerationen zu pflanzen. „Derzeit profitieren wir von den Pflanzleistungen unserer Großelterngeneration. Wenn wir heute keine neuen Obstbäume setzen, werden unsere Kinder und Enkel eines Tages keine mehr haben“, mahnt er.

KLJB plant Aktionen zum Streuobst

Der Zukunft Wurzeln geben“ – unter diesem Motto hat die Katholische Landjugendbewegung (KLJB) im Bistum Eichstätt im Jahr 2020 gemeinsam mit dem Landschaftspflegeverband (LPV) Mittelfranken ein Pilotprojekt gestartet. Ziel war es, mit fachlicher Unterstützung neue Streuobstwiesen zu pflanzen und bestehende Flächen zu pflegen und zu erhalten.

Die Corona-Pandemie machte diesen Plänen jedoch einen Strich durch die Rechnung: Aufgrund der Lockdowns konnten Pflanzaktionen nicht zur passenden Jahreszeit stattfinden. Doch die Idee lebt weiter. Im Rahmen ihres Jahresprojekts 2025 plant die KLJB im September Aktionen rund ums Streuobst. „Unsere Ortsgruppen sind aufgerufen, Baumpflanzungen und Aktionen zur Verwertung von Streuobst durchzuführen. Der Diözesanverband unterstützt sie dabei und vermittelt Kontakte zu möglichen Partnerorganisationen“, erklärt Anja Eyrisch, Referentin für Agrar-, Verbraucherschutz- und Ökologiefragen. Es sei wichtig, dieses Kulturgut wieder ins Bewusstsein der Jugendlichen zu rücken.

Streuobsttag im Kloster Plankstetten

Mitte September veranstaltet das Kloster Plankstetten im Rahmen der Bioerlebnistage erneut einen Streuobsttag. Auf dem Programm stehen eine Einführung in die Bedeutung von Streuobstwiesen als Hotspots der Biodiversität sowie die Ernte und Verarbeitung verschiedener Streuobstsorten. Die Benediktinerabtei bewirtschaftet rund acht Hektar Streuobstwiesen, verteilt auf mehrere Flächen, mit etwa 250 Obstbäumen – von über hundert Jahre alten Exemplaren bis hin zu Neupflanzungen. „Zurzeit pflanzen wir unter anderem Pfirsiche, Mirabellen, Mispeln und Quitten neu“, berichtet Philip Kadner von der Klostergärtnerei. „Im Zuge des Klimawandels testen wir auch exotischere Arten wie Feigen und Zitronen.“

Streuobst ist ein fester Bestandteil des ökologischen Kreislaufwirtschaftskonzepts des Klosters. Unter den Bäumen weiden Rinder, und die Obstwiesen bieten wertvolle Lebensräume für Insekten und Vögel. Das geerntete Obst wird überwiegend im Kloster selbst verarbeitet: Äpfel und Birnen zu Saft und Schorle, Zwetschgen und Kirschen gelangen in die Klosterküche und Bäckerei. „Wir versuchen auch, Tafelobst zu vermarkten“, erklärt Kadner. „Dabei stellen wir allerdings immer wieder fest, dass alte Sorten wenig bekannt und optisch weniger attraktiv sind als importierte Ware.“

Auch Norbert Metz vom LPV Mittelfranken kennt dieses Problem. Obst aus Streuobstwiesen oder -gärten hatte bis in die 1960er Jahre einen hohen ökonomischen Wert. „Dieser Wert ist leider gesunken, weil wir unsere Tafeläpfel heute ausschließlich aus dem intensiven Plantagenobstbau beziehen“, erklärt der Experte. Oft werde Obst in solchen Plantagen von der Blüte bis zur Ernte bis zu 38-mal mit Pestiziden behandelt. Im Gegensatz dazu bleibe in guten Erntejahren tonnenweise hochwertiges, unbehandeltes Obst in den Streuobstwiesen liegen. Mit sogenannten „Obstleseevents“ setzt der LPV dagegen an. Zusammen mit Dorfgemeinschaften, Vereinen und Jugendgruppen wird versucht, möglichst viel Obst zu verwerten.

„Fränkische Moststraße“ und „Pomoretum“

Auch die „Fränkische Moststraße“ lenkt den Blick auf Streuobst. Sie verbindet Teile von Ober-, Mittel- und Unterfranken und führt durch eine Landschaft mit zahlreichen Streuobstwiesen, vorbei an Mostereien und Brennereien. Besucherinnen und Besucher können in kleinen Familienbetrieben hautnah erleben, wie Most, Apfelsaft, Edelbrände und Liköre entstehen. Zudem werden Most-, Obstblüten- und Erntedankfeste gefeiert, die den Genuss und die Kultur rund um das Streuobst zelebrieren.

Die wichtigste Adresse an der „Fränkischen Moststraße“ ist vermutlich das Bildungszentrum Triesdorf in der Marktgemeinde Weidenbach. Das Herzstück bildet das sogenannte Pomoretum – ein Gelände von acht Hektar mit 2400 Apfelbäumen, jeweils zwei Exemplaren pro Sorte. „Das Pomoretum leistet einen wichtigen Beitrag zur Artenvielfalt, indem es als lebendiges Museum und Bildungsort die Vielfalt der Obst- und Streuobstsorten bewahrt und der Bevölkerung zugänglich macht“, erklärt Ulrich Lohmüller, Leiter für Pflanzenbau und Versuchswesen der Landwirtschaftlichen Lehranstalten (LLA) Triesdorf. Durch die Erhaltung alter und seltener Obstsorten trägt das Pomoretum dazu bei, genetische Vielfalt und Biodiversität zu sichern und diese wieder in die Kulturlandschaft Streuobstwiese zu integrieren. „Pro Jahr werden rund 2000 Reiser geschnitten und an interessierte Hobby-Pomologen verschickt“, so Lohmüller.

Das Pomoretum Triesdorf ist ein sortenerhaltender Partner der Genbank Obst Deutschland in Pillnitz bei Dresden. Damit unterstützen die Landwirtschaftlichen Lehranstalten den langfristigen Versuch, die genetische Vielfalt von Obstsorten zu bewahren. In der deutschen Landwirtschaft werden mittlerweile nur noch 30 Obstarten genutzt, wobei der Fokus hauptsächlich auf neun Apfelsorten liegt.

Streuobstpädagogen und Baumwarte

Die LLA bieten zudem ein umfassendes Schulungsangebot an, das von Baumschnitt- über Veredelungs- bis hin zu Brennkursen reicht. Als Teil eines Ausbildungsnetzwerks hat Triesdorf in bisher zwei Jahrgängen 45 Streuobstpädagogen ausgebildet. Diese sollen Menschen jeden Alters für das Thema Streuobst und die Kulturlandschaft der Streuobstwiesen begeistern. Streuobstpädagogen führen eigenständig Projekte, Aktionen und Unterrichtseinheiten durch – sei es an Schulen, mit Kindergruppen, Jugendlichen oder Erwachsenen.

Seit 2012 wird die „Spezialausbildung“ Baumwart wieder in Triesdorf angeboten. In diesen Kursen lernen die Teilnehmenden, wie Streuobstwiesen richtig angelegt, gepflegt und erhalten werden. Auch die korrekte Ernte der Früchte und deren Weiterverarbeitung zu verschiedenen Produkten sind Bestandteil des Ausbildungsprogramms. Das Ziel ist es, ein Netzwerk aus kompetenten Baumwarten zu schaffen, die mit Begeisterung und Engagement dafür sorgen, dass bestehendes Streuobst gepflegt, erhalten und neu geschaffen wird. Sie sollen einerseits als Multiplikatoren ihr Wissen und ihre Fachkunde an Ratsuchende und die Öffentlichkeit weitergeben und andererseits selbst aktiv werden, um Streuobst zu pflegen und neu zu gestalten. Bereits rund 300 Baumwarte hat das Bildungszentrum Triesdorf ausgebildet.

„Streuobstwiesenliebe“ und „Eichstätter Obstwald“

In der Metropolregion Nürnberg, zu der auch die Landkreise Roth-Schwabach, Neumarkt und Weißenburg-Gunzenhausen gehören und der einen Großteil des Naturparks Altmühltal umfasst, gibt es noch rund 1,2 Millionen hochstämmige Apfel-, Birnen-, Kirsch- und Zwetschgenbäume. Die Initiative „Streuobstwiesenliebe“ setzt sich für den Erhalt, die Pflege und die Wertschätzung dieser Streuobstwiesen ein. Dazu werden Veranstaltungen wie Apfelmärkte, Baumschnittkurse und Obstblütenfeste organisiert, ebenso wie Bildungsangebote für Schulen und Interessierte. Ein wichtiger Schwerpunkt liegt auf der Vernetzung der Akteure: Landwirte, Kommunen, Vereine, Tourismus und Verbraucher arbeiten gemeinsam daran. Produkte aus der Region, die von Streuobstwiesen stammen, können das Label „Streuobstwiesenliebe“ tragen, ein Zeichen für Qualität und Regionalität.

Direkt an der Altmühl entsteht der „Eichstätter Obstwald“. Treibende Kraft hinter diesem Projekt ist das Netzwerk „fairEInt – Initiative nachhaltige Region Eichstätt“, ein Zusammenschluss verschiedener Gruppen, Institutionen und Privatpersonen. Bereits über 30 klimaresistente Obstbäume und verschiedene Beerensträucher wurden gepflanzt – die Mehrzahl davon als Patenbäume von lokalen Institutionen, darunter auch von der Kolpingfamilie Eichstätt. Seit 2022 wurden außerdem ein Insektenhotel, ein Weidentipi sowie ein Sitzbereich mit Holzbänken als „grünes Klassenzimmer“ eingerichtet.

„Der Obstwald ist eine öffentliche grüne Oase und zugleich ein Lernort für Nachhaltigkeit“, erklärt die Projektkoordinatorin Dagmar Kusche-Luff. Dem Netzwerk sei es wichtig, klimaresistente Obstbäume und Sträucher zu pflanzen, wobei der Fokus auf heimischen Arten liegt, ergänzt durch Sträucher und Wildobst. „Zu den Pflanzenarten, die einen klimaresistenten Obstwald bilden können, zählen Pflaume, Zwetschge, Mirabelle, Birne, Quitte, Walnuss, Mispel, Elsbeere, Speierling, Vogelkirsche und Apfelbaum“, sagt Kusche-Luff. Anders als bei einer Streuobstwiese soll hier langfristig ein dicht gewachsener Wald entstehen, „in den wir nur für die Anlage und den Erhalt von kleinen Wegen zu unseren Lernorten eingreifen“, so Kusche-Luff.

Die Schöpfungsbewahrung immer im Blick

„Es gibt von vielen Seiten und auf verschiedenen Ebenen Bestrebungen, den Wert der Streuobstbestände wieder stärker in den Fokus zu rücken. In meiner täglichen Arbeit beim Landschaftspflegeverband begegne ich immer wieder Menschen, die mit uns junge Bäume pflanzen“, sagt Norbert Metz. Das stimme ihn optimistisch, besonders am Tag des Baumes.

Ein Beitrag zum Schutz, zur Bewahrung und Entwicklung der Streuobstwiesen kann auch durch den bewussten Konsum von Produkten aus Streuobst geleistet werden. „Jede Privatperson, jede Organisation, sei es eine Kirchengemeinde oder Kommune, kann auf allen Ebenen mit der Wahl von Streuobstsäften oder -schorlen für den eigenen Konsum, das Sommerfest und viele andere Anlässe einen Beitrag leisten“, sagt Metz.

Bei allen Bemühungen um den Erhalt der Kulturlandschaft schwingt immer auch der Gedanke der Schöpfungsbewahrung mit. Die große Vielfalt an wertvollen Landschaftselementen wie Orchideenwiesen, Hecken, artenreichen Grünlandbeständen und eben Streuobstwiesen ist ein Teil des komplexen Zusammenspiels zwischen Lebensräumen und Artenvielfalt. Metz ist überzeugt: „Mit dem Erhalt der Lebensräume sichern wir auch das Überleben von Tier- und Pflanzenarten für die nächsten Generationen. Das ist Arbeit zur Erhaltung der Schöpfung.“ Für Informationen und Projekte rund um Streuobst ist er erreichbar unter Tel. (0981) 46533525, E-Mail: metz(at)lpv-mfr(dot)de.

Text: Geraldo Hoffmann