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13.10.2008

Dokumentation: Rede von Prof. Dr. Hans Joachim Meyer, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, beim Eichstätter Diözesantag am 11. 10. 2008

Mit Rat und Tat - 40 Jahre Dienst am Volke Gottes

Das Datum dieses Diözesantages und das Thema dieses Festvortrages wollen daran erinnern, dass vor vierzig Jahren im Bistum Eichstätt Pfarrgemeinderäte eingeführt wurden. Es ist guter Brauch, runde Jahrestage in der Geschichte als Jubiläen zu feiern. „Man soll die Feste feiern wie sie fallen,“ sagt der Volksmund. Und diesem lebensfrohen Rat will ich auch nicht widersprechen. Gleichwohl liegt der tiefere Sinn eines Jubiläums, insbesondere des Jubiläums einer Institution, wohl darin, sich seiner Existenz und seiner Aufgaben zu versichern. Und ist diese Institution eine Gremium, in dem Menschen zu gemeinsamen Entschlüssen finden müssen, dann kann es besonders notwendig sein, sich darauf zu besinnen, was in den Mühen, Sorgen und Misserfolgen des Alltags undeutlich zu werden droht. Darum wollen wir uns des Ausgangsimpulses vor vierzig Jahren erinnern und uns fragen, was daraus geworden ist.

Nun habe ich schon einleitend für die Pfarrgemeinderäte zwei Begriffe benutzt, die in unserer individualistischen Gesellschaft nicht hoch im Kurs stehen. Institutionen und Gremien haben etwas zu tun mit Normen, mit Pflicht und Bindung und nicht zuletzt mit gemeinsamer Verantwortung und gemeinsamer Anstrengung. Dagegen gibt es in unserer heutigen Gesellschaft viel Aversion. Und füge ich nun noch das Wort „Struktur“ hinzu, dann wird dem einen oder anderen von Ihnen einfallen, dass man auch in unserer Kirche die Behauptung hören kann, Strukturen seien nebensächlich, es komme auf die Inhalte an. Merkwürdigerweise hört man dies in der Kirche meist von solchen, die dem individualistischen Zeitgeist sehr kritisch gegenüberstehen. Sieht man näher zu, so sind die, welche so reden, auch gar keine Strukturanarchisten, sondern in Wahrheit Strukturkonservative. Anders gesagt: Sie wollen keine Strukturen abschaffen; sie wollen nur keine neuen Strukturen. Nun sind Mitglieder von Pfarrgemeinderäten ganz gewiss keine Menschen, die auf Strukturen versessen sind. Vielmehr geht es auch ihnen um Inhalte, um das Leben in ihrer Pfarrgemeinde und in ihrem Bistum und ganz generell um das Leben in unserer Kirche. Wie lösen wir also diesen Widerspruch auf zwischen Inhalt und Struktur?

An den Beginn unserer Suche nach einer Antwort auf diese Frage will ich zwei Thesen stellen: Hinter jeder Struktur steht eine Idee. Und: Ideen leben in und durch Strukturen. Fragen wir also als erstes: Welche Idee steht hinter den Pfarrgemeinderäten und ganz generell hinter den Laiengremien in der Katholischen Kirche in Deutschland? Wollten wir dazu eine gründliche historische Analyse anstellen, so müssten wir vor allem die Anfänge der katholischen Laienbewegung betrachten, hier in Deutschland und in anderen westeuropäischen Ländern. Zu sprechen wäre z.B. über die Deutschen Katholikentage, die im Revolutionsjahr 1848, also vor genau 160 Jahren, ihren Anfang nahmen. In der Geschichte geschieht ja, wenn man näher hinsieht, nichts ohne vorherige Entwicklungen und kaum etwas ohne Konflikte und Rückschläge. Und doch gibt es fast immer einen entscheidenden Punkt im Gang der Geschichte, eine Zäsur, nach der das Neue in den Vordergrund tritt. Diese Zäsur ist und bleibt für das Leben der Katholischen Kirche, auch wenn dies manche nicht mehr hören wollen, das II. Vatikanische Konzil, das am 11. Oktober 1962, also vor genau 46 Jahren, eröffnet und am 8. Dezember 1965 beendet wurde.

Das II. Vatikanische Konzil hat bekanntlich das Wesen der Kirche und ihr Selbstverständnis in zwei großen Texten beschrieben – in der dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen Gentium und in der pastoralen Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes. Von diesen beiden Texten wird auch die Bedeutung der Begriffe „Laie“ und „Laienapostolat“ bestimmt. In seinem einleitenden Kapitel verweist Lumen Gentium auf die Fülle der biblischen Bilder für das Wesen der Kirche. Viele von ihnen stellen Wachstum und Werden in den Vordergrund, wie die Pflanzung Gottes, sein Acker, sein Weingarten, sein Bauwerk. Andere Bilder betonen das Moment der Gemeinschaft wie das Bild vom Schafstall oder das vom neuen Jerusalem. (2) Als Ausgangspunkt des dann folgenden Kapitels, welches das Wesen der Kirche behandelt, wird vom Konzil jedoch das Bild vom Volk Gottes gewählt, das sich wiederum in der Versammlung darstellt und verwirklicht. (3)

„Zu aller Zeit und in jedem Volk ruht Gottes Wohlgefallen auf jedem, der ihn fürchtet und gerecht handelt (vgl. Apg. 10, 35). Gott hat es aber gefallen, die Menschen nicht einzeln, unabhängig von aller wechselseitigen Verbindung, zu heiligen und zu retten, sondern sie zu einem Volke zu machen, das ihn in Wahrheit anerkennen und ihm in Heiligkeit dienen soll.“ (4)

Das Konzil erinnert daran, dass sich Gott schon „das Volk Israel zum Eigenvolk erwählt“ hat, und sagt über den neuen Bund, „der in Christus geschlossen“ worden ist:

„So hat er sich aus Juden und Heiden ein Volk berufen, das nicht dem Fleische nach, sondern im Geiste zur Einheit zusammenwachsen und das neue Gottesvolk bilden sollte. Die an Christus glauben, werden nämlich, durch das Wort des lebendigen Gottes (vgl. 1 Petr 1, 23) wiedergeboren nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, nicht aus dem Fleische, sondern aus dem Wasser und dem Heiligen Geist (vgl. Jo 3, 5-6), schließlich gemacht zu ‚einem auserwählten Geschlecht, einem königlichen Priestertum ..., einem heiligen Stamm, einem Volk der Erwerbung ... Die einst ein Nicht-Volk waren, sind jetzt Gottes Volk’ (1 Petr 2, 9-10).“  (5)

Wir können davon ausgehen, dass den zum Konzil versammelten Bischöfen das Bild vom Volk Gottes in besonderer Weise geeignet erschien, das Wesen und  die innere Verfassung der Kirche zu beschreiben. So hat denn auch das Wort vom Volke Gottes große Erwartungen geweckt, nicht zuletzt in bezug auf die Geschwisterlichkeit der Kirche. Freilich hat diese Geschwisterlichkeit ihren Grund darin, dass es Gott ist, der sich dieses Volk schuf, denn es kommt auf seinen Ruf hin zusammen. Es ist also eine Gemeinschaft, die sich nicht selbst konstituiert, sondern die ihre Grundlage in Gottes Wahrheit und in Gottes Gebot hat. Der Gedanke liegt dennoch nahe, dass trotz dieses wesentlichen Unterschieds zum vertrauten Volksbegriff das Bild von Volk auch eine Aussage darüber machen soll, wie die Kirche miteinander lebt und wie sie sich in der Welt verwirklicht.

Die Perspektive von Lumen Gentium ist zunächst auf die Kirche als Ganze gerichtet und auf deren Entwicklung im Dienst am Heilsauftrag. So heißt es schon im 1. Kapitel: „Die Kirche, das heißt das im Mysterium schon gegenwärtige Reich Christi, wächst durch die Kraft Gottes sichtbar in der Welt.“ (6) Die Kirche wird beschrieben als „Keim und Anfang dieses Reiches auf Erden“. „Während sie allmählich wächst, streckt sie sich verlangend aus nach dem vollendeten Reich“ (7). Vom Volke Gottes heißt es, seine Bestimmung sei „das Reich Gottes, das von Gott selbst auf Erden grundgelegt wurde, das sich weiter entfalten muss, bis es am Ende der Zeiten von ihm auch vollendet werde“ (8). Für diese Bewegung durch die Geschichte nimmt der Text wiederholt das Bild von der Pilgerschaft auf, so wenn das Wort von Augustinus zitiert wird, die Kirche schreite „zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes auf ihrem Pilgerweg dahin“ (9) oder die Kirche trage „die Gestalt dieser Welt, die vergeht“ (10) – ein bedenkenswertes Wort, den für „die Gestalt dieser Welt“ ist ja charakteristisch, dass sie im Verlauf der Geschichte ständig im Werden und Vergehen ist, sich also immer wieder wandelt. In jedem Fall ist Kirche also die Entwicklung aus dem von Gott gesetzten Beginn bis zu der von ihm verheißenen Vollendung. Für den Begriff des Laien ergibt sich , dass dieser  – ganz im Sinne der ursprünglichen Bedeutung von ‚Laie’ als eines zum Volk gehörenden Menschen – die Zugehörigkeit des Christen zum Volke Gottes bezeichnet, das sich auf dieser Pilgerschaft durch die Geschichte hin zum ewigen Heil befindet.

Erst auf dieser Grundlage und in diesem Rahmen beschreibt Lumen Gentium die Ordnung der Kirche:
„Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen aber und das Priestertum des Dienstes, d. h. das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich zwar dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach. Dennoch sind sie einander zugeordnet: das eine wie das andere nämlich nimmt je auf besondere Weise am Priestertum Christi teil.“ (11)

Nach katholischem Kirchenverständnis gibt es also im Volk Gottes eine feste gemeinschaftliche Ordnung, deren sakramentale und apostolische Grundstruktur von Christus vorgegeben ist. Wie Geschichte und Gegenwart zeigen, kann sich diese Grundstruktur durchaus in unterschiedlichen Formen konkretisieren. Man kann also die gegenwärtige rechtliche Gestalt der Kirche nicht einfach mit ihrem unwandelbaren Wesen identifizieren. Unabhängig davon gibt es wohl immer eine bestimmte Spannung zwischen Kirchenvolk und Kirchenamt, auch wenn das Amt als Dienst verstanden wird. Denn das Amt steht in einer doppelten Verantwortung: In der Verantwortung für die Unversehrtheit der Wahrheit Gottes und seiner Frohen Botschaft und in der Verantwortung für den Bestand und das gute Miteinander der kirchlichen Gemeinschaft. Im Blick auf diesen Unterschied und unabhängig von der konkreten Daseinsform der Kirche mahnt das Bild vom Volke Gottes zur Geschwisterlichkeit im Umgang miteinander, damit die Kirche jederzeit als Zeichen Gottes unter den Menschen wirkt und seine Frohe Botschaft glaubwürdig bezeugt.

Halten wir also als erste Säule, ja, als Kern der Idee, die hinter den Räten in unserer Kirche steht, fest, dass die Kirche Volk Gottes ist und dass die Laien Glieder dieses Gottesvolkes sind. Die Frage, die für die Arbeit von Laien in diesen Räten wichtig ist, lautet nun: Was ist denn nun die Aufgabe der Laien und gibt es eine Art und Weise des Wirkens, das für Laien charakteristisch ist und ihnen in erster Linie zukommt.

Hier ist es bedeutsam, die beiden großen Felder des Laienapostolats zu unterscheiden. Das eine Feld ist das Leben der Kirche und der Gemeinden, das von den Laien mitzutragen und mitzugestalten ist. Es ist dies eine Tätigkeit der Mitsorge und Mitgestaltung, der helfenden Unterstützung und Beratung, also ganz generell der Zusammenarbeit mit den Bischöfen und Priestern und unter deren Verantwortung. Ganz wesentlich ist der praktische Einsatz für Aufgaben in Kirche und Gemeinde, der wiederum seine Quelle finden muss in einem intensiven geistlichen Leben. In seinem apostolischen Schreiben „Christifideles Laici“ von 1988 hat Papst Johannes Paul II. hier ein weites Programm abgesteckt und eine Fülle von Anregungen gegeben. Die Verbindung der katholischen Christen mit ihrer Kirche und ihre Teilnahme am kirchlichen Leben ist zugleich die Quelle für das zweite, das eigentliche Feld des Laienapostolats, nämlich für ihr Leben und ihr Zeugnis in der Welt. Die Kirchenkonstitution Lumen Gentium sagt es in aller Klarheit:
„Den Laien ist der Weltcharakter in besonderer Weise eigen ... Sache der Laien ist es, Kraft der ihnen eigenen Berufung in der Verwaltung und in der Gott gemäßen Regelung der zeitlichen Dinge das Reich Gottes zu suchen ...“  (13)

Die Pastoralkonstitution Gaudium et Spes präzisiert diese Aufgabe als Dialog mit der Welt. In diesem Dialog mit der Welt ist der Christ bestimmt von den Wahrheiten des Glaubens und den Lehren der Kirche. Zugleich steht er mitten in dieser Welt und kennt ihre Hoffnungen und Ängste. Sein Motiv ist es, den Menschen die Frohbotschaft zu vermitteln und ihnen den Blick für den Sinn ihres Lebens zu erschließen. Dieses christliche Zeugnis ist um so eindringlicher und überzeugender, wenn es eingebettet ist in die Praxis der Nächstenliebe, die sich in der modernen Gesellschaft verwirklicht als solidarisches Handeln und im Eintreten für Gerechtigkeit. Denn, wie es zu Beginn von Gaudium et Spes heißt, „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“ (15)

Was ist aber nun der Bezugspunkt dieses Dialogs wie überhaupt unseres Handelns in dieser Welt? Dieser Bezugspunkt ist die konkrete Wirklichkeit. Die Wirklichkeiten dieser Welt, so sagt es das Konzil eindringlich, haben ihre Eigengesetzlichkeit und sind in diesem Sinne autonom. Wir müssen sie also erkennen und richtig mit ihnen umgehen. Denn, so sagt es das Konzil, „alle Einzelwirklichkeiten (haben) ihren festen Eigenstand, ihre eigene Wahrheit, ihre eigene Gutheit sowie ihre Eigengesetzlichkeit und ihre eigenen Ordnungen, die der Mensch unter Anerkennung der den einzelnen Wissenschaften und Techniken eigenen Methode achten muss.“ (16) Mit dieser Klarstellung unterscheidet das Konzil den christlichen Glauben von jeder Ideologie. Deren Merkmal besteht bekanntlich darin, die Wirklichkeit nur noch durch ein System vorgefasster Auffassungen zu betrachten. Eine solche Ideologie ist auch der religiöse Fundamentalismus, welcher nicht verstehen will, dass uns das Wort Gottes stets in der Sprache von Menschen gegeben ist. Dass uns die Frohe Botschaft in vier Evangelien begegnet, weist uns unübersehbar auf diese Tatsache hin.

Im Leben des Christen gibt es also eine notwendige Wechselwirkung zwischen der Botschaft des Glaubens und der Wirklichkeit der Welt. Freilich bedeutet dies nicht, dass die Wahrheit des Glaubens durch die Wirklichkeit der Welt aufgehoben oder eingegrenzt wird. Ebenso wenig bedeutet dies, dass uns die Analyse der Wirklichkeit die ethische Entscheidung abnimmt, wie wir denn zu handeln hätten. Je besser wir die Wirklichkeit erkennen, desto deutlicher wird uns, was wir als Christen jetzt zu entscheiden haben. Wir handeln als Christen im Angesicht der Wirklichkeit und nicht außerhalb der Wirklichkeit. Gerade in der politischen und sozialen Wirklichkeit kann uns dies abverlangen, gegen herrschende Verhältnisse und vorherrschende Trends zu stehen, weil wir erkennen, dass diese zu menschlichem Unglück führen und die Gesellschaft in eine Katastrophe treiben. Das Konzil redet also keinem blinden Sachzwang das Wort und erst recht keinem feigen Opportunismus, sondern es fordert  Wirklichkeitssinn, der uns zur Entscheidung hilft, was wir als Christen jetzt tun müssen.

Allerdings, und hier entwickelt das Konzil einen für unser gesellschaftliches Engagement ganz wichtigen Gedanken, ist jede Entscheidung ein Akt der Freiheit. Das heißt: Wir müssen in eigener Verantwortung und vor unserem Gewissen abwägen, was jetzt das Richtige ist. Das ist in einer komplexen Welt jedoch oft nicht eindeutig. Auch Christen können zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen. Das gilt insbesondere für die Gestaltung der Gesellschaft. Wie ist nun mit solchen Konflikten umzugehen? Dazu sagt das Konzil:
„Die Laien sind eigentlich, wenn auch nicht ausschließlich, zuständig für die weltlichen Aufgaben und Tätigkeiten. ... Aufgabe ihres dazu von vornherein richtig geschulten Gewissens ist es, das Gebot Gottes im Leben der profanen Gesellschaft zur Geltung zu bringen. Von den Priestern aber dürfen die Laien Licht und geistliche Kraft erwarten. Sie mögen aber nicht meinen, ihre Seelsorger seien immer in dem Grade kompetent, dass sie in jeder, zuweilen auch schweren Frage, die gerade auftaucht, eine konkrete Lösung schon fertig haben können oder die Sendung dazu hätten. Die Laien selbst sollen vielmehr im Licht christlicher Weisheit und unter Berücksichtigung der Lehre des kirchlichen Lehramtes darin ihre eigenen Aufgaben wahrnehmen.“
Konflikte über gesellschaftlich relevante Entscheidungen müssen also von den Laien selbst gelöst oder durchgestanden werden. Dazu sagt das Konzil:
„... andere Christen werden vielleicht, wie es häufiger, und zwar legitim, der Fall ist, bei gleicher Gewissenhaftigkeit in der gleichen Frage zu einem anderen Urteil kommen. Wenn dann die beiderseitigen Lösungen, auch gegen den Willen der Parteien, von vielen anderen sehr leicht als eindeutige Folgerung aus der Botschaft des Evangeliums betrachtet werden, so müsste doch klar bleiben, dass in solchen Fällen niemand das Recht hat, die Autorität der Kirche ausschließlich für sich und seine eigene Meinung in Anspruch zu nehmen. Immer aber sollten sie in einem offenen Dialog sich gegenseitig zur Klärung der Frage zu helfen suchen; dabei sollen sie die gegenseitige Liebe bewahren und vor allem auf das Gemeinwohl bedacht sein.“ (17)

In unseren Tagen zeigt uns die familienpolitische Debatte erneut, wie berechtigt diese Warnung des Konzils ist. Worin besteht das christliche Verständnis von Ehe? Die Ehe ist ein auf Lebenszeit geschlossener Bund der Treue zwischen einem Mann und einer Frau, die Kinder wollen und diese ins Leben führen. Dieses christliche Eheverständnis verwirklicht sich konkret im Verlauf der Geschichte in durchaus unterschiedlichen Familienidealen. Es gibt also nicht das christliche oder das katholische Familienideal. Insbesondere in unserer Zeit wird Familie auch von Katholiken nicht nur nach einer Vorstellung gelebt. Das ist selbstverständlich in einer Gesellschaft, zu deren Grundsätzen die Gleichberechtigung der Frau gehört, die auch von der Kirche hochgehalten wird. Zu dieser Gleichberechtigung gehört auch die Entscheidung einer Mutter, ob und wie sie sich im beruflichen Leben verwirklicht. Diese Entscheidung muss Konsequenzen haben für Staat und Gesellschaft in bezug auf die Unterstützung der Familie. Diese Entscheidung fordert nicht zuletzt, dass sich Männer in höherem Maße ihrer Verpflichtung als Väter bewusst sein müssen. In jedem Fall gilt: Eine Ehe, die auf lebenslanger Treue begründet ist und Kinder will, hat, wie immer sie heute konkret gelebt wird, Anspruch auf Respekt und auf öffentliches und kirchliches Wohlwollen.

Die Konzilskonstitution Gaudium et Spes ist für uns in mehrfacher Weise bedeutsam. Sie ist eine Magna Charta der Eigenständigkeit und Eigenverantwortung des katholischen Laien bei seinem christlichen Zeugnis in der Welt. Sie ist ein Dokument katholischen Wirklichkeitssinns im Blick auf die Erkenntnis- und Entscheidungsmöglichkeiten des Menschen. Sie ist ein Plädoyer für die Notwendigkeit des Dialogs im Umgang mit unterschiedlichen Einsichten, Erfahrungen und Überzeugungen – auch unter katholischen Christen. Sie ist zugleich Ausdruck der Geschwisterlichkeit in der Beziehung zwischen Amt und Laien. Freilich muss man auch hinzufügen, was diese Konstitution nicht sein will: Sie ist keine Entschuldigung für ethische Unverbindlichkeit. Sie sagt nicht, es sei alles in gleicher Weise gültig. Sie sagt auch nicht, der Glauben sei Privatsache und habe in der Öffentlichkeit nichts zu suchen, weil dort alles angeblich nach rationalen Kriterien entschieden würde. Sie zeigt im Gegenteil deutlich, welche Bedeutung das ethische Fundament hat, das sich aus dem Glauben und den Lehren der Kirche ergibt.

Was wir bisher über die Idee, die hinter einer Struktur wie dem Pfarrgemeinderat steht, erfahren haben, sind Grundsätze und Appelle. Das ist auch genau das, was das Konzil über alle nationalen und regionalen Grenzen und Eigenheiten in der einen Weltkirche hinweg sagen konnte. Was bisher an dieser Idee fehlt, sind Gedanken und Vorschläge darüber, wie das denn nun konkret in das tägliche Leben der Kirche umzusetzen ist. Hier Modelle für die Struktur und die Arbeit der Räte in der deutschen Kirche zu entwickeln, war die Aufgabe der Gemeinsamen Synode, die von 1971 bis 1975 im Dom zu Würzburg getagt hat. Diese Synode hat eine herausragende Leistung vollbracht, und die Ergebnisse ihrer Arbeit sind bis heute von fundamentaler Bedeutung für unser kirchliches Leben. Ich sage das mit solchem Nachdruck, weil es seit einiger Zeit Leute gibt, welche diese Synode in einen unguten Zusammenhang mit 68 und seinen Folgen bringen wollen oder behaupten, sie hätte zu einer Protestantisierung der katholischen Kirche in Deutschland geführt. Solche Angriffe sind nicht nur dumm, sondern auch unehrlich. Sie richten sich scheinbar nur gegen die Würzburger Synode, meinen in Wahrheit aber das II. Vatikanische Konzil.

Von besonderer Bedeutung für unser Thema sind der Synodenbeschluss „Dienste und Ämter“ sowie insbesondere der Synodenbeschluss „Verantwortung des ganzen Gottesvolkes für die Sendung der Kirche“. Im ersteren finden wir grundsätzliche Feststellungen zum Verhältnis zwischen Amt und Rat:
„Damit alle ihre Verantwortung für die Gemeinde auf wirksame Weise wahrnehmen können, gibt es in der Kirche von Anfang an Gremien der gemeinsamen Verantwortung. Das Zweite Vatikanische Konzil hat dieses synodale Element auf allen Ebenen der Kirche erneuert. Seither sind auf der Ebene der Gemeinde fast überall Pfarrgemeinderäte eingerichtet worden. Aufgabe dieser Gremien ist es, die gemeinsame Sendung aller darzustellen, die einzelnen Dienste und Gruppen zu integrieren und zwischen der Gemeinde und ihnen zu vermitteln. Sie sollen das kirchliche Leitungsamt beraten und unterstützen.“
„Die Räte sind dazu da, ein einmütiges Handeln aus dem gemeinsamen Glauben heraus zu ermöglichen. Diesem Ziel widersprechen sowohl Majorisierungen als auch ein autoritärer Leitungsstil.“

Konkrete Aussagen über den Charakter der einzelnen Räte und deren Aufgaben finden wir im Synodenbeschluss „Verantwortung des ganzen Gottesvolkes für die Sendung der Kirche“. Hier galt es zunächst einmal zu unterscheiden zwischen den beiden großen Feldern des Laienapostolats, der innerkirchlichen Mitwirkung einerseits und dem Glaubenszeugnis in der Gesellschaft andererseits. Das entspricht, wie wir eben gehört haben, ja auch dem unterschiedlichen Grad von eigenständiger Laienverantwortung. Überdies hatte das Konzil selbst hier bereits unterschiedliche Vorgaben gemacht. Für das Feld der innerkirchlichen Mitwirkung hatte es in seinem Dekret über die Bischöfe Christus Dominus bereits als ein neues Gremium den Pastoralrat skizziert. Dagegen finden sich im Dekret über das Laienapostolat Apostolicam actuositatem nur allgemeine strukturelle Andeutungen. Diesen Unterschied hat auch das neue Kirchliche Gesetzbuch von 1983 fortgeführt, das zwar Normen über die Pastoralräte, nicht jedoch über Laienräte enthält. Ein anderes Vorgehen würde ja auch der großen Spannweite in der Bedeutung und Ausgestaltung der Laienaktivität in den jeweiligen Ortskirchen nicht gerecht. Ich betone diese Differenz im Normierungsgrad auch deshalb, weil gelegentlich behauptet wird, durch das neue Kirchliche Gesetzbuch wären die Beschlüsse der Würzburger Synode gegenstandslos geworden. Wahr ist, dass Würzburg nur partikulares Recht setzen konnte. Partikulares Recht wird aber durch weltkirchliches Recht nur dann aufgehoben, wenn letzteres an dessen Stelle neue Normen setzt. Das ist aber bei den Laienräten nicht der Fall.

Wie spiegeln sich nun im Würzburger Synodenbeschluss die beiden großen Felder des Laienapostolats? Die Würzburger Synode ging von dem Kirchenbegriff des Volkes Gottes aus, der alles umschließt, was Christen aus ihrem Glauben heraus tun, und unterschied zwischen dem Dienst in der Kirche, also „der Sorge für die Gemeinde und die Kirche“ und dem Dienst für die Kirche, also „dem Wirken für die Gesellschaft“. Entsprechend ist dem „kirchlichen Amt ... die Sorge für die Einheit und das Zusammenwirken der vielen Dienste anvertraut“, wohingegen die „Verantwortung für den Dienst an der Welt ... den Laien in besonderer Weise aufgegeben“ ist. Deshalb konzipierte die Synode zwei Strukturen, die ich der größeren Klarheit wegen zunächst für die diözesane Ebene darstellen will. Erstens soll es den Diözesanpastoralrat geben, der durch Beratung des Bischofs und unter dessen Vorsitz „an der Willensbildung und Entscheidungsfindung in den der gemeinsamen Verantwortung obliegenden Aufgaben der Diözese“ teilnimmt. Der Pastoralrat ist also ein beratendes Gremium. Seine Beschlüsse erhalten erst durch die Zustimmung des Bischofs Rechtskraft.

Zweitens konzipierte die Würzburger Synode den Katholikenrat der Diözese, inzwischen auch als Diözesanrat, Diözesantag, Diözesanversammlung oder Diözesankomitee der Katholiken bezeichnet. Dieses Gremium wurde von der Synode definiert als Zusammenschluss von Vertretern des Laienapostolat und als eine kirchliche Struktur in der Gesellschaft. Der Begriff „Zusammenschluss“ wurde aus der Tradition der Katholikenausschüsse übernommen, die nach dem II. Weltkrieg in einigen deutschen Diözesen entstanden. Er betont die Bedeutung der Eigeninitiative der Laien und stellt daher bewusst einen Bezug her zum Vereinsrecht. Das ist heute auch deshalb wichtig, weil ja das neue Kirchliche Gesetzbuch die Möglichkeit katholischer Vereine kennt. Der Begriff „kirchliche Struktur in der Gesellschaft“ ist wiederum nur verständlich, wenn man Kirche als Volk Gottes versteht und nicht nur als die amtliche Institution. Es ging darum, eine Struktur für das gemeinsame öffentliche Wirken von Laienrepräsentanten als katholische Christen in der Gesellschaft zu finden. Da sich, wie wir gesehen haben, gemeinsame Positionen von katholischen Christen in der Gesellschaft nicht automatisch ergeben, sondern erst im Austausch der Argumente und Erfahrungen erarbeitet werden müssen, sind diese Katholikenräte notwendigerweise dialogische Gremien. Zunächst schon deshalb, weil seine Mitglieder nur durch Dialog zum Konsens oder zu einer Mehrheitsentscheidung finden. Darüber hinaus steht ein solches Gremium aber auch in vielfachen dialogischen Zusammenhängen in der Kirche und mit der Gesellschaft. Einerseits mit den innerkirchlichen Gesprächs- und Entscheidungsvorgängen. Zu denen können sie selbstverständlich Stellung nehmen, weil das Leben der Kirche für alle Christen von elementarer Bedeutung ist und sie daran nicht als stumme und gehorsame Schafe teilnehmen wollen. Von keineswegs geringerer Bedeutung für  das dialogische Selbstverständnis eines solchen Laiengremiums ist die öffentliche Debatte, also der ständige Diskurs, den die Gesellschaft mit sich und über sich führt. Daran teilzunehmen und diesen zu beeinflussen ist für Christen ja eine wesentliche Form des öffentlichen Glaubenszeugnisses. Nicht zuletzt muss jedes Laiengremium aktiv teilhaben am Dialog aller, welche sich in der Laienaktivität engagieren. Es hat ja seinen Sitz im Leben, wenn der Katholikenrat einer Diözese einerseits aus den Delegierten der Laienräte und Laienorganisationen dieser Diözese besteht und andererseits Delegierte in das Zentralkomitee der deutschen Katholiken entsendet. Nur so können wir hoffen, über die Grenzen unserer Gemeinden, Diözesen, Verbände und Initiativen hinaus zu einem gemeinsamen Gesprächs- und Entscheidungsprozess der katholischen Laien zu kommen. Nur so haben wir auch Aussicht, zu einem Akteur in der öffentlichen Debatte unseres Landes zu werden. Allgemein könnte man also sagen: Das Aufgabenfeld des Katholikenrates einer Diözese wie des ZdK umfasst den eigenverantwortlichen Dienst der Laien in der Welt auf der Grundlage des Glaubens und der Lehren der Kirche sowie die Mitverantwortung der Laien für das kirchliche Leben. Die Mitglieder dieser Gremien erhalten ihr Mandat durch das Vertrauen der Laien, und zwar durch Wahl aus den Räten der nächst unteren Ebene oder aus den Verbänden und Organisationen. Ein so legitimiertes Gremium ist also wirklich eine Repräsentation der Laien und fasst seine Beschlüsse deshalb auch unabhängig.

Im Interesse einer größeren Klarheit haben wir bisher die beiden Strukturen auf der diözesanen Ebene betrachtet, wie sie nach den Überlegungen der Würzburger Synode den beiden großen Feldern des Laienapostolats zugeordnet sein sollen. Allerdings gibt es nicht in allen Diözesen beide Gremien, so dass faktisch beide Aufgabenfelder auch zusammen kommen können. Vor allem aber hat bereits die Würzburger Synode für die Ebene der Pfarrgemeinden beide Aufgabenfelder in einem Gremium vereint, nämlich im Pfarrgemeinderat. Das geschah, wie ich meine, mit guten Gründen. Erstens sind vor Ort die beiden Aufgaben oft eng miteinander vernetzt, zweitens hängt die Möglichkeit und Notwendigkeit öffentlicher Wirksamkeit stark von den örtlichen Bedingungen ab. Dennoch müssen wir diese innere Spannung in der Arbeit eines Pfarrgemeinderates beachten: Er ist einerseits der Pastoralrat des Pfarrers und andererseits das gemeinsame Gremium der Laien in der Pfarrei. Das zeigt sich in der breiten Aufgabensammlung der Würzburger Synode für die Pfarrgemeinderäte, die sich modifiziert ja auch in den verschiedenen diözesanen Satzungen und Rechtsnormen findet. Der Doppelcharakter des Pfarrgemeinderates hat schon in Würzburg und dann immer mal wieder zu der Frage geführt, wer denn nun den Vorsitz führen solle – der Pfarrer oder ein vom Rat gewählter Laie. Belebt wurde dieser Streit dann noch einmal durch die Regelungen des Kirchlichen Gesetzbuches von 1983  für die Pastoralräte. Nach einer gründlichen Prüfung hat sich 1987 die Gemeinsame Konferenz, also das durch die Würzburger Synode geschaffene Beratungsgremium von Repräsentanten der Bischofskonferenz und des ZdK, darauf verständigt, dass es sich beim Pfarrgemeinderat um ein Gremium eigener Art handelt, so dass es bei den bisherigen Praxis gewählter Vorsitzender bleiben kann. Dass die Eigenart der beiden Aufgabenfelder und ihrer jeweiligen Verantwortlichkeit gleichwohl zu beachten ist, bleibt davon unberührt.

Bisher haben wir den Pfarrgemeinderat vor allem als Struktur, also als Voraussetzung und Möglichkeit für gemeinsames Beraten und Handeln betrachtet. Von selbst lebt eine solche Struktur jedoch nicht. Und es reicht auch nicht aus, eine grundsätzliche Vorstellung vom Sinn eines solchen Rates und guten Willen zu haben. Damit sich dieser Sinn erfüllt und konkretes Handeln entsteht, müssen die Mitglieder eines solchen Gremiums von Haltungen bestimmt sein und über Fähigkeiten verfügen, durch die eine leistungsfähige und belastbare Gemeinsamkeit überhaupt erst entstehen kann. Das Wort „Gremium“ stammt wie so viele unserer Termini aus dem Lateinischen und bedeutet eigentlich „Schoß und Inneres“. Ein Gremium ist also seiner Bedeutung nach die Stelle eines Organismus, wo etwas für die Gesamtheit Lebenswichtiges entsteht oder geschieht. Wer einmal in den allgemeinen Sprachgebrauch hinein hört, wird allerdings bald feststellen, dass das Wort „Gremium“ heute oft in negativen Zusammenhängen verwendet wird, so z.B. in dem abfälligen Wortgefüge „Gremienwirtschaft“. Gremien gelten vielen als langwierig und unproduktiv. Woran liegt das? Zunächst einmal daran, dass ein erfolgreiches Gremium den Willen zur Gemeinsamkeit voraussetzt. Viele Gremien wurden aber geschaffen als Ort zur Vertretung gegensätzlicher Interessen und zur Austragung von Konflikten. Ein Beispiel sind die Hochschulgremien, die im Ergebnis der achtundsechziger Revolte entstanden. Sie sollten dem akademischen Klassenkampf dienen. Dass dies die Hochschulen ruinierte und die gute Idee der Mitbestimmung beschädigte, war nicht wenigen der Protagonisten herzlich gleichgültig.

Seit einiger Zeit müssen wir überdies leider feststellen, dass die Vorstellung von einem Allgemeininteresse, das von den Einzelnen geachtet, mitgetragen und gefördert wird, unserer Gesellschaft immer fremder wird. Denn diese wird weithin bestimmt vom Geist des   Individualismus. Eigeninteresse und Individualrecht werden mit Freiheit gleichgesetzt, Gemeinwohl und Allgemeininteresse dagegen als freiheitsgefährdend diskreditiert. Dass individuelle Freiheit, jedenfalls auf Dauer, nur als Glied der gemeinsamen Freiheit existieren kann, wird systematisch verdrängt, wenn nicht sogar offen geleugnet. Demokratie wird nicht mehr als Ordnung der gemeinsamen Entscheidung gesehen, sondern nur noch als Chance zur individuellen Partizipation. Als wichtigste Freiheitsgarantie gelten ohnehin gerichtlich einklagbare Individualrechte. Vielen geht es nicht mehr um unsere gemeinsame Freiheit, sondern um ihre Freiheiten. Wer kann sich da ernsthaft wundern, dass die öffentliche Debatte und ihr wichtigster Ort, das Parlament, an Ansehen und Einfluss verlieren. Das letzte Wort scheinen ja ohnehin die Gerichte zu haben.

Wer am Wert unserer Räte festhält und sich für deren Arbeit engagiert, lebt also gleichsam gegen den vorherrschenden Zeitgeist. Gravierend kommt hinzu, dass es auch reichlich viele kirchliche Äußerungen und Handlungen gibt, die von wenig Respekt vor der Arbeit unserer Räte zeugen. Solche Erfahrungen demotivieren und desorientieren. Und sie machen es schwer, den Kurs der Mitte zu halten zwischen kritischem Misstrauen gegen das kirchliche Amt und naiv bewundernder Hinnahme von allem und jedem, was da von oben kommt. Ganz generell haben wir ja heute in Kirche und Gesellschaft den Trend zur Einzelentscheidung, weil dies effizienter erscheint. Es ist dies ein zwar paradoxes, aber eigentlich durchaus logisches Resultat eines gemeinschaftsverachtenden Individualismus. Ich will gegen alle diese Zeiterscheinungen bewusst das setzen, was die Würzburger Synode als geistige Voraussetzungen für die Mitverantwortung in den Räten benennt, nämlich als erstes  „Bereitsein für den Anruf Christi und das Leben mit der Kirche“, sodann der Willen und die Fähigkeit zur Kommunikation, eine kooperative Arbeitsweise, „die Beteiligung an Entscheidungsprozessen und das Mittragen der Konsequenzen einer Entscheidung“, ferner „umfassende wechselseitige Information und eine innerkirchliche öffentliche Meinung“ und nicht zuletzt Kenntnisse und Fähigkeiten, insbesondere „spirituelle und pastorale Bildung“ und „allgemein menschliche Bildung“, aber natürlich auch konkrete Kenntnisse und Fähigkeiten. Am Schluss der theologischen Einleitung ihres Beschlusses betont die Synode, dass „Mitverantwortung ... durch konkrete Mitarbeit“ wächst, weil sie „erst im konkreten Tun erlebt“ wird. Das ist eine Wahrheit, die man so manchem ins Stammbuch schreiben möchte.

Wir sollten die Worte der Synode als Mahnung annehmen, auch unser eigenes Tun immer wieder kritisch zu betrachten. Erfolgreiche Gremienarbeit hängt von elementaren Voraussetzungen ab. Ich nenne einige als Fragen: Gibt es einen realistischen, d.h. einen grundsätzlich festen, aber in begründeten Einzelfällen auch flexiblen Rhythmus in der Arbeit des Pfarrgemeinderates? Werden seine Sitzungen von der oder dem Vorsitzenden bzw. vom Vorstand gewissenhaft vorbereitet? Ist die Tagesordnung präzise formuliert und realistisch in ihrer impliziten Zeitplanung? Werden die sogenannten Formalia korrekt eingehalten, d.h. wird rechtzeitig und mit Angabe der Tagesordnung eingeladen? Wer die Mitglieder des Pfarrgemeinderates nicht ernst nimmt, darf nicht überrascht sein, wenn diese den Pfarrgemeinderat oder ihren Vorstand nicht ernst nehmen. Wie gehen wir mit dem Protokoll und dem Protokollanten oder der Protokollantin um? Ein gutes Protokoll ist eine große Leistung. Darum können dies auch nur ganz wenige auf Anhieb, und manche lernen es nie. Denn erstens muss ein Protokoll zumindest das Wesentliche richtig erfassen und zutreffend wiedergeben; zweitens dient es nicht nur als Erinnerungsstütze für den Vorstand, sondern es muss auch eine Information für die Gemeinde sein, die zugleich für den Sinn eines Pfarrgemeinderates wirbt und möglichst viele an dessen Arbeit Anteil nehmen lässt.

Partnerschaftliches Verhalten gehört zu den Grundbedingungen erfolgreicher Rätearbeit. Das gilt zunächst einmal für die in den Pfarrgemeinderat gewählten Laien. Räte werden nicht zuletzt deshalb als ein Gremium bezeichnet, weil sich in ihm unterschiedliche Lebensalter, Bildungsgänge, Einsichten, Erfahrungen und Auffassungen versammeln, die dort zusammengeführt und so gut wie möglich miteinander verbunden werden können. Die soziale und kulturelle Spannweite unserer Gemeinden wird größer, nicht nur in Diasporagemeinden. Damit hat sich das ZdK in seiner Vollversammlung zum Auftakt unseres diesjährigen Katholikentages in Osnabrück beschäftigt. Auf die entsprechende Veröffentlichung unseres Arbeitskreises für pastorale Grundfragen möchte ich sie ausdrücklich hinweisen. Die Gemeinde und ihre Räte sollten durch eine differenziertere Herangehensweise insbesondere junge Menschen in die Verantwortung hineinnehmen und ihnen dabei ein Gefühl dafür vermittelen, dass Verlässlichkeit und Belastbarkeit hohe Werte sind - höhere Werte jedenfalls als die populäre Meinung, wenn man schon etwas tue, müsse es doch wenigstens Spaß machen. Nicht zuletzt sind unsere Räte eine Chance für Frauen, ihre Lebensklugheit und ihre Begabungen für das Leben der Kirche fruchtbar zu machen. Dass diese Chance nicht ausreicht – weder für die Frauen, noch für die Kirche – will ich hier gleichwohl anmerken. Aber was wäre jetzt schon unser kirchliches Leben in Deutschland ohne das Engagement von Frauen in unseren Räten und Verbänden.

Ein besonderer Punkt des notwendigen partnerschaftlichen Verhaltens ist natürlich die Beziehung zwischen Pfarrer und Pfarrgemeinderat. Hier gilt für die Pfarrer, was auch sonst im Leben zutrifft: Es gibt halt so’ne und solche. Generell kann man sagen: Priester wurden und werden als Einzelkämpfer ausgebildet. Partnerschaftliches Verhalten ist kein Lehr- oder Übungsgegenstand – weder an der Fakultät noch im Seminar. Daher müssen sie sich daran gewöhnen, und man muss sie dafür gewinnen. Partnerschaftliches Verhalten lernt sich ohnehin am besten in der Praxis. Wer es allerdings nach einer Weile immer noch nicht begriffen hat, dass er sich damit selbst den größten Gefallen erweist, dem ist nur schwer zu helfen. Was mir Sorge macht, ist die Beobachtung, dass es unter jüngeren Priestern einige gibt, die es auch nicht lernen wollen, weil sie meinen, dann wären sie fromm, präkonziliar und papsttreu. Denen sollten ältere Mitbrüder kräftig die Leviten lesen. Unabhängig von einer solchen zeitgeistlichen Verirrung gab und gibt es bei Pfarrern, aber auch bei aktiven Laien, eine Tendenz zur Kirchturmpolitik. Damit meine ich die im Andrang der täglichen Arbeit ja auch durchaus nachvollziehbare Neigung, die Kirche einzuteilen, in die eigene Gemeinde einerseits und den Rest von Kirche und Welt andererseits. Unvergesslich ist mir jener Pfarrer geblieben, der einmal im Kreis von Priestern und Laien stolz erzählte, wie er den ihn besuchenden Seelsorgeamtsleiter in seinen Keller führte, um ihm dort jene Kiste neben dem Ofen zu zeigen, in die er die von eben jenem Seelsorgeamt kommenden Anweisungen und Ratschläge unmittelbar nach ihrem Eintreffen abzulegen pflegte. Wie der Seelsorgeamtsleiter darauf reagierte, erzählte er nicht. Meine letzte Erfahrung dieser Art war jener Pfarrer in Saarbrücken, der 2006 zeitgleich zum Abschlussgottesdienst des Katholikentages in eben jener Stadt in seiner Pfarrei ein Gemeindefest veranstaltete.

Ich frage mich, was sein Pfarrgemeinderat dazu gesagt hat. Und ich frage Sie, zumindest rhetorisch, was Sie in einer solchen Situation gesagt und getan hätten. Sinnvoller und wichtiger scheint es mir, statt dessen fragen, was die Pfarrgemeinderäte des Bistums Eichstätt zum Gelingen des 97. Deutschen Katholikentages in Osnabrück beigetragen haben, z. B. indem sie sich darum kümmerten, dass Gemeindeglieder – vielleicht sogar Mitglieder des Pfarrgemeinderates – zu diesem Ereignis hinfuhren. Diese Frage stelle ich nicht ohne Grund. In Osnabrück waren es aus dem ganzen Bistum Eichstätt   mit seinen insgesamt 435 000 Katholiken nur 79 Teilnehmer. Zum Vergleich nenne ich Ihnen die Teilnehmerzahlen aus drei ostdeutschen Diasporabistümern, ohne dass ich diese als sonderlich eindrucksvoll oder gar vorbildlich betrachte: Aus dem Bistum Dresden-Meißen mit 145 000 Katholiken kamen 294; aus dem Bistum Erfurt mit 162 000 Katholiken kamen 202; aus dem Bistum Magdeburg mit 102 000 Katholiken kamen 227. Ich hoffe, es tröstet Sie nicht, wenn ich hinzufüge, dass die Teilnahme der bayerischen Katholiken an Katholikentagen seit vielen Jahrzehnten notorisch schlecht ist, jedenfalls, wenn das Ereignis nicht in nächster Nähe ist. Im Jahre 2010 wird in München der zweite Ökumenische Kirchentag stattfinden. Das ZdK hat mit seinem Partner, dem Deutschen Evangelischen Kirchentag, darum gerungen, dass nach dem 1.ÖKT im traditionell protestantischen Berlin der 2. ÖKT im traditionell katholischen München stattfindet. Ich hoffe, unsere evangelischen Geschwister müssen für den Ökumenischen Kirchentag 2010 in München nicht allein die Verantwortung tragen. Der nächste Katholikentag wird übrigens 2012 im nicht weit entfernten Mannheim sein.

Ganz gewiss kann übergemeindlichen Aufgaben nicht das Hauptaugenmerk eines Pfarrgemeinderates gelten. Natürlich muss das Leben in der eigenen Gemeinde der Schwerpunkt der Arbeit sein. Hier spreche ich auch aus eigener Erfahrung – aus meinen Erfahrungen als langjähriges Mitglied eines Pfarrgemeinderates und aus den Erfahrungen meiner Frau, die in zwei sehr verschiedenen Gemeinden Pfarrgemeinderatsvorsitzende war. Es ist daher keine Geringschätzung ihres Einsatzes für eine lebendige Pfarrgemeinde, wenn ich Sie so eindringlich auf ihre Verantwortung für den gesamtkirchlichen Zusammenhang hinweise. Längerfristig kann keine Gemeinde für sich allein die Frohe Botschaft weiter tragen. In diesem Teil Deutschlands mag diese Notwendigkeit noch nicht so offenkundig sein wie in den Gemeinden, die ich näher kenne, aber das ist nur ein Unterschied im Grad und nicht im Grundsatz. Und der graduelle Unterschied wird ständig geringer. Wir vergeben Chancen und Möglichkeiten, wenn wir meinen, wir können uns auf unsere eigene Gemeinde beschränken und uns dort selbst genug sein. Eine solche Haltung wäre auch nicht christlich und nicht katholisch.

Auch die strukturellen Veränderungen in den deutschen Bistümern können nicht erfolgreich sein, wenn sie nicht von einem Bewusstsein der Mitverantwortung für das Leben unserer Kirche überall im Land getragen werden. Dass sie ohne Mittun und Einbeziehen der Laien nicht gelingen können, ist ohnehin unbestreitbar. Der Bischof von Erfurt, Joachim Wanke, hat unlängst das ernste Wort gesagt: „Die katholische Kirche in Deutschland wird eine Kirche der Ehrenamtlichkeit sein, oder sie wird nicht mehr sein.“ Das müssen sich alle im Volk Gottes ins Stammbuch schreiben und entsprechend handeln.

Vierzig Jahre sind nicht viel in der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche. Für uns selbst, aber auch für unser Land und seine Gesellschaft waren es ereignisreiche Jahrzehnte und eine Zeit voller Wandel – zum Besseren wie zum Schlechteren. Die Kirche, so hat uns das Konzil gesagt, ist auf dem Pilgerweg durch die Geschichte zu Gott und seinem Reich. Als Volk Gottes sind wir gemeinsam Kirche und gemeinsam auf dem Weg. Mit Rat und Tat haben die Pfarrgemeinderäte im Bistum Eichstätt und überall in Deutschland seit ihrer Gründung mitgeholfen, dass sie selbst und ihre Gemeinden auf diesem Weg geblieben sind. Und sie haben die Veränderungen mitgetragen und mitgestaltet, die notwendig wurden, damit die Kirche in unserem Land weiterhin ihren Dienst tun kann. In den Sorgen des Alltags mag der Wert dieses Dienstes verdunkelt sein. Mühen und Misserfolge verführen zur Resignation. Um so notwendiger ist es, gelegentlich innezuhalten und darüber nachzudenken, woher wir gekommen sind und warum wir diesen Weg gehen. Ich hoffe, dass Sie die gemeinsame Feier dieses Jubiläums in ihrer Arbeit stärkt und ermutigt. Für die vor uns liegende Zeit wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen Gottes gute Begleitung.