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Krieg – „ein furchtbares Handwerk“

Franz Harrers Tagebuch ist ein aufrüttelndes Zeitdokument / Priesterweihe 1919 in Eichstätt

Am 10. Mai 1915 hatte der Regen eingesetzt. Das Wetter passte zu dem Schlachtentag. Eine fürchterliche Schlacht war im Gange (...) Im Sturme kam ich an Ochsenkühn von Berngau vorüber, der einen schweren Bauchschuss bekommen hatte. Ich neigte mich zu ihm nieder. Er erkannte mich. Eben trugen ihn die Sanitäter zurück. Er nahm von mir Abschied. In der einen Hand hielt er den Rosenkranz, die andere streckte er mir entgegen und sprach: ‘Franz, ich muss sterben, mich hat es fürchterlich getroffen’. Ich drückte ihm schnell noch die Hand, es war ein Abschied für dieses Leben.“

Mehrere Monate kämpfte der Eichstätter Seminarist Franz Harrer damals schon an der Front. Er sollte noch viele Kameraden sterben sehen, ehe er 1918 ins Collegium Willibaldinum zurückkehrte und 1919 zum Priester geweiht wurde. Mit einigen Jahren Abstand schrieb Harrer zwischen 1921 und 1924 als junger Geistlicher auf dem Habsberg seine Kriegserlebnisse im Ersten Weltkrieg nieder. Die Chronik mit Originalfotos und Skizzen von Kriegsschauplätzen wird noch heute von Harrers Verwandten in seinem Geburtsort Kippenwang aufbewahrt. Auf dem ledernen Einband hat der 1964 verstorbene Geistliche acht Patronen befestigt, die ihn in den Schlachten um Haaresbreite verfehlten. Harrers Erzählungen, die sich auf fast 300 maschinengeschriebene Seiten erstrecken, machen deutlich: Der 26-Jährige, der im Herbst 1914 mit drei Studienkameraden aus dem Seminar zum Exerzieren in der Garnisonsstadt Ingolstadt antrat und im Laufe des Kriegs bis zum Oberleutnant befördert wurde, hegte stets hohe Achtung fürs Militär und zog in den Krieg mit der Überzeugung, seinem Vaterland einen Dienst zu erweisen. Ein Draufgänger, der jedes Risiko, dem er seine Truppe aussetzte, auch selbst einging und der nach Verwundungen unbeirrt an die Front zurückkehrte. Und dennoch kommen in seinen Zeilen auch immer wieder die Schrecken und die Sinnlosigkeit des Kriegs zum Ausdruck.

Erste Station für Harrer ist Belgien, Ende Februar 1915. In seinem Tagebuch heißt es: „Die Sache scheint allmählich ernst zu werden, der Gesang ist verstummt.“ Sein ältester Bruder Mathias ist zu diesem Zeitpunkt bereits gefallen. Bruder Josef besucht ihn wenig später im Schützengraben. Franz weiß noch nicht, dass es ihre letzte Begegnung ist.

In der Hölle Verduns

Beklemmend erscheint es, dass die jungen Soldaten nicht einmal im Angesicht des Todes das Lachen verlernten. So berichtet Harrer im Tagebuch vom Aprilscherz eines Freundes: „Nachts weckt mich Eder und ruft: Da sieh – ein Zeppelin! Ich lunzte aus meinem Loche heraus und sah nichts!“

Schwärmt Harrer anfangs noch von gewonnenen Feldzügen, so macht er wenig später, nun in Galizien stationiert, deutlich: „Ein furchtbares Handwerk ist doch der Krieg, wenn sich Menschen gegenseitig zerfleischen, die sich niemals gekannt und sich nie etwas zuleide getan haben.“

In Grafenwöhr durchläuft Harrer die Offiziersausbildung, dann geht es nach Serbien, Ungarn und schließlich, im Frühjahr 1916, Richtung Verdun: „Schwere, wohl die schwersten Tage während des gesamten Krieges sollten kommen“, notiert er. In den mühsam ausgehobenen Laufgräben „musste man über die Toten hinwegschreiten, die in der Grabensohle in den Morast hineingesunken waren und die man nicht mehr herausholen konnte. Wenn so manche Mutter ihr totes Kind geschaut hätte!“ Entrüstet schildert Harrer, wie der preussische Kronprinz bei einem Besuch in Sedan mit dem Auto an seiner Truppe vorbeifährt: „Wir grüßten und er warf eine Handvoll Zigaretten aus seinem Auto – ein Knochen für einen hungrigen Hund.“ Wenig später verliert Harrer seinen dritten Bruder an der Front.

Kaffee für den Feind

Es geht weiter nach Rumänien. Die Aberwitzigkeit des Krieges kommt an einer Stelle des Tagebuchs besonders zum Ausdruck. Einem feindlichen Rumänen, der den Rückzug seiner Truppe verpasst hat und völlig verängstigt gefangen genommen wird, machen Harrer und seine Leute erst einmal einen warmen Kaffee. Wieder an der Westfront, in Flandern, erlebt er den lautlosen Tod. Englische Flieger werfen Giftgas-Minen ab, die binnen Minuten töten. „So etwas Schreckliches hab ich im ganzen Krieg nicht erlebt“, notiert der Kippenwanger.

Im letzten Kriegsjahr, als die Amerikaner bereits eingegriffen haben, spiegeln Harrers Berichte Resignation wider: „Bei uns war Mangel an allem.“ Am 9. November dankt Kaiser Wilhelm II. ab – Revolution! Franz Harrer fährt am selben Tag mit dem Zug nach Eichstätt und wird wegen seiner militärischen Abzeichen angepöbelt.

Am 11. Januar 1919 „zog ich den Waffenrock aus“, schreibt er, denn „niemals während des langen Krieges war mir der Gedanke an das Priestertum abhanden gekommen“. Harrer war zwölf Jahre lang Pfarrer in Tagmersheim und 23 Jahre Seelsorger von Töging.

Gabi Gess, Kirchenzeitung Nr. 30 vom 27. Juli 2014

Franz Harrers Tagebuch ist auch Bestandteil einer geplanten Ausstellung im Pfarrheim Laibstadt. Sie wird an den drei Sonntagen um den Volkstrauertag zu sehen sein.

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