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Hiobs Schrei in der Gegenwart

Aschermittwoch der Künstler und Publizisten 2014 in Neumarkt

Zum sechsten Aschermittwoch der Künstler und Publizisten hatte Bischof Dr. Gregor Maria Hanke OSB heuer nach Neumarkt eingeladen. Wie in den Vorjahren begann die Begegnung mit einer Wort-Gottes-Feier in der Pfarrkirche Zu Unserer Lieben Frau. Die predigt hielt Generalvikar Dompropst Isidor Vollnhals (siehe Kasten unten), den Gottesdienstbesuchern wurde das Aschekreuz aufgelegt.

Im Festsaal der benachbarten Residenz hielt dann der Professor für Didaktik des katholischen Religionsunterrichts und Religionspädagogik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Augsburg, Prof. Dr. Georg Langenhorst, einen Vortrag mit dem Titel „Hiobs Schrei in die Gegenwart. Die Frage nach Gott im Leid angesichts der Weltkriege“.

Eine hiob-reife Zeit

Die „Ur-Katastrophe“ des 20. Jahrhunderts, der Erste Weltkrieg, dessen Beginn in diesem Jahr genau 100 Jahre zurückliegt, so erklärte der Referent, bildete die Folie für vielfältiges, stilbildendes, ja epochemachendes künstlerisches Schaffen. Langenhorst verwies etwa auf die Künstler des frühen Expressionismus in Literatur, wie bildender Kunst. Sie hätten sich, dank ihrer sensiblen Wahrnehmung schon am Beginn des Jahrhunderts als Seismographen der gesellschaftlichen Umbrüche in „hiob-reifer“ Zeit erwiesen und in den Wirren der folgenden Kriegskatastrophe dann als gnadenlos wahre Dokumentaristen.

Langenhorst stellte den alttestamentlichen Hiob, „der nie existierte, aber immer lebt“, und sein unerhörtes Schicksal, fesselnd dar und weckte Neugier auf dieses über 500 Jahre hin entstandene, „faszinierende Stück Weltliteratur auf höchstem sprachlichem Niveau“. Die Geschichte vom demütigen Dulder der zum Ankläger wird, habe 3.000 Jahre Geistesgeschichte beeinflusst, an ihr hätten sich „die wachen Geister der Theologie, der Philosophie und der Kunst entzündet“ und ihn „an unsere Zeit herangeschrieben – was der Literaturkenner Langenhorst an einigen lyrischen Beispielen, etwa von Johannes R. Becher oder Nelly Sachs, eindrucksvoll belegte. Bis heute bündelten sich in der Hiob-Figur die Fragen des leidenden Menschen im Angesicht von Unrecht, Gewalt und Tod, in Hiob artikuliere sich der  Schrei nach Gott.

Während Intellektuelle und Künstler der Zwischenkriegszeit sowohl mit Gott gerechnet, als auch im erlebten Verlassensein mit ihm gerechnet hätten, setzen sich die Menschen unserer Tage nur mehr selten existentiell mit Gott auseinander, sagte Langenhorst: „Die Gottpräsenz hat sich gewandelt.“ Einem guten Brauch folgend kam man im Anschluss an den mit viel Beifall bedachten Vortrag bei Wasser, Wein und Brot ins Gespräch miteinander.

Michael Heberling, Kirchenzeitung Nr. 11 vom 16. März 2014

Auszug aus der Aschermittwochspredigt

Trotz politischem Aschermittwoch, mit Asche streuen auf das Haupt des politischen Gegners, ist das – noch – im Bewusstsein der Öffentlichkeit: Aschermittwoch als Beginn der 40-tägigen Fastenzeit!

Nichts Neues unter der Sonne – so erfahren wir, wenn wir in diesen ersten Tagen der Fastenzeit aus dem Propheten Jesaja lesen (Jes 58,4): „Seht, an euren Fasttagen macht ihr Geschäfte und treibt alle eure Arbeiter zur Arbeit an. Obwohl ihr fastet, gibt es Streit und Zank und ihr schlagt zu mit roher Gewalt. So wie ihr jetzt fastet, verschafft ihr eurer Stimme droben kein Gehör.“

Die gleiche harte Kritik, die der Prophet damals der Gesellschaft vorhält, wird uns tagtäglich ins Haus geliefert. Kritik an unserem Lebensstil, am persönlichen und am öffentlich-gesellschaftlichen. Die Propheten kommen heute nicht mehr zuerst aus den Kirchen. Zu den „kleinen Propheten“ von außerhalb zählt für viele das Buch des Sozialpsychologen Harald Welzer „Selbst Denken. Eine Anleitung zum Widerstand.“ Er beschreibt darin eindrücklich, wie unsere natürlichen Ressourcen angesichts einer auf Wachstum programmierten Wirtschaft zur Neige gehen. Sein Fazit: damit es langfristig möglichst vielen Menschen gut geht, muss Verzicht Teil des Lebensstils werden. Konkret heißt das für Welzer: reparieren statt wegwerfen, teilen statt allein kaufen und immer überlegen: brauche ich das wirklich? Doch: bewegt das wirklich die Menschen in unserem Land in der nötigen Dringlichkeit? „Brot und Spiele“, Wohlstand und Vergnügen: dieses Motto aus der Spätphase des Römischen Reiches scheint auch heute zu gelten, inszeniert und befeuert vom medialen Aufmerksamkeits-Kampf um Einschaltquoten und Nutzerprofile. In immer dichterer Folge überspülen Erregungswellen das Land: Menschenopfer, Blitzrücktritte sind es, nach denen die hysterische Republik schreit.

Menschenopfer gibt es „von Anfang an“: Kain und Abel als der Ur-Sündenfall des Brudermordes, das Habenwollen tötet bis heute! Gewalt entspricht nicht dem Willen des Schöpfers. Deshalb bekommt Kain ein Mal auf die Stirn gezeichnet. Das Kains-Zeichen: es ist das Mal der Menschheit von Anfang an.

Heute am Aschermittwoch setzen wir ein anderes Zeichen. Das Kainsmal wird überdeckt durch das Zeichen der Asche. Es ist, so die alttestamentlichen Propheten, ein Zeichen der Umkehr, der Absage an jede Form von Gewalt.

Vom Kains-Zeichen zum Aschezeichen, vom Menschenopfer zum Lebensopfer Jesu Christi: damit wird auch von jedem von uns die gleiche Annahme unserer geschöpflichen Endlichkeit verlangt: „Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehren wirst.“ Doch: der den Menschen aus Staub gebildet hat, er wird den Menschen nicht sich ins Nichts auflösen lassen. „Auferstehung nach dem Vorbild des auferstandenen Christus“ nennt das unser Glaube.“

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