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Herztherapie der besonderen Art

Besuch bei einem Klinikseelsorger in der Kardiologie des Klinikums Nürnberg-Süd

In einer Nürnberger Buchhandlung hat sich Thomas Schrollinger unlängst ein Andachtsbüchlein für junge Leute gekauft. Ins Auge gefallen war es ihm aufgrund des ungewöhnlichen Titels „Herzschrittmacher“. Denn um das Herz dreht sich auch sein berufliches Wirken. Als Seelsorger am Klinikum Nürnberg-Süd ist der 45-jährige Pastoralreferent schwerpunktmäßig auf der kardiologischen Station im Einsatz und sitzt täglich am Bett verängstigter Patienten, deren „innerer Motor“ ins Stocken geraten ist. Klinikseelsorge von Mensch zu Mensch ist für Schrollinger „eine klassische Form von Pastoral“. Und nachdem es in der Seelsorge generell darum gehe, „das Herz des Menschen zu erreichen“, ist es für den Theologen auch in dieser Hinsicht etwas Besonderes, auf der Herzstation des größten kommunalen Krankenhauses in ganz Europa zu arbeiten.

„Geburten, Sterbefälle, Seelsorge“, steht auf der Glastür zu einem Verwaltungstrakt des Krankenkauses, in dem sich auch die Büros der Klinikseelsorger befinden. So wie seine Kollegen, Pfarrer Bruno Fischer und die Pastoralreferentinnen Annemarie Maurer und Agnes Meier, ist Schrollinger kein Angestellter des Klinikums, sondern steht im Dienst der Diözese Eichstätt. Vor sieben Jahren kam der damalige Nürnberger Stadtjugendseelsorger ans Klinikum Nürnberg-Süd und wurde dort speziell der Kardiologie zugeteilt, wo er vier Stationen betreut. Er ist froh, dass er nicht ständig zwischen verschiedenen Fachkliniken hin- und herwechseln muss, sondern in seine Arbeit eine gewisse Kontinuität legen kann, gerade was den Kontakt zu Schwestern, Pflegern und Ärzten betrifft. Denn für das Personal wollen Schrollinger und seine Kollegen vom Seelsorgeteam ebenso Ansprechpartner sein, wie für die Patienten – auch wenn das Personal häufig wechsle, „was wahrscheinlich in jeder Großklinik so ist“. Eher unwahrscheinlich sei es für ihn als Klinikseelsorger auch, einen Patienten während einer Behandlung zweimal zu treffen, betrage doch die durchschnittliche Verweildauer nur sechs Tage. „Man muss sich eingestehen, dass man die Menschen nur an einem Punkt im Leben begleiten kann“, meint er selbstkritisch, „was aus den Anstößen geworden ist, erfährt man nicht mehr“.

Mit Laptop im Bett

„Ich muss was ändern in meinem Leben!“, diesen Stoßseufzer hört Schrollinger mitunter von Herzpatienten. Andere hingegen schalten nach überstandener Behandlung gleich wieder den Turbo ein. Auch wenn es natürlich keine Krankheitsgeschichte der anderen gleiche („Wir hatten auch schon Marathonläufer hier“) und man keine Pauschalurteile fällen dürfe, so seien doch auffallend oft Leute von Herzproblemen betroffen, „die in ihrem Leben ziemlich unter Druck stehen“ und sich großem Stress aussetzen, bis es Herz und Kreislauf einfach zu viel wird. Vielen mache so eine Zwangspause einen Strich durch die Rechnung, weiß Schrollinger und berichtet von Patienten, die per Laptop vom Bett aus ihre Geschäfte weiterführen. Ihren Herzinfarkt täten sie lakonisch ab mit der Bemerkung: „So, jetzt gehör’ ich halt auch zum Club. Beruflicher Erfolg hat eben seinen Preis“. Und wenn erneut die Pumpe schwächle, dann müsse halt wieder der Herzkatheter her. Solchen Patienten dauerten auch die notwendigen Untersuchungen viel zu lang und ihren Unmut gäben sie ans Personal weiter („da muss doch jetzt endlich was vorangehen!“).

Als Klinikseelsorger kann Schrollinger hier ausgleichend wirken, auch wenn er „nicht mit der Brechstange“ ins Zimmer kommen und die Patienten gleich auf ihre Lebensweise hinweisen will. „Ich frage erst mal nach den Rahmenbedingungen: Wie lange sind Sie schon hier? Was sagen denn die Ärzte? Meistens fängt der Patient dann von sich aus zu erzählen an“. Über Gefühle zu reden, das falle aber oft schwer. Dem Klinikseelsorger fällt auf, „dass viele Herz-patienten eine Art Schutzwand um sich aufbauen“ – so wie auch die Herzwand vor einem Infarkt immer dicker werde. „Das Herz“, sagt er, „ist ein sehr bildhaftes Organ“. Weil es als Kern des menschlichen Körpers gilt, sei eine Erkrankung am Herzen von Haus aus „angstbesetzt“. Schrollinger erzählt von einem 16-jährigen Patienten mit implantiertem Defibrillator, der vor Herzstillstand bewahrt. Weil das Gerät defekt war, sandte es unkontrolliert Stromstöße aus. „Er hatte dadurch irre Schmerzen“, erzählt Schrollinger.

Aber noch mehr Angst habe dem Jugendlichen der bevorstehende Austausch des Gerätes gemacht. Denn er wusste, dass zum Testen das Herz gleichsam ausgeschaltet werden musste – „wie ein Automotor“.

Oft wird Schrollinger von den Pflegekräften auch gerufen, wenn Angehörige in ihrer Angst Beistand brauchen – besonders wenn alle medizinischen Mittel ausgeschöpft sind und die Hoffnung schwindet. Junge Leute im Alter seiner Kinder oder Menschen in den besten Jahren sterben zu sehen, „das berührt einen schon“, sagt Schrollinger.

Neue Ideen

Der Chefarzt der Kardiologie am Klinikum Nürnberg-Süd, Professor Dr. Matthias Pauschinger, sieht die Klinikseelsorge als wichtige Ergänzung der ärztlichen und pflegerischen Dienste. „Wir müssen uns so auf die Erkrankung konzentrieren, dass für Dinge, die darüber hinausgehen, keine Zeit bleibt“.

Während er dies erläutert, blickt sich eine ältere Frau im Klinikflur hilfesuchend um. Sie soll ihren Mann von der Dialyse abholen und ist versehentlich in der Kardiologie gelandet, wo ihr der Professor geduldig den richtigen Weg erklärt.

Das Klinikum Nürnberg-Süd sei wie „eine Stadt im Kleinen“, meint Klinikseelsorger Schrollinger, „gerade für ältere Leute ist es schwer, dort zurechtzukommen“. Leicht zu finden ist jedoch das neueste Angebot, das er und seine Kollegen machen: Die „Seelsorge im Blumenladen“ – mitten in der Eingangshalle des Klinikums. In dem unlängst frei gewordenen Geschäftsraum wird statt Floristik nun stundenweise Gesprächsbereitschaft geboten. Nur ein paar Schritte weiter befindet sich die Krankenhauskapelle. Der Architekt des vor 20 Jahren eingeweihten Klinikums Nürnberg-Süd hatte sie ursprünglich gar nicht als Gotteshaus, sondern als Mehrzweckraum eingeplant. „Aber man erkannte sehr schnell, dass ein Gebetsraum notwendig ist“, berichtet Schrollinger. Die nachträglich eingezogene Glaswand in unterschiedlichen Blautönen, die vom Dunklen ins Helle übergehen, symbolisieren die Zellstruktur des Körpers. In einer Ecke des Raums befindet sich eine hölzerne Kiste, die mehrere Gebetsteppiche enthält. „Wir hatten festgestellt, dass immer wieder Bettlaken in der Kapelle lagen“, erläutert Schrollinger.

Muslimische Patienten hatten sie aus ihren Krankenzimmern mit in die Kapelle gebracht, um dort zu beten. Dass jetzt richtige Gebetsteppiche zur Verfügung stünden, dafür seien sie sehr dankbar, freut sich der Theologe über das einträchtige Miteinander in der christlichen Kapelle. Er sperrt die Tür auf zur kleinen Sakristei, die an die Kapelle angrenzt und zeigt die Übertragungsanlage, mit der die Patienten per Hörkanal die Gottesdienste mitfeiern können. „Wir sind ein Akutkrankenhaus“, verweist er darauf, dass viele Patienten ihr Bett nicht verlassen können.

Beim Haupteingang des Klinikums erstreckt sich, gleich hinter den Bushaltestellen, das neu errichtete Herz-Gefäß-Zentrum, in dem ambulante Untersuchungen einem möglichen stationären Aufenthalt vorausgehen. „Wir wollen versuchen, bereits dort in Erstkontakt zu Patienten zu kommen, schildert Schrollinger eine neue Idee der Klinikseelsorge. Ziel sei es, dass die Kranken frühzeitig eine vertraute Bezugsperson fänden, an die sie sich auf den folgenden Behandlungsetappen wenden können. Das sei natürlich sehr personalintensiv, weiß Schrollinger, „da zerbrechen wir uns gerade die Köpfe drüber“.

Neu ist auch eine Burnout-Prophylaxe für Klinikmitarbeiter, die Schrollinger ab Februar anbietet. Als Seelsorger möchte er dabei den Akzent auf Fragen legen wie: Was raubt mir im Alltag die Kraft? Und wo liegen meine Kraftquellen? Dass die Sorge ums Personal wichtig ist, erfährt er immer wieder bei Tür- und Angel-Gesprächen mit den Pflegekräften: „Ich frag die Schwester, ob sie mir jemand für ein Seelsorgegespräch nennen könnte, und sie antwortet flapsig: „Ja – mich!“

Gabi Gess, Kirchenzeitung Nr. 6 vom 9. Februar 2014