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Der Pfarrgarten als Klassenzimmer

Gaimersheimer Mittelschüler erleben „Kirche im Zelt“ / Testlauf im Bistum Eichstätt

Okay, Leute, dann fangen wir an“, sagt der Typ im grünen Sweatshirt zu den Schülerinnen und Schülern der 6c, die ihn mit einer Mischung aus Skepsis und Spannung mustern. „Ich bin der Christoph, 34 Jahre alt und Jugendseelsorger. Wenn ich ein bisschen Freizeit hab, dann mach ich gerne Musik.“ Wenige Meter entfernt stellt sich gerade ein weiterer Jugendpfarrer, Bernhard Kroll, der 6d vor. Beide Klassen sitzen auf Klappbänken unter einem Dach aus weißer Plane. „Kirche im Zelt“ lautet die Devise im Gaimersheimer Pfarrgarten, der für etwa 90 Sechstklässler der örtlichen Mittelschule – eingeteilt in zwei Gruppen – jeweils drei Tage lang zum Klassenzimmer geworden ist. Ein in der Diözese Eichstätt bislang Projekt, dessen Zukunft noch offen ist.

„Mit der Schule zusammenzuarbeiten ist unerlässlich, gerade in Zeiten der Ganztagsschule“, meint Hannah Lehner. Die langjährige Diözesanvorsitzende der Katholischen Landjugend im Bistum Eichstätt hat nach ihrem Lehramts-Studium vorübergehend eine Projektstelle im Bischöflichen Jugendamt Eichstätt inne. Ihre Hauptaufgabe ist es, gemeinsam mit Pastoralreferent Thomas Bösl und einem festen Stamm Ehrenamtlicher „Tage der Orientierung“ (TdO) für Schulklassen anzubieten (siehe Kasten unten). An ihrem Handgelenk baumelt das gelbe TdO-Bändchen, das alle Teilnehmer am Ende der Besinnungstage er-halten und oft lange tragen – „Gott segne und behüte dich“, steht darauf.

„Kirche im Zelt“ knüpfe an das Konzept der TdO an, erläutertLehner. Der Schwerpunkt liege auf der Förderung der Klassengemeinschaft und des Zusammengehörigkeitsgefühls. Nur dass die Schüler und ihre Betreuer dafür nicht extra in ein Jugendhaus oder eine Herberge reisen, sondern am Schulort bleiben. Außerdem werden, anders als bei den TdO, Jugendseelsorger mit einbezogen.

Die Idee zu „Kirche im Zelt“ hatte Pfarrer Franz Glötzner schon vor einigen Jahren vom Katholikentag in Osnabrück mitgebracht. Der Schelldorfer Jugendpfleger Wolfgang Kronauer erarbeitete ein Konzept, das nun erstmals in die Praxis umgesetzt wurde und bei dem er selbst mit von der Partie war. Finanziert wurde das Projekt durch den Fond für Kommmunale Jugendarbeit des Landratsamts Eichstätt.

Die Gaimersheimer Mittelschule bot sich für die Premiere besonders an, weil es dort eine feste Ansprechpartnerin für Schulpastoral gibt: Religionslehrerin Martha Schiener. „Für uns ist es toll, dass die Martha dabei ist“, meint Hannah Lehner. Denn während der gemeinsamen Tage, in denen die Betreuer ein Vertrauensverhältnis zu den Schülern aufbauten, seien „schon auch Probleme zur Sprache ge-kommen, die wir in dieser kurzen Zeit nicht lösen können“, wie etwa Unstimmigkeiten innerhalb der Klassengemeinschaft oder Belastendes daheim. „Es gibt so viele Gespräche, die sich sonst nicht ergeben würden und die auch in die Tiefe gehen“, bestätigt Schiener. Und Lehner ergänzt, dass manche Schüler daheim wenig Gelegenheit hätten, sich auszusprechen, weil ihre Eltern beruflich sehr eingespannt seien. Eine Schülerin etwa habe erzählt, dass ihr Vater gleich nach Feierabend zu seinem Zweitjob aufbreche – bis Mitternacht.

SMS von Gott

Gleichzeitig erweist sich bei „Kirche im Zelt“ aber auch, wie sehr die Pubertierenden ihre Eltern noch brauchen. „Toll, dass sie das so offen zugeben, meint Lehner. Auf Zetteln sollten die Sechstklässler die Frage beantworten: „Wen rufst Du auf dem Handy an, wenn du traurig bist oder es dir schlecht geht?“ Die meisten schrieben: „Meine Mama, meinen Papa.“

Das Handy dient Jugendseelsorger Witczak auch als Einstieg in die Gesprächsrunde:„Habt Ihr gestern eine SMS bekommen?“, fragt er lächelnd in die Runde und weiß auch schon den Inhalt der Nachricht: „Schön dass es dich gibt. Melde dich, wenn du Hilfe brauchst. Liebe Grüße von Gott!“ Klar habe nicht Gott diese SMS verschickt, „sondern die Hannah“, aber sie sei trotzdem als Einladung von Gott zu verstehen. Umgekehrt könnten die Schüler darauf vertrauen, dass ihre Sorgen, Wünsche und Gedanken bei Gott ankämen, so wie sie auch beim Versenden einer SMS oder einer Mail darauf vertrauten, dass die ihren Weg durchs Netz finde.

Zusammenhalt als Ziel

Etwa 20 Prozent der Schüler kenne er von Veranstaltungen für Firmlinge, meint der frisch berufene Diözesanjugendpfarrer Witczak, dessen Dienstsitz derzeit noch die Jugendstelle Schelldorf ist. Bei „Kirche im Zelt“ treffe er aber auch Jugendliche, „die sonst über die Jugendarbeit nicht zu erreichen sind“.

Bernhard Kroll, Stadtjugendseelsorger in Ingolstadt, beobachtet lächelnd, wie sich die 6d mit vereinten Kräften am Kranspiel versucht. Acht Holzklötze müssen dabei aufeinandergetürmt werden – mittels eines Hakens, der von allen Schülern gleichzeitig gesteuert wird. „Hier gehts auch darum, sich auf den anderen einzulassen“, stellt Kroll fest, während ein lauter Triumphschrei ertönt: Aufgabe erfolgreich gelöst!

Vom „Schülersalat“ über das „Klassenbingo“ bis zum abschließenden „Spiel ohne Grenzen“ reichen die Mitmach-Angebote bei „Kirche im Zelt“. All dies dient dem Ziel, Sozialkompetenz zu schulen. Religionslehrerin Schiener hat für die Gaimersheimer Schüler schon zahlreiche „Tage der Orientierung“ angeboten und weiß: Der Zusammenhalt in der Klasse wird spürbar besser. Daneben verstehe sich „Kirche im Zelt“ aber auch als Grundlage für Gespräche über Gott und die Welt, meint Lehner. Es gehe darum, „einfach da zu sein“. Während des gemeinsamen Bastelns seien Fragen gekommen: Warum arbeitest Du bei der Kirche? Glaubst Du daran, dass es Gott gibt?

Alle vier Klassen durften bei „Kirche im Zelt“ Luftballons steigen lassen. und konnten einen Zettel mit auf die Reise schicken, auf dem sie ein Gebet oder einen guten Wunsch für den Finder des Ballons geschrieben haben. Lehner blickte dabei einem besonders coolen Sprücheklopfer über die Schulter – und war „total überrascht“: Auf seinem Zettel stand ganz schlicht: „Lieber Gott, ich danke Dir, dass Du für mich da bist.“   

Gabi Gess, Kirchenzeitung Nr. 27 vom 7. Juli 2013