4. Sonntag im Jahreskreis, 29. Januar 2012
Wurm heißt er, der Haussekretär des Präsidenten in Schillers „Kabale und Liebe“. Und in einer Szene steht er da und unterbreitet seinem Vorgesetzten, dass er die Familie der Luise Millerin mit einem Eid nötigen will den ihr angetanen Betrug geheim zu halten. Und der Präsident antwortet: „Einen Eid? Was wird ein Eid fruchten, Dummkopf?“ Und Wurm gibt zur Antwort: „Nichts bei uns, gnädiger Herr. Bei dieser Menschenart alles ...“
Bei dieser Szene aus Schillers Drama ist mir vor vielen Jahren zum ersten Mal anfanghaft aufgegangen, welch unterschiedlichen Wert ein Wort haben kann. Egal ob Eid oder Ehrenwort: der Wert und die Verbindlichkeit eines solchen Wortes hängt ganz allein von demjenigen ab, der es sagt. Und wie schnell ein einmal gegebenes Wort wieder vergessen sein kann, das hat wohl jeder schon erfahren: ob bei einem Verkaufsgespräch oder in der Politik oder ... Was wird ein Wort schon fruchten?
So ganz anders geht es den Menschen in der Synagoge von Kafarnaum mit dem Wort Jesu: sie „waren sehr betroffen von seiner Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat“ (Luther übersetzt sogar: „sie entsetzten sich über seine Lehre; denn er lehrte gewaltig“). In den Worten Jesu steckt Energie pur, seine Rede fruchtet: vergangenen Sonntag haben wir von den ersten Jüngern gehört, die auf sein Wort hin alles stehen und liegen lassen; heute wird von der Betroffenheit, dem Entsetzen der Zuhörer berichtet und davon, dass sein Wort Heilung bewirkt.
In mir klingt noch das Weihnachtsevangelium nach: „Im Anfang war das Wort ... Alles ist durch das Wort geworden ... Und das Wort ist Fleisch geworden ...“ (vgl. Joh 1,1-14) und ich denke unwillkürlich an den Anfang der Heiligen Schrift: „Gott sprach ... und es wurde ...“ (vgl. Gen 1,1 – 2,4). Gottes Wort hat Wirkmacht, sein Wort fruchtet!
Das ist meine Erfahrung besonders bei der Feier des Bibelteilens: wenn ich nicht
alleine, sondern mit anderen gemeinsam Gottes Wort höre und verkünde, wenn dabei Herz und Verstand zum Resonanzkörper für sein Wort werden, dann erlebe ich seine Gegenwart unter uns in einer Weise, die mich betroffen macht. Und sein Wort drängt bei diesem Gottesdienst geradezu darauf, dass es durch uns fruchtet und zu einem konkreten gemeinschaftlichen Handeln führt – in der Nachbarschaft, im Arbeitsumfeld, in der Pfarrgemeinde.
Was wird Gottes Wort in mir heute fruchten?
Dekan Stephan Müller, Kirchenzeitung