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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Wie Gott mir, so ich dir

Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben – wie geht das eigentlich, wird sich mancher fragen. Bei vielen Menschen spielt Gott sowieso schon lange keine Rolle mehr. Arbeit, Freizeit und Familienleben werden vom Gedanken an Gott meist nicht mehr berührt. Bestenfalls lässt man den Herrgott noch einen guten Mann sein, will aber sonst nicht weiter von ihm gestört werden. Da wirkt der Absolutheitsanspruch aus dem heutigen Evangelium wie eine Provokation: „... mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken.“

Hier stoßen wir an ein Urproblem der Menschheit: Wie soll man mit Gott zurechtkommen? Oft bedrängt die Menschen eine urgründige Angst vor den möglichen Folgen einer echten Begegnung mit Gott. Wir scheuen davor zurück, weil eine solche Begegnung unsere bisherige liebgewordene Lebensweise total verändern könnte. Von einer nicht bestehenden oder gestörten Gottesbeziehung aber rühren oft nicht eingestandene Schuldgefühle, die trotz scheinbarer Gleichgültigkeit in Sachen Religion unser Seelenleben beeinflussen.

Wer glaubt, angesichts der Frage nach Gott mit Achselzucken oder einem mitleidigen Lächeln antworten zu können, unterliegt einer großen Selbsttäuschung. Die innere Unruhe verlässt ihn nicht. Die Stelle Gottes wird dann eben von anderen „Göttern“ besetzt, wie sie auch heißen mögen. Den Frieden des Herzens jedoch finden wir auf diesem Weg nicht.

Wie wir Gott in rechter Weise lieben, wie wir ihm wirklich begegnen können, erkennen wir erst, wenn wir uns seine Liebe zu uns bewusst machen. Gott hat jeden von uns aus Liebe geschaffen und in Liebe angenommen. Gott allein ist es auch, der den Menschen wahrhaft zur Liebe befähigt. Er steckt uns gleichsam mit seinem Wesen an.

Einzig die Liebe kann die Antwort des Menschen auf das vorausgehende Liebesangebot Gottes sein. Dabei fordert er, wie gesagt, unsere ganze Aufmerksamkeit. Herz, Seele und Denken, die Grundkräfte unseres menschlichen Seins, werden hier angesprochen. Zur Erkenntnis seiner Liebe gelangen wir, wenn wir seine Wohltaten in der uns umgebenden Schöpfung und in unserem persönlichen Leben betrachten, wenn wir uns Zeit nehmen für Stille und Gebet, wenn wir uns vom Wort des Evangeliums treffen lassen. Die Erkenntnis führt zum Dank und schließlich zur Anbetung.

Wir sollen uns ganzheitlich öffnen, um zu empfangen, aber auch, um weiterzuschenken. Es gilt jenes Wort: „Wie Gott mir, so ich dir“. Die Liebe, die Gott mir schenkt, darf ich an meinen Nächsten weitergeben. So ist das Gebot der Gottesliebe untrennbar mit dem der Nächstenliebe verbunden.Wir begehen heute den Weltmissionssonntag. Die wichtigste Mission der Christen besteht darin, der Welt die Liebe Gottes zu bezeugen, wie sie sich in Jesus Christus geoffenbart hat. Dem Missionsauftrag ihres Herrn darf sich die Kirche nicht entziehen. Auch in Zeiten des Pluralismus und der religiösen Toleranz geht es darum, die Menschen in den unterschiedlichen Traditionen und Kulturen mit dem Hauptgebot der Gottes- und Nächstenliebe zu konfrontieren. Die Inkulturation des Evangeliums Christi bedeutet keine Auflösung seiner Grundforderungen. Es wird immer das Moment der Bekehrung und der Abkehr von unerlösten Haltungen geben müssen. Dabei wird das unterscheidende Kriterium immer die Liebe sein.

P. Gregor Lenzen CP, Kirchenzeitung vom 26. Oktober 2014

Lesungen zum 30. Sonntag im Jahreskreis am 26. Oktober 2014